Valproat kann bei Schwangeren zu Missbildungen des Kindes führen. Nach dem Skandal in Frankreich ist der Staat nun um Aufklärung bemüht. Auch hierzulande wurde das Mittel Schwangeren verschrieben. Das Ausmaß ist bisher unklar, die Regierung wartet erstmal ab.
Zwischen 2007 und 2014 erhielten Tausende Schwangere Valproat, das zu Missbildungen des Kindes führen kann. Und tatsächlich brachten viele Frauen Kinder auf die Welt, die von der medikamentösen Therapie der Mutter Schäden trugen.
Der Vorfall führte 2014 zu einer Beschränkung der Indikation auf EU-Ebene. Der Wirkstoff darf seitdem nur noch in den seltensten Fällen an Mädchen sowie Frauen im gebärfähigen Alter verschrieben werden – nämlich nur bei Epilepsie und bipolaren Störungen, wenn kein anderes Medikament hilft. Diesen Schritt begründete die EMA (European Medicines Agency) mit einem deutlich erhöhtem Risiko für das ungeborene Kind. In einem Rote-Hand-Brief wies auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Dezember 2014 auf die Gefahren des Mittels hin: Nehmen Frauen während der Schwangerschaft das Antiepileptikum ein, sei die Wahrscheinlichkeit für spätere Entwicklungsstörungen bzw. Intelligenzminderung um 30 bis 40 Prozent erhöht. Zudem sei das Risiko für Autismus fünfmal höher. Dass es zu einer Spina bifida oder Gaumenspalte kommt, sei auf etwa 11 Prozent erhöht – im Normalfall liegt der Wert bei 2 bis 3 Prozent.
Der französische Staat will nun Entschädigungsarbeit leisten: Ein Fonds soll her, der die Pharmafirma Sanofi dazu zwingt, jenen Frauen Entschädigunggeld zu zahlen, denen der Wirkstoff ohne Aufklärung über mögliche teratogene Risiken während der Schwangerschaft verschrieben wurde. Dass die Einnahme von Valproaten bei Schwangeren problematisch sein kann, weiß man seit den Achtzigerjahren. In der Packungsbeilage wird seit längerem darauf hingewiesen – die Gesetze diesbezüglich wurden 2003 in Deutschland und 2006 in Frankreich verschärft. Trotzdem landete das Medikament weiterhin auf Rezepten Schwangerer in Frankreich. Die französische Untersuchungsbehörde IGAS stellte im Zuge ihrer Untersuchungen fest, dass auch nach der strengeren Regelung noch um die 450 Kinder durch die Einnahme der Mutter geschädigt oder sogar tot geboren wurden.
Laut Berichten der französischen Arzneimittelaufsicht ANSM und der Krankenkassen sollen zwischen 2007 und 2014 über 14.000 Schwangere den Wirkstoff eingenommen haben, darunter 4.300, die sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entschieden – ob die Beweggründe mit Missbildungen im Zusammenhang stehen, ist unklar. Insgesamt soll es 800 Fehlgeburten und 115 Totgeburten gegeben haben. Zudem häufen sich die Vermutungen, dass eine Therapie mit dem Wirkstoff bei Schwangeren auch Autismus, Entwicklungsstörungen oder Intelligenzminderung bei Kindern zur Folge haben kann. Laut IGAS hätte man spätestens ab 2004 Patientinnen über die Risiken informieren müssen.
Auch in Deutschland wurde Schwangeren der Wirkstoff verordnet. Er wird unter den Namen Convulex, Ergenyl, Orfiril, Valpro beta oder Leptilan vertrieben und kommt bei der Therapie von Epilepsie, bipolarer Störung, Manie und Migräne zum Einsatz. Während in Frankreich zumindest Schadensbegrenzung betrieben wird, wird hierzulande keine Initiative ergriffen. Das BfArM publizierte lediglich eine Informationsbroschüre für Patientinnen, denen das Mittel verschrieben wird. Sprecherin der Fraktion der Linkspartei Kathrin Vogler wirft der Regierung vor, das Problem kleinzureden und fordert Untersuchungen, die Aufschluss über die Situation in Deutschland geben. Es sei wichtig, zu erfahren „wie viele Kinder in Deutschland geschädigt wurden und ob die Behörden genug getan haben, um das zu verhindern“, betont sie in einem Interview.
Das Gesundheitsministerium erklärte, dass die Verschreibungen in Deutschland deutlich niedriger gewesen seien als in Frankreich und verweist mangels eigener Informationsquellen auf den IGAS-Bericht. Vom Wissenschaftlichen Institut der AOK erhielt der Spiegel kürzlich folgende Daten: In den letzten zehn Jahren soll das Mittel zwischen 250.000 und 290.000 Mal jährlich von niedergelassenen Ärzten an gesetzlich versicherte Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter verschrieben worden sein. Selbst 2015 soll dieser Patientengruppe das Medikament noch 237.000 Mal verschrieben worden sein. Informationen darüber, wie viele Betroffene schwanger wurden, liegen nicht vor. Es stellt sich somit die Frage, ob Valproat tatsächlich nur in absoluten Ausnahmefällen verschrieben wird oder öfter als vorgesehen.