In Praxen und Labors tobt ein Krieg der besonderen Art. Jahr für Jahr übertragen Zecken Borrelia burgdorferi auf 200.000 Menschen, eine Impfung gibt es nicht. Tests haben mehr oder minder große Defizite – und so manche Infektion bleibt über Jahre unentdeckt.
Limettengrüne Lichtspiele: Am 10. und 11. Mai erstrahlen die Niagarafälle und der CN-Tower in ungewohntem Glanz, auch für Berlin sind Aktionen geplant. Dahinter steckt keine Kunst-Performance – vielmehr versuchen Patienten weltweit, Ärzte und Politiker auf die Lyme-Borreliose hinzuweisen. Der Aktionismus mag erstaunen, hat aber einen ernsten Hintergrund. Rechtzeitig erkannte, unkomplizierte Infektionen lassen sich mit Antibiotika gut behandeln. Ohne adäquate Therapie kommt es häufig zu Erschöpfungszuständen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie kognitiven Defiziten. Im Spätstadium wird das zentrale und periphere Nervensystems in Mitleidenschaft gezogen (Neuroborreliose).
Die Krankheit beginnt nach einem Zeckenbiss mit lokalen Infektionen inklusive Wanderröte (Erythema migrans), grippeähnlichen und teilweise gastrointestinalen Symptomen. John J. Halperin, Phillip Baker und Gary P. Wormser kritisieren in einem Übersichtsartikel, Ärzte würden bei ihrer Diagnostik zu stark auf entsprechende Hautzeichen achten. Tatsache ist, dass sich bei bis zu 50 Prozent aller Patienten keine Rötung ausbildet. Im Blutbild zeigen sich Antikörper – das kann aber mehrere Wochen dauern. Kommt es nach Therapieende wieder zum verräterischen Erythema migrans, befürchten Patienten einen Rückfall. Jetzt zeigten Wissenschaftler über Genanalysen, dass es sich – völlig losgelöst vom bereits therapierten Leiden – um eine neuerliche Infektion mit Borrelien handelt.
Bei entsprechendem Verdacht untersuchen spezialisierte Labors eine Blutprobe mit Enzyme Linked Immunosorbent Assays (ELISAs) auf Antikörper. Das Verfahren hat gleich mehrere Nachteile: Sensitivität, Spezifität und Standardisierung entsprechen nicht der Erwartung. Laut Dr. med. Armin Schwarzbach bleiben bis zu 70 Prozent aller ELISA-Untersuchungen trotz einer Infektion negativ. "Das Problem ist, dass in den ELISA-Tests zu wenige rekombinante Antigene und Lysate in den falschen beziehungsweise nicht vollständigen Mischungen eingesetzt werden. Wir wissen mittlerweile, dass es zahlreiche neue Borrelien-Subspezies gibt", erklärt Schwarzbach. Problematisch ist die ausgeprägte Antigen-Variabilität und -Varianz einzelner Subspezies. Für Russland, Japan, Australien oder Europa wären damit verschiedene Nachweisverfahren erforderlich. Zurzeit gibt es rund 30 verschiedene ELISAs auf dem Markt – mit unterschiedlichen Antigenen.
Zwar schreibt das Medizinproduktegesetz keine Standardisierung von Tests vor. Labors sollten jedoch mit Erfolg an Ringversuchen teilnehmen, um auch externen Qualitätskriterien zu entsprechen. Schwarzbach: „In meinen Augen wäre die Standardisierung Aufgabe des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Borrelien. Seit sieben Jahren ist da nichts passiert.“ Sowohl die Antigene als auch die Referenzbereiche wären zu normieren. „Sie können nicht einen Referenzbereich für alle Borreliose-Stadien hernehmen. In den einzelnen Stadien sind völlig unterschiedliche Antikörperkonzentrationen im Serum sowie im Liquor“, gibt Schwarzbach zu bedenken. „Routinelabors können das nicht leisten, sie übernehmen den Referenzbereich des Testherstellers. Ärzte in der Praxis, die Untersuchungen in Auftrag geben, wissen das oft nicht.“ Je nach Veröffentlichung liegt die Sensitivität der Tests bei 30 bis 60 Prozent. Erst nach positivem oder zumindest grenzwertigem ELISA darf der Befund mit einem Immunoblot überprüft werden, ansonsten übernehmen Krankenkassen keine Kosten. „Immunoblots sind zwar sensitiver als ELISA-Tests, schließen eine Infektion jedoch nicht aus. Die GKV erstattet aber nur das „Würfelspiel“ ELISA und gibt folglich das Schicksal des Patienten in die Hand des verwendeten Testherstellers“, kritisiert der Kollege. Selbst Immunoblots erreichen nur 60 Prozent Sensitivität. „Der letzte Ringversuch zur Neuroborreliose mit Liquor war eine ziemliche Katastrophe, Ergebnisse können um den Faktor acht variieren“, erzählt Schwarzbach.
Auf Anfrage von DocCheck berichtet eine Sprecherin des NRZ über aktuelle Arbeiten zur Standardisierung der Lyme-Borreliose-Diagnostik: Momentan arbeite ihr Haus an der Verbesserung der Blots basierend auf rekombinanten Antigenen. Hinzu käme die Entwicklung, Austestung und Einführung von Nachweisen auf VlsE-Basis (Variable major protein like sequence Expressed) sowie die Austestung und Einführung des Line-Test-Formats. Dabei handelt es sich um ein System auf Basis von IgG-Westernblots. Als weitere Schwerpunkte nannte die Sprecherin Multiplex-Tests sowie Beratung zur Entwicklung und Validierung von Tests verschiedenster Formate. Das NRZ stelle Firmen auch Materialien – insbesondere verschiedene rekombinante Antigene, monoklonale Antikörper, Patientenseren und Borrelienstämme – zur Verfügung. Zusätzlich werde ein Serumpanel etabliert.
Neben ELISA und Immunoblots haben sich methodisch anspruchsvolle Lymphozytentransformationstests (LTT) etabliert. Labors isolieren Lymphozyten aus einer Blutprobe und bestimmen, inwieweit eine Reaktion mit spezifischen Antigenen erfolgt. „Meines Erachtens ist der Test hilfreich, aber ebenfalls nicht ausschließend oder beweisend“, so Schwarzbach. Bleibt noch die Möglichkeit, über eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) bakterielles Erbgut in Punktaten, Gewebeproben oder Biopsaten aufzuspüren. Ein negatives Resultat bedeutet auch hier nicht zwangsläufig, dass Patienten borrelienfrei sind. Bei der Neuroborreliose gibt es mittlerweile interessante Arbeiten, die CXCL13 als Marker untersuchen. Bereits in frühen Phasen erhöht sich der Spiegel dieses Chemokins im Liquor und sinkt bei erfolgreicher Behandlung. Schwarzbach sagt, das Verfahren könnte als Ergänzung sinnvoll sein, da nur sieben bis neun Prozent aller Patienten mit chronischer Neuroborreliose einen positiven Antikörper-Index hätten. Alles in allem ist die Situation aber äußerst unbefriedigend. Deshalb wird die Forderung nach einer evidenzbasierten Diagnostik immer lauter.
Momentan existieren bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften nur zwei S1-Leitlinien, nämlich „Kutane Manifestationen der Lyme-Borreliose“ und „Neuroborreliose“. Hinzu kommt die Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose“ der Deutschen Borreliose-Gesellschaft. Schwarzbach: „Leider werden wissenschaftlich schwache Empfehlungen immer wieder irreführend als Leitlinien verkauft. Kollegen glauben, dass diese der Wahrheit entsprächen und keine Defizite aufwiesen.“ Deshalb planen mehrere Fachgesellschaften, eine S3-Leitlinie zu verfassen. Ob das Papier aber frei von jedem Bias sein wird, ist fraglich. Das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland sieht bei Professor Dr. Sebastian Rauer, Freiburg, mögliche Interessenskonflikte durch Berater- und Gutachtertätigkeiten in der pharmazeutisch-diagnostischen Industrie. Rauer ist einer der Koordinatoren des Vorhabens. Das nächste Problem: „Es gibt ein paar ältere Studien – das war´s. Patienten-Daten wären da, allerdings müssen diese erst einmal ausgewertet werden“, so Schwarzbach.
Eine objektive S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose würde Kollegen schon weiterhelfen. Schwarzbach verlangt auch Studien zu Antikörper-Cut-Offs bei verschiedenen Borreliosestadien. Fachartikel beziehen sich nicht selten auf veraltete Arbeiten aus den 1990er-Jahren. Zudem sollten Antikörpertests und Immunoblots „dringend durch das NRZ standardisiert werden“, und zwar „unter Berücksichtigung der drei Stadien, wenn man denn das dritte Stadium von NRZ-Seite her als Multisystemerkrankung akzeptiert.“ So oder so haben ELISAs technische Grenzen. „Wir brauchen Testverfahren, die auch etwas über die Krankheitsaktivität aussagen, dazu sind Antikörper nicht in der Lage“, sagt Schwarzbach. Darüber hinaus fordert der Arzt „Schulung, Aufklärung und Universitätsunterricht, dass es chronische Borreliose gibt.“ So lange keine geeigneten Nachweise existieren, bleibt nur der klinische, differentialdiagnostische Weg.