Die Wirkung pflanzlicher und tierischer Lebensmittel auf den Körper wird häufig unterschätzt. So können sie die QT-Zeit verlängern, Asthma verschlimmern oder anticholinerge Eigenschaften haben. Grund genug für einen aufmerksamen Streifzug durch die Küche.
„Grapefruit: Gefährliche Nebenwirkungen“ – diese Information ist schon längst in der Laienpresse gelandet. Lebensmittel können weitaus mehr als nur Cytochrome hemmen, wie ein aktueller Fall mit Gin Tonic und Medikamenten zeigt.
Tonic Water bei UV-Licht: Die Fluoreszenz entlarvt Chinin. Quelle: Wikipedia Elyce T. Sheehan aus Albuquerque, New Mexico, berichtet von einer 91-jährigen Patientin, die verwirrt und agitiert in die Notaufnahme eingeliefert worden war. Im EKG zeigten sich episodische Tachykardien bei einem Puls von 50/min. Ihre QT-Zeit hatte sich auf mehr als 800 Millisekunden verlängert. Medizinisch gab es zunächst keine Erklärungen für die massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sie blieb auf der Intensivstation unter dauernder Kontrolle. Am nächsten Tag, der Patientin ging es überraschend schnell besser, lüftete sich das Rätsel. Sie hatte regelmäßig größere Mengen Gin-Tonic konsumiert und zusätzlich vom Hausarzt noch Chinin beziehungsweise Hydroxychloroquin erhalten. Die Menge reichte aus, um massive Beschwerden zu verursachen. Wie Sheehan schreibt, hatte die Patientin Glück im Unglück. Die Menge an Chinin über Getränke und Arzneimittel kann mitunter in eine tödliche Arrhythmie münden. In Deutschland wurde Chinin als Pharmakon Anfang 2015 der Rezeptpflicht unterstellt. Bitter Lemons des Marktführers Schweppes enthalten 34 Milligramm Chinin pro Liter, bei Tonic Waters sind es 71 Milligramm pro Liter.
Von der Kardiologie zur Pneumologie. Zhen Li aus dem französischen Villejuif warnt vor gepökelten, verarbeiteten Fleischerzeugnissen. Basis seiner Studie sind Daten von 971 erwachsenen Asthmapatienten, die per Fragebogen Angaben zu ihren Ernährungsgewohnheiten machen mussten. Ärztliche Untersuchungen kamen mit hinzu. Wer im Beobachtungszeitraum maximal eine Portion pro Woche verspeiste, hatte deutlich seltener mit Exazerbationen zu kämpfen als bei vier oder mehr Portionen pro Woche. Nach der Korrektur störender Einflussfaktoren bleibt bei großer Fleischeslust ein um 76 Prozent erhöhtes Risiko, dass sich ihr Krankheitsbild verschlechtert. Li führt den Effekt größtenteils auf Nitrit zurück. Hier sind zwei Mechanismen denkbar. Aus dem Salz entsteht im Körper Stickstoffmonoxid. Das Molekül hat eine relaxierende Wirkung auf die Blutgefäße und auf die glatte Gefäßmuskulatur, was bei Asthma nicht wirklich erwünscht ist. Außerdem triggert Stickstoffmonoxid Entzündungsreaktionen. Trotz aller Schwächen – schließlich handelt es sich nur um eine Beobachtungsstudie mit unklarer Kausalität – rät er Asthmapatienten, den Konsum verarbeiteter, gepökelter Fleischprodukte einzuschränken.
Muskat-haltiges "Nervengewürz" bei Pinterest. Screenshot: DocCheck Auch Gewürze haben es oft in sich. „Nervenkekse nach Hildegard von Bingen“ sind beispielsweise ein beliebtes Gebäck – eine Webrecherche liefert 4.000 deutschsprachige Treffer für das Rezept. Für die Zubereitung werden 45 oder mehr Gramm geriebene Muskatnuss (Myristica fragrans) pro Kilogramm Mehl verarbeitet. Das Gewürz enthält vor allem Myristicin als pharmakologisch relevante Substanz. Es hat anticholinerge Eigenschaften, was zu Harnverhaltung, Mundtrockenheit, Verstopfung, Sehstörungen, Flush, hohem Blutdruck, zu Hyperthermie und zu zentrale Störungen führen kann. In der Literatur sind außerdem Berichte zur Interaktionen von Myristicin mit Arzneistoffen zu finden. Ein Patient erhielt Flunitrazepam und nahm große Mengen des Gewürzes ein. Er starb aufgrund der kombinierten toxischen Effekte. Jahre zuvor hatte Cassia-Zimt für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rechnete vor, Erwachsene würden bereits mit zwei Gramm des Gewürzes pro Tag die tolerierte Tagesdosis (TDI) an Cumarin überschreiten. Bei Kindern mit einem Körpergewicht von 15 Kilogramm sei dies bei 0,5 Gramm Cassia-Zimt pro Tag der Fall. Dafür stehen Tonkabohnen (Dipteryx odorata) mit bis zu zehn Prozent Cumarin hoch im Kurs.
Rot fermentierter Reis. Quelle: Wikipedia Als Modeprodukt eroberte rot fermentierter Reis vor wenigen Jahren den Markt. Beim Namen denken Konsumenten an ein harmloses Lebensmittel. Weit gefehlt: Toxikologen des Bundesinstituts für Risikobewertng kamen zu dem Ergebnis, dass „Red Rice-Produkte ab einer Tagesdosis von 5 mg Monakolin K aufgrund der nennenswerten pharmakologischen Wirkung als zulassungspflichtige Arzneimittel einzustufen sind“. Nehmen Patienten gleichzeitig cholesterinsenkende Arzneimittel und Produkte mit rotem Reis ein, kann es zu Nebenwirkungen wie Muskelschädigungen kommen. Die alternativmedizinisch beziehungsweise homöopathisch orientierte Karl und Veronica Carstens-Stiftung spricht trotzdem von einer „nebenwirkungsarmen Alternative zu Statinen“ – „zumindest für Patienten mit moderat erhöhtem Cholesterinspiegel“. Nur in wenigen Fällen ist die Faktenlage so klar, dass Präparate als Arzneimittel eingestuft werden.
Ansonsten bleibt Apothekern nur, gezielt nachzufragen, falls Effekte auftreten, die sich mit Rx-Präparaten oder OTCs nicht erklären lassen. Seit Oktober können sie Nahrungsergänzungsmittel auch in Medikationspläne multimorbider Patienten eintragen. Genau diese Zielgruppe schätzt frei verkäufliche Produkte, um sich etwas Gutes zu tun. Weniger ist mehr.