Die in "Circulation" publizierten Leitlinien des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) fordern ein waghalsiges Umdenken: Cholesterinsenkung, ohne Wenn und Aber, gleichgültig in welcher Statin- und/oder Ezetemibe-Dosierung. Individualisierte HDL/LDL-Differenzierung, Risiko-Scores, Lipoprotein, alles überflüssiges Zeug, so die Experten!
In den USA mit unbegrenzten Möglichkeiten des Schusswaffengebrauchs (natürlich nur zu Übungszwecken!) gibt es medizinische Leitsätze wie "hit hard and early", "go-slow", "step-up", "go-fast", "step-down", "fire and forget", "treat to target","the lower, the better" oder auch gegensätzlich "viel hilft viel". "Scoop and run" heißt im US-Rettungsdienst für die "Paramedics": Warte bloß nicht auf einen unfähigen Arzt, der zufällig vorbei kommt, mach‘ Erste Hilfe, reanimier‘ kurz oder gar nicht und schnapp‘ dir die Patienten, egal in welchem Zustand. Aufsammeln und blitzschnell in die nächste Notaufnahme rasen, ist die Devise! Und im "Emergency-Room" von George Clooney oder bei Doctor House gilt dann wie bei PDE-5-Hemmern und erektiler Dysfunktion "The harder they come", ein alter Reggae-Musiktitel von Jimmy Cliff 1972, mit "cover versions" von Joe Jackson 1980 und Madness 1992.
Doch in der lipidsenkenden Therapie, überwiegend mit Statinen und/oder Ezetemibe, fordern die jüngsten Leitlinien des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA), ein ebenso radikales wie waghalsiges Umdenken: Um das arteriosklerotische kardiovaskuläre Krankheitsrisiko ASCVD (Atherosclerotic Cardiovascular Disease) bei Erwachsenen zu reduzieren ["2013 ACC/AHA Guideline on the Treatment of Blood Cholesterol to Reduce Risk in Adults"] ist nur noch die Intensität der Statintherapie der Zweck, der alle Mittel heiligt ["Conclusion - These recommendations arose from careful consideration of an extensive body of higher quality evidence derived from RCTs and systematic reviews and meta-analyses of RCTs. Rather than LDL–C or non-HDL–C targets, this guideline used the intensity of statin therapy as the goal of treatment…"].
http://circ.ahajournals.org/content/early/2013/11/11/01.cir.0000437738.63853.7a.full.pdf+html
Aber dies ist nicht nur in Europa, sondern auch in den USA angreifbar. Wissenschafts- und erkenntnistheoretisch haben Statine und Vergleichstherapien z. B. mit Ezetimibe immer schon wegen der hohen "number-needed-to-treat" (NNT) Schrot-, Hüft- und Kopfschusscharakter.
1. Schrotschuss ("hit hard and early"), weil wir n i e wissen, w e l c h e Patienten von den v i e l e n Männern und Frauen, die diese Medikamente einnehmen, überhaupt profitieren werden.
2. Hüftschuss, weil der ungezielte Schuss aus der Hüfte ("fire and forget"), ohne großes Nachdenken, einfach nur der USA-Mentalität entgegen kommt.
3. Kopfschuss, weil ACC und AHA in Panik geraten sind. Denn die großen Statin/Ezetemibe-Interventions-Studien bekommen wegen der unscharfen NNT die notwendigen 1A Evidenzgrade nicht.
Und nur mit einem 1A-Evidenz-Level könnte die Pharmaindustrie das Zeug dann auch noch profitabel ins Trinkwasser kippen. Um dies scheinbar erreichen zu können, legt sich das Experten-Panel von ACC und AHA mächtig ins Zeug: Sie flüchten sich in eine geschwätzige, blumige Formensprache auf 84 Seiten der pdf-Datei. Ihre Schlussfolgerungen "entsprangen" volltönend "sorgfältigen" Überlegungen; vom "extensiven body of evidence" ist die Rede. Das war ein Filmtitel des deutsch-amerikanischen Filmregisseurs Uli Edel von 1993 und ein totaler Flop: Eine Rebecca Carlson (gespielt von Madonna) war angeklagt, ihren alten, reichen Liebhaber durch kardiovaskulär hoch riskante Sexualpraktiken ins Jenseits befördert zu haben. Ihr Anwalt Frank Dulany (Willem Dafoe) hatte eine „verhängnisvolle Affäre“ mit der Dame.
Es gehe nicht alleine um Ziele ("targets"), sondern um Intensität als Zweck der Therapie mittels eines rigorosen Prozesses, wird schlussfolgernd behauptet. Die Autoren formulieren in "Circulation", der Zeitschrift der "American Heart Association" (AHA) wie im Rausch: Sie konkludieren pathetisch, "we realize that these guidelines represent a change from previous guidelines. But clinicians have become accustomed to change when that change is consistent with the current evidence. Continued accumulation of high-quality trial data will inform future cholesterol treatment guidelines." In bester US-Präsident Barack Obama Manier formulieren sie zwar nicht "Yes, we can", aber "Change" und verweisen auf die imaginäre, nur noch nicht publizierte Akkumulation von Studiendaten z u k ü n f t i g er Behandlungs-Leitlinien.
Also Schluss mit individualisiertem "treat to target" oder "the lower, the better", nicht nur für die pathophysiologisch adaptierten Zielwerte, sondern auch für die Nutzen/Risiko Abschätzung der Medikation? "Treat to target", "the lower the better", "step-up" oder "step down" sind "out" - "forget to think" ist dagegen "in"?