Zytostatika wie Doxorubicin sind toxisch für Krebszellen und hindern damit das Wachstum des Tumors. Forscher haben nun Hinweise gefunden, dass ein anderer Effekt dieser Agentien wohl noch weit mehr zu ihrer Wirkung beiträgt: Die spezifische Aktivierung der Anti-Tumor-Abwehr.
Wer heute an Krebs erkrankt, hat viel bessere Chancen ihn überleben oder zumindest länger mit ihm zu leben als noch vor etlichen Jahren. Denn nicht nur das Wissen über den Stoffwechsel einer Tumorzelle hat sich vervielfacht, sondern auch das Arsenal der Mittel, das dem Arzt heute zur Verfügung steht, um die bösartige Geschwulst am Weiterwachsen zu hindern und sie am besten um Verschwinden zu bringen. Adjuvante Therapie: synergistische Kombination Neben den klassischen Methoden der Chirurgie, Radiotherapie und Chemotherapie mit Zytostatika stehen heute spezifische Antikörper bereit, um tumorspezifische Oberflächenstrukturen anzugreifen oder kleine Moleküle („Small Molecules“), die wichtige Bindungen im Tumormetabolismus blockieren. Schließlich gelingt es auch immer besser, das Immunsystem gegen den Feind im eigenen Körper zu mobilisieren. Viele dieser Methoden wirken synergistisch. Oft ist es eine Vielzahl von Reaktionen, die ein einzelner Wirkstoff hervorruft. Neben unerwünschten Nebenwirkungen unterstützen viele Agentien auch die Wirkung anderer Strategien bei Kombinationstherapien. Sterbende Tumorzelle lockt die Immunabwehr Ein Beispiel dafür ist eine Gruppe von Zytostatika, die Anthrazykline. Bisher, so war die allgemeine Annahme, würden sie auf Tumorzellen wie Antibiotika bei Bakterien wirken. Sie greifen die Tumorzelle an, heften sich an Zellwand und Schlüsselenzyme und bringen sie damit um. Nach einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Immunity“ im April dieses Jahres scheinen die Wirkstoffe um Doxorubicin und seinen Verwandten aber vor allem das Immunsystem zu aktivieren. Die Hauptlast der Schlacht gegen den Tumor übernehmen damit wohl die körpereigenen Abwehrzellen. Schon aus früheren Studien war bekannt, dass die Wirkung dieser Wirkstoffe von der Kraft der Immunantwort gegen den Tumor abhängt. Bei Mäusen mit geschwächter oder fehlender Abwehr sind diese Chemotherapeutika oft wirkungslos. Auch klinische Studien weisen darauf hin, dass ein intaktes oder gar zusätzlich stimuliertes Immunsystem die Wirkung der Zytostatika unterstützt. Wie die Hilfestellung für die eigene Abwehr aber genau aussieht, konnte die Forschung bisher nicht erklären. Das Team von Guido Kroemer vom Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale im französischen Villejuif zeigte jetzt, dass Anthrazykline wohl einige Zellen um die Ecke bringen, die Faktoren dieser sterbenden Zellen jedoch Immunzellen zum Tumor locken und aktivieren. Chemotherapie macht den Tumor zum Vakzin Im Gegensatz zu anderen zytotoxischen Agentien sorgen diese Chemotherapeutika dafür, dass etwa Calreticulin auf der Zelloberfläche der sterbenden Zellen erscheint, wie die Forscher in ihren Experimenten mit Mäusen zeigten. Dieses Signal wiederum fordert eine Subgruppe dendritischer Zellen auf, sich umgehend an ihre Arbeit zu machen. Diese antigenpräsentierenden Zellen (APC) besitzen die Eigenschaften inflammatorischer dendritischer Zellen und granulomonozytischen Vorläuferzellen. Gleichzeitig entlässt die Tumorzelle am Ende ihres Lebens auch ATP aus ihrer Hülle. Neben der Funktion als Energielieferant rekrutiert dieser molekulare Lockstoff auch myeloide Zellen an den Ort des Geschehens und sorgt für die lokale Ausreifung der dendritischen Zellen. Mit der Präsentation von Tumorantigenen gegenüber T-Zellen aktivieren die APC eine effektive zelluläre Immunantwort gegen den Tumor, Basis für das Verschwinden der bösartigen Zellmassen. Diese T-Zellen sorgen schließlich auch beim adoptiven Transfer in andere Mäuse für eine effektive Reaktion gegen den gleichen Tumor. Vorerst gelten diese Erkenntnisse nur für das Tiermodell, jedoch laufen ähnliche Vorgänge wahrscheinlich auch beim Menschen ab. „Erfolgreiche Chemotherapeutika“, so erläutert Guido Kroemer seine Befunde, „verwandeln den Tumor in ein therapeutisches Vakzin und mobilisieren so das Immunsystem des Empfängers gegen den Krebs.“ Zytostatika: Wirkung auch gegen Abwehr-Begrenzer Anscheinend sind nicht nur Anthrazykline in der Lage, eine solche Immunreaktion anzutreiben. Auch Bestrahlung sorgt für den „immunogenen Zelltod“. ATP, Calreticulin oder auch HMGB1 (high mobility group protein B1) zählen zu „Danger“-Molekülen, die in solchen Fällen dendritische Zellen anlocken und für eine spezifische T-Zell-anti-Tumor-Antwort sorgen. Wie bei Cyclophosphamid gezeigt, unterdrücken solche zytotoxischen Wirkstoffe auch regulatorische T-Zellen, die manchmal allzu strengen Kontrolleure einer erwünschten Immunantwort. Zumindest im Tierversuch konnten auch Gemcitabin und 5-Fluorouracil erfolgreich Myeloid-derived-Suppressor-Cells (MDSC) daran hindern, die Immunreaktion zu begrenzen. Tumor-Immunoediting Nicht immer ist aber ein starkes Immunsystem auch in der Lage, den Tumor weitgehend auszurotten. Denn der starke Selektionsdruck auf schnell wachsende Zellen sorgt für „Escape“-Varianten. In einem „Science“-Review aus dem Jahr 2011 beschreibt Robert Schreiber von der Washington University School of Medicine in St. Louis das „Immunoediting von Tumoren“. Überträgt man etwa den induzierten Tumor von einer Maus mit starker Immunantwort auf eine Wildtyp-Maus, wächst der Tumor nahezu unbehindert weiter. Anders bei immundefizienten Mäusen: Tumoren, die zuvor keinen Angriff der Abwehr erlebt hatten, wuchsen nur in etwa der Hälfte aller Mäuse mit intaktem Immunsystem an. Anscheinend hatte der Frontalangriff der Abwehr in ersten Fall auch die Überlebenskräfte des Tumors gestärkt. Nicht selten führt ein solcher Wettstreit zwischen entarteten Zellen und Immunsystem zu einem Gleichgewicht, dass manchmal auch lebenslang stabil ist. So berichtet eine Studie über zwei Nierentransplantationen an Empfänger, die beide an malignem Melanom erkrankten, das vom Spenderorgan ausgingen. Es stellte sich heraus, dass der Spender 16 Jahre vor seinem Tod erfolgreich gegen diesen Tumor behandelt wurde. Wahrscheinlich, so die Interpretation der Experten, hielt das Immunsystem des Spenders den Tumor erfolgreich in Schach, auch wenn es ihn nicht vollständig beseitigen konnte. Im „unerfahrenen“ System der Empfänger konnten die noch vorhandenen Melanomzellen jedoch zu einem sichtbaren Krebsherd auswachsen. Starke Partner: Chemo- und Immuntherapie Noch immer gelten Zytostatika als Basistherapeutika einer erfolgreichen Tumortherapie, allerdings oft verbunden mit toxischen Nebenwirkungen und dem Auftreten von Resistenzen. Besonders Therapien, die das Immunsystem spezifisch gegen den Tumor stimulieren, werden so immer mehr zu einer attraktiven Alternative zur „guten“ erprobten Chemotherapie. Wahrscheinlich dürfte eine Kombination beider Optionen in vielen Fällen das Beste sein. Bisherige erfolgreiche Behandlungsformen und Immuntherapien „könnten etwa so kombiniert werden“, skizziert Guido Kroemer zukünftige Strategien, „dass Immunzellen auf optimale Weise rekrutiert werden und bestmöglich funktionieren. Das gelänge beispielsweise, indem man die Konzentrationen an extrazellulärem ATP in die Höhe treibt und auf diese Weise anstrebt, die Chemotherapie-induzierte Antwort auf den Krebs zu steigern.“ Schon jetzt haben viele Studien begonnen, die Chemo- und Immuntherapie zusammen einzusetzen. So half etwa eine Kombination von Gemcitabin zusammen mit einem Vakzin für dendritische Zellen zu einer signifikanten Lebensverlängerung bei metastatischem Pankreaskarzinom. Ähnlich gute Ergebnisse gibt es bei der Melanombehandlung oder dem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom. Mit dem besseren Wissen um die Wirkung von Zytostatika könnten sich solche Erfolgsmeldungen noch häufen.