CO-Intoxikationen sind weltweit die Hauptursache für tödliche Vergiftungen. Trotzdem gibt es kein effektives Gegenmittel. Pulmonologen haben nun ein Protein entwickelt, das eine Alternative zur Behandlung mit Sauerstoff darstellt. Es bindet das giftige Gas innerhalb von Sekunden.
Nach dem Einatmen gelangt Kohlenmonoxid über die Lungen in das Blut. Dort bindet es an das Hämoglobin. Eigentlich nimmt dieser rote Blutfarbstoff in den Lungen den eingeatmeten Sauerstoff auf und transportiert diesen zu den Organen. Gelangt jedoch mit der Atemluft auch Kohlenmonoxid in die Lungen, verdrängt es den lebensnotwendigen Sauerstoff vom Hämoglobin. Denn das Atemgift besitzt – verglichen mit Sauerstoff – eine etwa 300mal höhere Affinität zu Hämoglobin. Je mehr Kohlenmonoxid man also einatmet, desto mehr Bindungsstellen werden mit Kohlenmonoxid besetzt, desto weniger Sauerstoff kann an die noch freien Stellen des Hämoglobins binden. Folglich gelangt umso weniger Sauerstoff zu den Organen. Bereits bei einer „Besetzungsrate“ von 25 Prozent treten erste Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen oder Schwindel auf; ab einem Anteil von 50 Prozent wird der Betroffene ohnmächtig; bei mehr als 60 Prozent können Koma und schließlich der Tod durch innerliches Ersticken eintreten. Ein Anteil von nur 1,28 Prozent Kohlenmonoxid in der Luft reicht aus, um innerhalb von wenigen Minuten den Tod herbeizuführen. In Deutschland erleiden jährlich etwa 4.000 Menschen eine Kohlenmonoxidvergiftung und müssen im Krankenhaus behandelt werden. Mehrere hundert sterben.
Das Atemgift entsteht, wenn kohlenstoffhaltige Stoffe, wie beispielsweise Gas, Öl oder Kohle, bei zu geringer Sauerstoffzufuhr verbrannt werden oder wenn technische Defekte an Öfen, Heizungsanlagen oder Abgasrohren vorhanden sind. Potenzielle Gefahrenquellen sind: • mangelhaft installierte Geräte, • unzureichend gewartete Gasthermen oder Heizungsanlagen • zu geringe Frischluftzufuhr • Grillen (auch holzkohlebeheizte Tischgrills) in geschlossenen Räumen (z. B. Garage, Wohnung) • Betreiben von benzinbetriebenen Geräten (z. B. Rasenmäher) innerhalb geschlossener Räume • Schlecht ziehende Kamine oder verstopfte Schornsteine (z. B. mit Vogelnester) Grillen liegt im Trend! In geschlossenen Räumen entsteht jedoch besonders viel giftiges Kohlenmonoxid. © Gabriel Saldana, flickr
Bisher besteht die Therapie in einer sofortigen Gabe von reinem Sauerstoff, wodurch das Kohlenmonoxid zwar etwas schneller, aber immer noch sehr langsam von den Bindungsstellen verdrängt wird: Durch den reinen Sauerstoff verkürzt sich die Eliminationshalbwertszeit von über fünf Stunden auf etwa 80 Minuten. Schneller geht es nur noch mit der sog. hyperbaren Sauerstoffbehandlung, bei der dem Patienten Sauerstoff in einer Überdruckkammer verabreicht wird: In nur 20 Minuten wird die Hälfte des im Blut befindlichen Kohlenmonoxids entfernt – ein Zeitraum, der häufig für Patienten immer noch viel zu lange ist. Hinzu kommt, dass nicht jedes Krankenhaus über eine Überdruckkammer verfügt. Auch der Transport dorthin kostet Zeit! „Obwohl Kohlenmonoxid die häufigste Vergiftungsursache weltweit ist, haben wir bis heute kein effektives Gegenmittel“, sagt Mark Gladwin von der University of Pittsburgh in einer Pressemitteilung. Er und sein Team haben ein Protein entwickelt, das eine Alternative zu der derzeitigen Behandlung mit reinem Sauerstoff darstellen könnte: Es befreit in sehr kurzer Zeit Hämoglobin von Kohlenmonoxid. „Unser Protein ist außerordentlich effektiv beim Abfangen von Kohlenmonoxid aus dem Blut“, so Mark Gladwin weiter.
Das von den US-Forschern entwickelte Protein gehört zu den Neuroglobinen, den Verwandten des Hämoglobins. Das Neuroglobin transportiert ebenfalls Sauerstoff. Es beschützt Zellen nach Ischämien oder Reperfusionsschäden – wie etwa nach einem Herzinfarkt oder Unfallverletzungen – vor dem Tod. Produziert wird das erst im Jahr 2000 entdeckte Protein im Gehirn und in der Retina von Menschen und Mäusen. Für die US-Forscher war es interessant, da es im Vergleich zu Hämoglobin Sauerstoff deutlich stärker bindet. Zudem besitzt es eine erhöhte Affinität zu Kohlenmonoxid. Für ihre Studien [Paywall] entschieden sich die Forscher für ein leicht verändertes Neuroglobin mit dem Namen „Ngb-H64Q“. „Ngb“ steht dabei für Neuroglobin und „H64Q“ drückt aus, dass der distale Histidin-Rest (H64), welcher das Häm-Eisen bindet, durch ein Glutamin ersetzt wurde. Diese veränderte Molekülstruktur bewirkt, dass das Ngb-H64Q weniger anfällig für Sauerstoff ist (Autoxidation) und diesen zudem stabiler binden kann. Seniorautor Mark Gladwin von der University of Pittsburgh © UPMC Um bei hohen Proteinkonzentrationen die Zusammenlagerung (Oligomerisierung) zu verhindern und um die Löslichkeit des Proteins zu verbessern, ersetzten die Wissenschaftler um Mark Gladwin in einem weiteren Schritt an der Oberfläche des Proteins drei Cysteine durch weniger reaktive Aminosäuren. Das erhaltene Molekül nannte das Forscherteam „Ngb-H64Q-CCC“. Wie anschließende Laborexperimente zeigten, war die Affinität des Ngb-H64Q-CCC zu Kohlenmonoxid 500-mal höher als die des Hämoglobins zu dem Atemgift. Diese Tatsache war wichtig, damit das Neuroglobin dem Hämoglobin das gebundene Kohlenmonoxid entreißen konnte. Durch die Ngb-H64Q-CCC-Gabe sank die Eliminationshalbwertszeit von Kohlenmonoxid in zellfreier Flüssigkeit bzw. in Erythrozyten von über 500 Minuten (atmosphärischer Sauerstoff) auf 0,11 Minuten bzw. 0,41 Minuten.
Für die anschließenden Tierversuche setzte das Forscherteam Mäuse 50 Minuten lang einem Kohlenmonoxid-Luft-Gemisch aus, sodass etwa 60 Prozent der Sauerstoffbindungsstellen des Hämoglobins mit dem giftigen Gas besetzt waren. Keines der Tiere verstarb. Anschließend verabreichten Mark Gladwin und Kollegen einem Teil der Mäuse das Neuroglobin. Bereits 30 Sekunden später war die Zahl der besetzten Hämoglobin-Bindungsstellen um 30 Prozent gesunken – bei der Kontrollgruppe waren es nur 13 Prozent und bei den Tieren, die mit 100-Prozent Sauerstoff beatmet worden waren, 27 Prozent. Ein weiterer Vorteil ist die schnelle Clearance: 60 Minuten nach Verabreichung befanden sich etwa 90 Prozent des Neuroglobins in der Blase der Tiere. Doch kann das Neuroglobin wirklich Tiere bzw. Menschen vor dem Vergiftungstod schützen? Um diese Frage zu beantworten, verabreichten die Wissenschaftler den Tieren zuerst eine normalerweise tödliche Kohlenmonoxid-Dosis. Das Ergebnis: Nur maximal 10 Prozent der zehn bzw. sieben Kontrollmäuse überlebten das Experiment. Bei der Neuroglobin-Gruppe sah es dagegen anders aus. Diese Tiere hatten nach der Kohlenmonoxid-Exposition Ngb-H64Q-CCC erhalten. Von dieser Gruppe blieben 90 Prozent der acht Nager am Leben.
Bisher wurde Ngb-H64Q-CCC nur an Mäusen getestet. Bevor es daher bei Menschen eingesetzt werden kann, sind weitere umfassende Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien an Tieren notwendig. Der Studie der Wissenschaftler um Mark Gladwin zufolge scheint das Neuroglobin zumindest keine gravierenden Nebenwirkungen zu haben. Die Forscher hatten 48 Stunden nach der Injektion vergeblich nach Veränderungen im Blut und den Nieren der Tiere gesucht. Zudem war Ngb-H64Q-CCC zu diesem Zeitpunkt weder in Leber, Niere, Herz, Gehirn oder Lungengewebe nachzuweisen. Mark Gladwin ist zumindest von seiner Erfindung überzeugt und hat zusammen mit einem weiteren Studienautor ein Patent auf die Verwendung von Neuroglobin-Mutanten bei Kohlenmonoxid-Vergiftungen angemeldet. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen dann die ersten klinischen Studien starten.
Neben Ngb-H64Q-CCC sind noch weitere Entwicklungen zur Behandlung von Kohlenmonoxid-Vergiftungen in der Pipeline. Eine Fototherapie mit Licht zwischen 530 und 690 nm beispielsweise soll die Kohlenmonoxid-Freisetzung aus dem Hämoglobin erhöhen und Hydroxocobalamin hatte bei Ratten die Verstoffwechselung von Kohlenmonoxid zu Kohlendioxid erhöht [Paywall]. Japanische Forscher [Paywall] entwickelten bereits 2010 einen wasserlöslichen, supramolekularen Komplex , der bei Ratten Kohlenmonoxid aus dem Körper entfernte. Allerdings befinden sich auch diese Entwicklungen noch in einem frühen Stadium. Selbst wenn sich Ngb-H64Q-CCC oder eine andere Entwicklung in den Tierversuchen als sicher und wirksam erweisen sollte, können bis zur Zulassen noch mehrere Jahre vergehen. Bis dahin hilft nur: Kohlenmonoxid-Warngeräte in der Wohnung installieren und potenzielle Kohlenmonoxid-Quellen vermeiden.