Bienenstockluft, Apitoxin und Honig – damit sollen zahlreiche Krankheiten gelindert werden. Wissenschaftliche Beweise? Fehlanzeige. Und ungefährlich ist das auch nicht: Das Risiko einer lebensbedrohlichen allergischen Reaktion ist Apitherapeuten oft nicht bewusst.
Der sogenannte Manuka-Honig ist dank seiner angeblich gesundheitsförderlichen Wirkung in den Medien sehr präsent. Der aus Neuseeland stammende Honig ist besonders reich am Zuckerabbauprodukt Methylglyoxal, das für die antibakterielle Wirkung dieser Honigsorte verantwortlich sein soll. Unter anderem soll die regelmäßige Einnahme das Risiko für Herzkrankheiten verringern, Zahnbeläge reduzieren, bei Magen-Darm-Beschwerden sowie Pilzerkrankungen helfen und Blutfettwerte verbessern. Diese Heilversprechen sind allerdings nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Inzwischen ist auch „medizinischer Honig“ auf dem Markt, der auf Manuka-Honig basiert und mit einer Kobalt-60-Gammastrahlung sterilisiert wird. Diese Strahlung tötet Keime im Honig ab, während die angeblich antibakteriell-wirksamen Inhaltstoffe darin erhalten bleiben. Vor allem bei der Wundheilung soll dieser spezielle Honig förderlich sein. In einigen Kliniken wie dem Universitätsklinikum Bonn werden Wundverbände mit medizinischem Honig bereits angewendet. Eine Evidenz konnte ein Cochrane-Review immerhin für die Behandlung akuter Wunden wie Verbrennungen zweiten Grades feststellen. Laut Review kann eine allgemeine Schlussfolgerung zur Wirksamkeit von medizinischem Honig aber nicht gezogen werden. Dafür seien die Daten zu heterogen und teilweise qualitativ schlecht.
Nicht nur dem Honig der Biene wird eine gesundheitsförderliche Wirkung zugesprochen – sondern auch ihrem Gift. Beliebt ist die sogenannte Api-Punktur insbesondere in asiatischen Ländern. Auch in Deutschland wird diese Behandlungsmethode wegen ihrer scheinbar cholesterinsenkenden, entzündungshemmenden und schmerzlindernden Wirkungen angepriesen. Sie soll unter anderem bei Tumoren, Gelenkerkrankungen und der Multiplen Sklerose helfen. Bei diesem Verfahren wird der Biene mit einer Pinzette der Stachel herausgerissen und dieser als Akupunktur-Nadel genutzt. Über den Stachel gelangt das in der Blase enthaltene Bienengift an den Akupunktur-Punkten unter die Haut. Alternativ kann man auch die komplette Biene mit der Pinzette packen und sie auf die Stelle der Haut, die gestochen werden soll, drücken oder das als Injektionslösung aufbereitete Bienengift injizieren. Das Risiko einer allergischen Reaktion bzw. einer Sensibilisierung während der Therapie scheint vielen Anwendern und manchmal auch Therapeuten nicht bewusst zu sein. Das zeigt ein Fall einer 55-jährigen Frau aus Madrid. Wie Vazquez-Reguelta und Madrigal-Burgaleta in ihrer Veröffentlichung berichten, ging die Frau seit etwa zwei Jahren alle vier Wochen zur Bienen-Akupunktur, ohne dass dabei irgendwelche Zwischenfälle aufgetreten sind. Von der Bienen-Akupunktur erhoffte sich die 55-jährige Frau aus Madrid eine Besserung ihrer „Muskelkontrakturen“ sowie die Linderung ihres Stresses. Sie litt weder an Asthma bronchiale, noch an Herzproblemen oder anderen Erkrankungen. Und auch sonst hatte die Frau keine Atopien oder andere Risikofaktoren, wie etwa frühere allergische Reaktionen jeglicher Art mit Hautflüglern, zu denen auch Bienen und Wespen zählen, aufgewiesen. Während einer Sitzung bekam die Patienten jedoch Atemnot und wurde kurze Zeit später bewusstlos. Das Klinikpersonal verabreichte der Frau Methylprednisolon, Adrenalin war nicht vorhanden. Als die Rettungsärzte nach 30 Minuten eintrafen, befand sich die Frau bereits im Schockzustand: Der systolische Blutdruck betrug nur noch 42 mmHg und der Puls war auf 110 gestiegen. Einige Wochen später verstarb die Frau in der Klinik an einem Multiorganversagen. Die Autoren schreiben: „Obwohl bereits in einigen Untersuchungen positive Effekte der Api-Punktur beschrieben wurden, ist der Nachweis der Effektivität und Sicherheit limitiert, spärlich und heterogen,“ Sie empfehlen, die Therapeuten hinsichtlich des Umgangs mit schweren Reaktionen zu schulen, Medikamente für den Notfall vorzuhalten und den Patienten auf Allergien zu testen. Andernfalls sei die Bienen-Akupunktur unsicher und nicht ratsam. Studien zur Wirksamkeit dieser Therapie sucht man vergebens. Die Risiken einer Bienengift-Therapie sind hingegen längst bekannt. Damit befasste sich ein chinesisches Team in einem Review und einer Meta-Analyse.
Für ihre Analyse hatte das Team die Häufigkeit und Art der Nebenwirkungen untersucht, die bei einer subkutanen oder intramuskulären Verabreichung von Bienengift auftreten können. Das betrifft aber nicht nur Bienen-Akupunktur, sondern auch Injektion im Rahmen einer Hyposensibilisierung. Chang-Qing Gao und sein Team hatten insgesamt 145 Studien untersucht – darunter 20 randomisierte, kontrollierte Untersuchungen, 79 Prüfungs- (Audits) und Kohortenstudien, 33 Einzel-Fallberichte und 13 Fallserien. Die Analyse ergab, dass bei etwa einem Drittel der Probanden in Prüfungs- und Kohortenstudien (28,87 %), die eine Bienengift-Immuntherapie erhalten hatten, Nebenwirkungen auftraten. Systemische Reaktionen erlitten aus dieser Gruppe 15 % der Teilnehmer. Verglichen mit der Kontrollgruppe, denen nur eine Kochsalzlösung injiziert worden war, hatten die Teilnehmer, die sich einer Bienen-Akupunktur unterzogen hatten, ein um etwa 260 % höheres Risiko für eine unerwünschte Wirkung (Ergebnis aus den randomisierten, kontrollierten Studien). Das Spektrum reicht von milden (z. B. einfache Hautreaktionen) bis hin zu sehr schweren Verläufen (z.B. lebensgefährliche Anaphylaxie). Die Analyse der Fallstudien und –serien ergab, dass über die Hälfte der unerwünschten Wirkungen systemischer Natur waren. Nebenwirkungen bei einer Bienengift-Therapie seien nichts Ungewöhnliches, schließen die Autoren des Reviews. Die Behandlungen sollten nicht ohne entsprechende Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden.
Doch nicht nur Bienengift, sondern auch Bienenpollen, die Pollenallergiker zur Gewöhnung an das allergieauslösende Antigen verwenden, können allergische Reaktionen auslösen – wie eine Fallstudie aus dem Jahr 2012 zeigt. Amanda Jagdis und Gordon Sussman berichten von einer 30-jährigen Frau, die ihr Immunsystem mit einem Bienenpollen-Präparat stärken wollte. Während der Sommermonate litt die Frau an Heuschnupfen, ansonsten war sie gesund. Zehn Minuten nachdem sie eine zweite Pollen-Dosis eingenommen hatte, begannen ihre Augenlider, ihre Lippen und ihr Hals anzuschwellen. Sie hatte Schwierigkeiten beim Schlucken, war kurzatmig und entwickelte eine Nesselsucht. Eine Notfallbehandlung mit Adrenalin, dem Antihistaminikum Diphenhydramin sowie eine intravenöse Volumensubstitution linderten die Beschwerden. Nachfolgende Tests zeigten eine Allergie gegen das Bienenpollen-Nahrungsergänzungsmittel und Wiesenlieschgras. Dieser Bericht verdeutlicht, dass anaphylaktische Reaktion nach Einnahme eines Bienenpollen-Präparates wie z.B. Blütenpollen oder Propolis bei Pollenallergikern immer wieder vorkommen können. In ihrer Fallstudie erinnern Amanda Jagis und Gordon Sussman an die Ergebnisse einer griechischen Fall-Kontroll-Studie aus dem Jahr 2006. Damals hatten Pitsios und Kollegen [Paywall] 145 Patienten mit überempfindlichem Immunsystem (Atopie) und 57 Gesunde darauf hin untersucht, ob eine Assoziation zwischen einer Pollenallergie und einer Allergie auf Bienenpollen-Präparate besteht. Bei allen Teilnehmern wurden Hauttests mit fünf Bienenpollen-Präparaten und vier Pollenextrakten gemacht. Über 70 % der Atopiker reagierten auf mind. eines der Bienenpollen-Präparate. Von den gesunden Probanden reagierte niemand auf die Präparate.
Ebenfalls häufig im Internet vertreten ist die Inhalation von Bienenstockluft, die Erkrankungen wie Migräne, Infektanfälligkeit, Neurodermitis und Depressionen lindern soll. Bei dieser Methode sitzt der Patient im Freien oder im Bienenhaus und atmet über eine Mund- und Nasen-Maske die etwa 35 °C warme, sehr feuchte Luft aus dem Bienenstock ein. Durch einen eingebauten Filter gelangen weder Bienen noch Pollen in den Schlauch. Wissenschaftliche Studien, die eine Wirkung der Therapien bestätigen könnten, gibt es jedoch nicht. „Es ist noch ungeklärt, inwieweit die eigentliche Therapie oder die Umgebung dem Patienten guttun,“ so Prof. Speer von der Technischen Universität Dresden in einer Pressemitteilung. „Wie viel positiven Einfluss die Ruhe und Ausgeglichenheit auf dem Land haben, wo die Therapie stattfindet, oder das ruhige Einatmen – und welchen Anteil die Inhaltsstoffe der Bienenstockluft selbst zur Therapie beisteuern, bedarf noch eingehender Untersuchungen.“ Speer hatte zusammen mit seinem Team die Inhaltsstoffe der Bienenstockluft untersucht und herausgefunden, dass die Stoffe in der Luft überwiegend aus dem Propolis und dem Bienenwachs stammen. Der Honig in den Waben dagegen liefert nur einen geringen Beitrag zur Stockluft. Kritiker der Bienenstockluft-Therapie geben zu Bedenken, dass die genaue Zusammensetzung eben dieser bisher noch unerforscht ist. Sie befürchten, dass durch das Einatmen von allergenauslösenden Substanzen wie z. B. Pollen allergische Reaktionen ausgelöst werden können. 2015 verbot das Jenaer Gesundheitsamt sogar einer Heilpraktikerin, die Bienenstock-Therapie weiter durchzuführen. Etwa ein Jahr später musste die Thüringer Behörde dieses Verbot jedoch wieder aufheben: Da die Heilpraktikerin befürchtete, dass mit dem Verbot ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte, war sie in Widerspruch gegangen und hatte vor dem Verwaltungsgericht Gera recht bekommen. Die angeblich gesundheitsfördernde Wirkung von Bienenprodukten lässt sich bislang nicht wissenschaftlich belegen. Gerade empfindliche Patient sollten gewarnt werden: Bei ihnen können Blütenpollen, Bienengift und Co. zu schweren allergischen Reaktionen führen.