Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, da begab es sich, dass Menschen, wenn sie alt, krank und gebrechlich waren, die Nahrungaufnahme einfach einstellten: Da mochten ihnen ihre Anverwandten noch so köstliche Speisen und Getränke reichen, sie hatten einfach nicht mehr die Kraft und die Lust diese Nahrungsmittel zu sich zu nehmen. Und so kam es, dass diese Alten bald darauf eines natürlichen Todes starben; man nannte dies dann Altersschwäche.
Es klingt fast wie ein Märchen. Denn was geschieht heutzutage in so einem Fall? Aus den altersschwachen Menschen werden Patienten, denen eine PEG-Sonde gelegt wird, über die sie dann -- teils über Jahre -- mehr oder weniger zwangsernährt werden und dahinvegetieren. Ein Hoch auf die Segnungen der modernen Medizin! Ein sicherer Tod wurde verhindert. Die Frage nach der Lebensqualität stellt scheinbar keiner. Eine solche Sondenernährung einzustellen ist jedoch ethisch höchst prekär und im Einfall nur juristisch zu klären.
Auch in anderen Situationen kann man sich fragen, ob das medizinisch machbare auch immer sinnvoll ist: Als Urologe wird gar nicht so selten die Frage an mich herangetragen (häufig von Seiten der internistischen Onkologen), ob man einem Patienten mit einem fortgeschrittenen Karzinom, welches zum Beispiel durch retroperitoneale Lymphknotenmetastasen zu einer Kompression der Harnleiter und darüber zu einer -- in der Regel asymptomatischen -- beidseitigen Harnstauung und einem postrenalen Nierenversagen geführt hat, nicht eine Harnleiterschiene oder perkutane Nephrostomie legen könne, um die Harnstauung und damit die Niereninsuffizienz zu beseitigen. Diese Patienten haben in der Regel eine infauste Prognose und eine Lebenserwartung von zum Teil nur wenigen Monaten. Wäre es vielleicht nicht humaner, wenn diese Patienten relativ "sanft" an einer Urämie versterben, als ein Krebsleiden zu prolongieren?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Patienten, wenn man diese Problematik offen mit ihnen bespricht, gar nicht so selten einen früheren, aber "sanften" Tod einem vielleicht einige Wochen oder Monate längerem Überleben mit schlechter Lebensqualität vorziehen und für ein solch scheinbar schonungsloses Gespräch sogar dankbar sind. Viele Ärzte scheinen jedoch ein Problem damit zu haben, bei einem solchen natürlichen Krankheitsverlauf einfach zuzusehen, da wir zu Aktionismus neigen.
Titelbild: © Jürgen Hüsmert /PIXELIO