Suizid geht oft selbstverletzendes Verhalten (SVV) voraus. Daher sind Therapeuten alarmiert, wenn Jugendliche sich selbst verletzen - sie haben ein 10-fach erhöhtes Risiko, sich später das Leben zu nehmen. Nun wurde festgestellt, dass ein Training der Therapeuten die Therapieergebnisse verbessern kann.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass verschiedene Kurzinterventionen bei selbstverletzendem Verhalten hilfreich sind. Bereits das psychotherapeutische Erstgespräch selbst kann einen signifikant positiven Einfluss auf den weiteren Verlauf haben. Wichtig bei der Behandlung von Patienten mit selbstverletzendem Verhalten ist die Einstellung des Therapeuten. Häufige Reaktionen sind Unverständnis und Ablehnung des Patientenverhaltens – hier helfen Schulungen für Therapeuten. Psychoanalytische Untersuchungen haben gezeigt, dass selbstverletzendes Verhalten nicht selten auch eine Form der "Selbstfürsorge" ist (Küchenhoff 1999). Indem sich Jugendliche erst verletzen und sich dann um ihre Wunden kümmern, versuchen sie, mit sich selbst – aber auch mit anderen – in Beziehung zu kommen. Obwohl die Selbstverletzung auch als "Hilferuf" zu verstehen ist, brechen 25–50 % der Jugendlichen ihre ambulante Psychotherapie ab. Ob die Jugendlichen ihre Therapie fortsetzen oder nicht, hängt besonders von ihrem ersten Erlebnis in der Notaufnahme ab. Die Zeit, die zwischen dem ersten Behandlungstermin und den nachfolgenden Terminen liegt sowie die Einstellung der Behandler hat anscheinend einen Einfluss darauf, ob der Jugendliche die Therapie fortsetzt oder nicht.
Eine bestimmte Form der ersten Begegnung, das "Therapeutische Assessment" (TA), führt sehr oft dazu, dass die Jugendlichen zu ihrem nächsten Therapietermin erscheinen. Dies wiesen der britische Psychiater Dennis Ougrin und seine Kollegen vom King's College, London, in einer randomisierten Studie nach. In der Studie namens "Trial of Therapeutic Assessment in London" (TOTAL) konnten sie zeigen, dass selbstverletztende Jugendliche mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Nachfolgetermin erscheinen, wenn sie bei der ersten Begegnung mit dem Therapeuten ein "Therapeutisches Assessment" erhielten. An der Studie nahmen 70 Jugendliche teil, die randomisiert auf eine Kontrollgruppe und eine TA-Gruppe aufgeteilt waren.
Dennis Ougrin und Kollegen interessierten sich nun dafür, welche Rolle die Qualität der TA dabei spielte. Sie wollten wissen, ob Therapeuten, die in der TA-Methode geschult wurden, zu besseren Ergebnissen kamen als jene, die keine Schulung erhielten. Wie erfolgreich die Therapeuten vor und nach der TA-Schulung waren, wurde mithilfe des "Therapeutic Assessment Quality Assurance Tool" (TAQAT) ermittelt. Das Therapeutische Assessment (TA) basiert auf der Methode der "kognitiven analytischen Therapie". Der Therapeut geht dabei in 7 Schritten vor:
Die TA-Schulung für die Therapeuten besteht aus fünf halbtägigen Schulungen, die sich über 5 Wochen erstrecken. In der ersten Stunde lernen die Therapeuten, wie man mit dem Jugendlichen ein TA-Diagramm erstellt. In den nachfolgenden vier Sitzungen erhalten die Therapeuten einen Überblick über die Interventionen, die dem Erstgespräch folgen – dazu zählen die kognitiv-behaviorale Therapie, die systemisch-narrative Therapie, das motivationale Interview sowie die lösungsorientierte Kurzzeittherapie (Solution-Focused Brief Therapy, SFBT). Vor der ersten Trainingsstunde nahm in dieser Studie jeder Therapeut an einer "Objective Structured Clinical Examination" (OSCE) teil. Hierbei spielte ein Schauspieler die Rolle eines sich selbstverletzenden Jugendlichen. Das Gespräch wurde gefilmt. Danach wurde das Zusammenspiel vom Therapeuten selbst, dem Schauspieler und einem unabhängigen Rater mithilfe des TAQAT-Fragebogens bewertet. Dieses Rollenspiel wurde nach dem 5-wöchigen Trainingszyklus wiederholt. Der TAQAT eruiert, in welchem Ausmaß die fünf Ziele des TA erreicht wurden. Dabei werden folgende Fragen beantwortet:
Bewertet wurden die fünf Items mithilfe einer 10-Punkte-Likert-Skala, wobei "0" bedeutet, dass das Ziel gar nicht erreicht wurde und "10", dass das Ziel vollständig erreicht wurde. Sowohl der Therapeut, als auch ein unabhängiger Rater und der Patient selbst füllten am Ende des Therapeutischen Assessments den TAQAT-Fragebogen aus.
Insgesamt erhielten 24 Therapeuten ein TA-Training. Vor dem Training zeigte sich im Rollenspiel, dass es deutliche Unterschiede in den TAQAT-Scores gab zwischen den Therapeuten, die mehr als zwei Jahre klinische Erfahrung hatten und denjenigen, die weniger als zwei Jahre Erfahrung aufwiesen. Nach dem TA-Training war das anders: Zwar wurden noch Unterschiede zwischen den erfahrenen und "unerfahrenen" Therapeuten sichtbar, jedoch waren diese nicht mehr signifikant. Die Therapeuten, die das TA-Training erhalten hatten, führten die TA mit einer hohen Gewissenhaftigkeit und Qualität aus. Die Therapeuten erzielten nach dem Training signifikant höhere TAQAT-Scores als davor. Am häufigsten wurde nach dem TA-basierten Erst-Interview eine lösungsorientierte Kurzzeittherapie durchgeführt. Selbstverletzendes Verhalten tritt häufig nach Spannungen in Beziehungen auf. Die Affekte, die dann beim Jugendlichen entstehen, lassen sich von ihm kaum steuern. Die Qualität der Beziehung zum Therapeuten spielt also bei diesen Jugendlichen eine besondere Rolle. Gut geschulte Therapeuten gehen wahrscheinlich mit weniger Ängsten und weniger negativen Einstellungen auf die Jugendlichen zu. Die Schulung zum "Therapeutischen Assessment" trägt dazu bei, dass die erste Kontaktaufnahme gelingt. Es weckt die Motivation der Jugendlichen und lässt sie Vertrauen fassen. Interessant wäre es zu erfahren, in welchem Maß sich der positive Effekt des Erstgespräches auf die darauffolgende Psychotherapie und das selbstverletzende Verhalten auswirkt.