Jeder Mensch ist einzigartig – somit auch jeder Täter. Er hinterlässt nicht nur Fingerabdrücke, auch sein Mikrobiom verrät viel über ihn. Molekulargenetische Untersuchungen sollen unter bestimmten Umständen künftig auch Rückschlüsse auf den Phänotyp eines Täters ermöglichen.
In Deutschland haben Richter 1988 erstmals einen genetischen Fingerabdruck als Beweis anerkannt. Seither gelang es Ermittlungsbehörden, mit der Methode tausende Täter zu überführen. Aus Sicht der Ermittler gibt es jedoch einen zentralen Schwachpunkt. Die Strafprozessordnung (StPO) sieht vor, nur nicht-codierende Sequenzen zu untersuchen. Liefert der Abgleich mit zentralen Datenbanken keinen Treffer, ist die Aussagekraft gleich null. Mit einer aktuellen Gesetzesinitiative will Baden-Württemberg zusätzliche Methoden in die StPO einführen. Deshalb lud das Bundesinnenministerium Experten zu einer Anhörung ein.
Laut dem „Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material“ soll es künftig möglich werden, auch codierende Sequenzen zu analysieren. Damit sind Rückschlüsse auf den Phänotyp eines Täters möglich. Im vergangenen Herbst war eine 19 Jahre alte Medizinstudentin aus Freiburg ermordet worden, verdächtigt wird ein afghanischer Geflüchteter. Dieses Verbrechen gab Anlass für die Initiative. „Ziel ist es, bestimmte äußere Körpermerkmale wie die Hautfarbe, die Augenfarbe, die Haarfarbe und das biologische Alter in die polizeiliche Ermittlungsarbeit einfließen zu lassen“, sagt Prof. Peter Schneider bei einem Pressebriefing. Er ist Leiter der forensischen Molekulargenetik am Uniklinikum Köln. „Bayern hat sich dafür stark gemacht, auch die biogeographische Herkunft mit aufzunehmen.“ Aufgrund genetischer Wurzeln der Vorfahren sei eine gewisse Einordnung möglich. Ebenso sind Altersvorhersagen möglich, weil sich die Aktivität bestimmter Gene im Laufe unseres Lebens ändert. Professor Amade M’charek von der Universität Amsterdam berichtet von Erfahrungen aus den Niederlanden. Seit 2003 haben Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen erweiterte genetische Merkmale zu bestimmen. Diese stünden am Ende der klassischen Ermittlungsarbeit, falls alle anderen Möglichkeiten ausgereizt worden seien, so M’charek. Schon heute routinemäßig ausgeführte Analysen haben zum Ziel, DNA-Spuren am Tatort mit Verdächtigen zu vergleichen. Gibt es keine vermeintlichen Täter und scheitern Reihentests, liefert die Analyse codierender Sequenzen grobe Anhaltspunkte für die weitere Polizeiarbeit. Die Anthropologin berichtet von einem spektakulären Fall. Nach dem Mord an Marianne Vaatstra wurden Immigranten asiatischer Herkunft von Bürgern verdächtigt. Über biogeographische Herkunftsmerkmale konnten Molekularbiologen zeigen, dass der Täter aus Nordeuropa sein muss. Er wurde Jahre später - nicht aufgrund dieser Analyse - festgenommen und war tatsächlich Nordeuropäer.
Wissenschaftler aus London, Frankfurt am Main und Freiburg äußern in einem offenen Brief trotzdem Bedenken. Sie sprechen zwar von guten technischen Standards, weisen aber auf Verunreinigungen, Verwechslungen und Missverständnisse bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit hin. „Es ist zum Beispiel sehr wichtig, einen Unterschied zwischen dem Nutzen von DNA-Mustern zur Identitätsfeststellung und denen der Ableitung von Merkmalen und Abstammung zu machen“, schreibt das Gremium. „Letztere lassen einen ungemein größeren Ermessensspielraum in der Interpretation der DNA- Analysen zu, der durch kulturelle und institutionelle Praxen und Einstellungen sehr stark geprägt ist.“ Ihr Fazit: „Wer behauptet, DNA-Analysen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit seien einfach, trivial, zuverlässig, unproblematisch und eindeutig, und damit impliziert, die Technik bedürfe keiner sozialen, ethischen und rechtlichen Eingrenzung, der irrt nicht nur: Er handelt unverantwortlich.“
Während deutsche Experten über Chancen und Risiken der Analyse codierender Sequenzen diskutieren, zeigen amerikanische Wissenschaftler, dass am Tatort weitere Spuren zu finden sind, um Rückschlüsse auf den Phänotyp zu ziehen. Jose Lopez aus Florida wagte ein ungewöhnliches Experiment. Der Evolutionsbiologe bat Mitarbeiter des örtlichen Sheriffs, bei ihm einzubrechen und mehrere Gegenstände zu entwenden. Handschuhe oder Schutzkleidung brachten den „Tätern“ wenig. „Wir verlieren auf Schritt und Tritt Mikroben“, sagt Jack Gilbert, Molekularbiologe an der Universität Chicago. „Hosen oder Unterhosen sind für Bakterien wie ein löchriges Fischnetz.“ Bei Lopez rückten forensische Experten an, um Spuren von Oberflächen zu nehmen. Gilbert analysierte daraufhin die Proben. Besonders interessierte er sich für 16S-ribosomale DNA (rDNA). Diese Abschnitte codieren für ribosomale RNA und unterscheiden sich je nach Bakterienart stark. Im Labor gelang es Gilbert, mehrere hundert Spezies zu identifizieren. Gleichzeitig untersuchte er Proben der Bewohner und der Haustiere. Aus der Differenz ergaben sich genomische Daten der vermeintlichen Einbrecher. „Im Gegensatz zu Textilfasern oder Zellen enthält das Mikrobiom eine Menge weiterer Informationen“, sagt Gilbert. Er kann ablesen, ob eine Person raucht, wo sie lebt oder ob sie bestimmte Medikamente einnimmt. Beim gestellten Einbruch fand er heraus, dass ein „Täter“ Medikamente gegen Migräne einnahm und ein anderer regelmäßig Alkohol konsumiert. Beides traf zu – und wie der Sheriff selbst sagte sind dies „zusätzliche hilfreiche Hinweise für die Ermittlung“. Bis Daten aus dem bakteriellen Mikrobiom von Richtern verwertet werden, kann es aber noch dauern.
„Nach meiner Einschätzung kann die 16S-rDNA allenfalls ein zusätzliches Indiz sein oder ist bei ganz besonderen Umständen hilfreich, zum Beispiel, wenn es einen komplett abgeschlossenen Kreis von Verdächtigen gibt“, sagt Armin Schuster, Forscher am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg. „Ein alleiniges Merkmal, wie ein Fingerabdruck oder eine Körper-DNA-Spur, ist es nicht.“ Und Professor Dr. Sabine Lutz-Bonengel vom Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, ergänzt in einer Mitteilung: „Die Idee ist an sich gut, aber derzeit fehlen für diese Methode noch Grundlagenforschungsdaten.“