Tupfer, Skalpell, – Tastatur. Ein Medizinstudium muss nicht unbedingt bedeuten, dass man später auch als Arzt tätig ist. Die Arbeitsfelder sind breit gefächert. Im Interview mit DocCheck verrät der studierte Mediziner Torsten Stiewe, wie er zu seinem Traumberuf "Medizinredakteur" kam.
Manch ein Student verspürt während seines Studiums, dass er möglicherweise nicht im gelernten Beruf tätig sein möchte. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Auch Torsten Stiewe bemerkt während seines Medizinstudiums, dass es ihn zu einem anderen Berufszweig zieht: dem Medizinjournalismus. Wie es dazu kam und was er Studenten rät, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, eine andere Berufsrichtung einzuschlagen, verrät er uns im Interview. DocCheck: Warum hast Du Dich damals für ein Medizinstudium entschieden? Stiewe: Schon während meiner Schulzeit hatte ich ein besonderes Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern. Ich habe häufig darüber nachgedacht, dass mir ein Medizinstudium sicherlich Spaß machen würde. Als die Berufswahl konkreter wurde, standen bei mir zwei recht gegensätzliche Fächer hoch im Kurs: Entweder ein Kunst- oder Medizinstudium. Letztlich habe ich mich dann für ein Medizinstudium entschieden, weil ich mich nicht so recht als Künstler sah. Als ich mich dann endgültig für ein Studium der Medizin entschied, musste ich natürlich noch den Medizinertest bestreiten – der dann auch noch recht positiv ausgefallen ist. Also begann ich dann 1996 an der Universität Göttingen Medizin zu studieren. DocCheck: Wie viele Semester hast Du gebraucht? Stiewe: 2004 habe ich mein Examen gemacht. Insgesamt habe ich 15 Semester studiert. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht durchgängig studiert habe. Ich habe mir nach dem zweiten Staatsexamen eine kleine Studiumspause gegönnt und zwei Semester lang an einem Theater verbracht. Ich hätte natürlich gleich ins PJ wechseln können, ich gebe aber zu, dass mir persönlich das einfach zu anstrengend war. Außerdem hatte ich einfach ein wenig Scheu davor, nun praktisch zu arbeiten. Ich wollte einfach vorher noch andere Dinge erleben und meine Studentenzeit auskosten. Krankheitssuche: Ein großes Quiz DocCheck: Während Deines Studiums, was war Dein liebstes Fachgebiet? Stiewe: Zu Beginn des Studiums ist man in den vorklinischen Fächern und alles ist sehr theoretisch. Während dieser Zeit fand ich persönlich das Fach Anatomie am interessantesten, obwohl dies – jedenfalls für mich – auch am anstrengendsten war. Es gab sehr viel Lernstoff und zum Teil sehr harte Prüfungen. Aber ich fand es sehr interessant herauszufinden, wie der menschliche Körper aufgebaut ist. Später haben es mir die Infektiologie und die Mikrobiologie angetan. Ich fand es beeindruckend, wie Krankheiten entstehen und welche Symptome dahinter stehen. Ich habe die Suche nach Krankheiten immer als eine Art Quiz gesehen. Welche Symptome gibt es, was kann dahinter stecken. Neben der Inneren Medizin fand ich aber auch die Psychiatrie sehr interessant und damit verbunden natürlich alle psychiatrischen Erkrankungen. DocCheck: Wenn Du nun nicht als Redakteur arbeiten würdest, in welche Richtung hätte es Dich dann fachlich gezogen? Stiewe: Ich habe mit der "Inneren" begonnen. Gerade wegen der großen Bandbreite fand ich diesen Bereich am interessantesten. Ich dachte damals, dass ich in diesem Bereich besonders viel Routine bekomme. In meinem praktischen Jahr habe ich in einer Psychiatrie gearbeitet und empfand dies als das angenehmste Tertiär. Wenn ich heute nicht als Redakteur arbeiten würde, hätte es mich also am ehesten zur Psychiatrie gezogen. DocCheck: Warst Du während Deiner Ausbildung ein Hypochonder? Stiewe: Nein, gar nicht. Natürlich habe ich immer wieder ein paar Symptome an mir selbst feststellen können. Aber das ich dadurch dann eine Angst entwickelt hätte und dachte, ich hätte ganz viele Erkrankungen, das war nicht der Fall. Aber ich war selbst ja auch noch viel jünger und da ist man ja auch noch viel gesünder. Jetzt als Redakteur tauche ich noch genau so häufig in verschiedene Bereiche ein und werde viel mehr mit Erkrankungen konfrontiert, die häufiger auftreten. Während des Studiums lernst du ja sämtliche Kleinigkeiten und mitunter auch eher seltenere Krankheiten, weil gerade die häufiger abgefragt werden. Als Redakteur hat man gerade die großen Themen. Wenn man sich dann mit der Onkologie und den Risikofaktoren befasst, macht man sich mehr Gedanken. Vielleicht aber auch, weil man nun ein wenig älter ist. DocCheck: Welches Erlebnis während Deines Studiums war für Dich besonders erschütternd? Stiewe: Teilweise Patientenschicksale, die man mitbekommen hat. Wobei ich mich davon doch immer recht gut abgrenzen konnte. Besonders erschüttert hat mich aber wohl die Ellbogenmentalität während meines Studiums. Ich glaube - im Nachhinein betrachtet - war ich diesbezüglich ein wenig blauäugig als ich mein Studium begonnen habe. Gerade vor Prüfungen wurde man überrumpelt und andere haben sich übervorteilt. Ich hatte den Eindruck, dass das Sozialverhalten der Kommilitonen mitunter mangelhaft war. Burschenschaften: "Einfach nicht meine Linie" DocCheck: Was denkst Du, woran dies lag? Stiewe: Diese Kommilitonen hatten einen besseren Stand bei den Dozenten. Auch hatte ich mich vor meinem Studium noch nie mit Burschenschaften beschäftigt. Doch gerade an der Universität Göttingen waren diese während meiner damaligen Studentenzeit besonders aktiv. Ich war dann schon irgendwann sehr verwundert. Ich habe schnell festgestellt, dass nun praktizierende Oberärzte damals in Burschenschaften zu finden waren und man durch Vitamin B demnach auch – natürlich nicht zwingend – bessere Anstellungen annehmen kann. Zu Beginn meines Studiums dachte ich allerdings noch, dass alle mit den gleichen Voraussetzungen starten. Man hat dann jedoch sehr schnell bemerkt, dass dies eben doch nicht der Fall ist. Es gab eben doch Strukturen, die den einen mehr protegieren als den anderen. Mich hat dies aber nie neidisch gemacht. Ich selbst bin auch nie einer Burschenschaft beigetreten. Das war einfach nicht meine Linie. Ich weiß aber noch, dass mich dies alles erst sehr verwirrt hat. Ich habe ein Dorfgymnasium besucht, da gab es solche Burschenschaften oder ähnliches einfach nicht. Vielleicht ist das aber auch einfach so. In der Schule ist man noch behütet und dann zeigt sich nun mal zwangsläufig irgendwann die Realität. DocCheck: Hast Du vor Deiner Redakteurskarriere als Arzt praktiziert? Stiewe: Genau. Ich wollte mich ausprobieren und testen, ob der Arztberuf vielleicht doch das Richtige für mich ist. Ich wollte für mich selbst herausfinden, ob ich mich irgendwann nicht mehr selbst so unter Druck gesetzt fühle, sondern auch Lust und Spaß an der Arbeit entwickle. Denn eines ist Fakt: Spaß hatte ich wirklich nicht immer. Während meiner Praktikumszeit habe ich schon gespürt, dass mir manche Dinge, wie z.B. die Stationsarbeit, keinen Spaß machen. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass ich bloß keinen Fehler bei Patienten begehen darf. Hinzu kam noch die Dokumentationsarbeit, auf die mich das Studium gar nicht vorbereitet hat. Meine To do-Liste während der Arbeit wurde immer länger. Ich kam überhaupt nicht mehr hinterher. Das hat dann auch den Ausschlag gegeben, dass der Arztberuf für mich wohl nicht das Richtige sein kann. DocCheck: Wusstest Du schon während Deines Studiums, dass Du später eine alternative berufliche Richtung einschlagen möchtest? Stiewe: Ich habe es geahnt. Je weiter mein Studium voranschritt, umso weniger war ich davon überzeugt, dass die Rolle des Arztes auf mich passt. Trotzdem habe ich mein Studium beendet. Mich persönlich hat der Medizinerberuf sehr unter Druck gesetzt. Gerade als ich dann als Arzt gearbeitet habe, habe ich gemerkt, dass ich mit dem Druck nicht besonders gut umgehen kann. Ich war nie das "Vollblut-Medizinertier". Ich fand die Thematiken der Medizin immer ungeheuer interessant, habe mich aber nie als Retter gesehen. Und als Berufung habe ich den Job auch nicht gesehen. Während meiner Medizinertätigkeit habe ich dann gehofft, dass ich durch die einsetzende Routine auch mehr Spaß am Beruf entwickle. Natürlich haben mir viele Dinge, wie zum Beispiel der Kontakt mit den Patienten, sehr viel Freude und Spaß bereitet, aber ich habe schon gemerkt, dass ich möglicherweise doch nicht als Arzt praktizieren möchte. Der Grund war wohl, dass ich Schwierigkeiten mit der großen Verantwortung hatte, die der Arztberuf mit sich bringt. Ich habe mir immer viel mehr Druck gemacht, als eigentlich nötig. Bei allem was ich tat, dachte ich an die Konsequenzen, die ein Fehler nach sich ziehen könnte. Vielleicht war ich da mehr Hypochonder als bei mir selbst. Wissen anders verpackt DocCheck: Warst Du schon während Deiner Studentenzeit als Journalist tätig? Stiewe: Nein, journalistisch habe ich noch nicht gearbeitet. Ich war allerdings als Honorarlehrer tätig. Ich habe Arzthelferinnen in Ausbildung medizinischen Fachunterricht gegeben. Das war keine journalistische Arbeit im Sinne von Texterstellung oder Pressearbeit. Damals war mir aber auch der Beruf des Medizinjournalisten noch nicht wirklich präsent. Ich habe allerdings während der Zeit als Honorarlehrer medizinisches Wissen anders "verpackt" und für die angehenden Arzthelferinnen aufbereitet. Schon während dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich daran besonders viel Freude habe. DocCheck: Wie kamst Du schlussendlich zu Deiner journalistischen Tätigkeit? Stiewe: Ich habe dann, als ich als Arzt gearbeitet habe, sehr stark gemerkt, dass ich definitiv nicht in diesem Beruf tätig sein möchte. Deshalb habe ich mich umgeschaut, welche Alternativen ich als Mediziner habe. Denn ich wusste sehr genau, dass ich die fachliche Thematik des Medizinberufes beibehalten wollte. Demnach wollte ich also nichts völlig anderes machen. Ich habe dann begonnen diverse Beratungsgespräche wahrzunehmen und habe zudem noch selbst recherchiert, welche Möglichkeiten ich habe. Ich bin dann recht schnell auf den Medizinjournalismus gestoßen. Zufällig hat eine Agentur in Köln junge Mediziner als medizinische Redakteure und Projektmanager rekrutiert. Das Aufgabenfeld der Firma war Marketingkommunikation für Pharmaunternehmen und Fortbildungen für Ärzte. Dort habe ich mich beworben und wurde genommen. Ich habe dann schnell gemerkt, dass der Beruf des Medizinredakteurs genau der Richtige für mich ist. Berufsbegleitend habe ich an journalistischen Fortbildungen und Projekten teilgenommen. Und begann dann 2009 bei medproduction. Ich hatte den Wunsch nach einer Veränderung. Nachdem ich mich bei der anderen Agentur ausschließlich mit Ärzten beschäftigt habe, wollte ich einfach mal ein anderes Zielpublikum. Ich wollte mich weiterentwickeln und auch journalistisch vorankommen und natürlich besser werden. Gesucht wurde ein Mediziner, der medizinische Qualitätssicherung von Patiententexten übernehmen kann, selbst schreibt und genügend Berufserfahrung hat, um eigenständig Projekte durchzuführen. Dies mündete dann in dem Tätigkeitsfeld Redaktionsleitung für Medizin. DocCheck: Wie sieht heute Dein Berufsalltag aus? Stiewe: Mit meinem Firmenwechsel änderte sich ebenfalls mein Tätigkeitsfeld. Ich brachte eigene Qualifikationen mit. Dadurch änderten sich für die Firma die Aufträge, die sie annahmen. So bieten wir nun unter anderem Fortbildungen für Ärzte an. Generell haben wir aber ganz unterschiedliche Kunden. Auch Agenturen, die in ihren eigenen Agenturen Lücken entdecken, die wir dann schließen oder auch Endkunden wie Krankenkassen, Behörden oder die Pharmaindustrie. Mit PR beschäftigen wir uns allerdings nicht. Vielmehr sind wir ein Dienstleistungsbüro für Redaktionelles, bieten Fortbildungen für Ärzte an und verfassen spezielle Drehbücher. Ich persönlich schreibe natürlich auch, aber vielmehr koordiniere ich Mitarbeiter und freie Mitarbeiter und lektoriere fertige Texte. DocCheck: Nun wo Du als Redakteur arbeitest, bist Du zudem noch als Mediziner tätig? Stiewe: Nein. Derzeit könnte ich mir auch nicht vorstellen, wieder als Arzt zu arbeiten. Ich bereue meine Entscheidung nicht. Schade finde ich natürlich, dass man viele medizinische Tätigkeiten verlernt. Ich hätte es bereut, wenn ich mein Studium abgebrochen hätte. Und dann kurz vor Schluss gesagt hätte, ich mache das nicht fertig, weil die Hürden wie Examina natürlich hoch sind. Wenn man selbst nicht so genau weiß, ob das Studium tatsächlich das Richtige ist, ist es natürlich schwer, immer die nötige Motivation aufzubringen. Links und rechts schauen DocCheck: Wie schaut es in Deinem Privatleben aus? Wirst Du manchmal auf Symptome angesprochen und zu Deiner fachlichen Meinung befragt? Stiewe: Komischerweise nervt mich das eher, wenn ich nach möglichen Krankheiten gefragt werde. Vermutlich kennen praktizierende Ärzte diese Fragen noch mehr als ich. Wenn diese klinisch tätig sind, sind sie noch viel mehr in dieser Rolle drin. Wenn also jemand zu mir sagt, du bist doch Arzt und ich habe dieses oder jenes, dann ist es bei mir so, dass ich diesen Personen sage, dass hinter den Symptomen sehr viel stecken kann. Natürlich kann ich dann was dazu sagen, doch das ist natürlich rein spekulativ, da ich keine Tests durchführe und dementsprechend keine Diagnose stellen kann. Den meisten rate ich einfach nur: Weißte was, geh doch einfach mal zum Arzt! Es ist natürlich in der Familie so, dass man einen anderen Bezug hat. Da macht man sich schneller und mehr Sorgen, wenn Eltern oder Geschwister etwas haben. Da gerate ich schon schnell in eine medizinische Verantwortungsposition. Gerade auch, weil ich der einzige Arzt in meiner Familie bin. Da sage ich dann schon, dass Mutter oder Vater vielleicht mal zum Arzt gehen sollten. Gerade weil Eltern älter werden, bin ich darauf bedacht, dass sie auch an Vorsorge- und Routineuntersuchungen teilnehmen. Man ist also schon ein bisschen hellhöriger. Aber ich würde mir da nie anmaßen, Diagnosen zu stellen. Dafür bin ich einfach schon zu lange aus dem Job. DocCheck: Und bei Dir selbst? Therapierst Du Dich selbst oder gehst Du zu einem Arzt? Stiewe: Wenn ich etwas habe, dann kann ich ganz gut beurteilen, ob ich zu einem Arzt muss oder nicht. Und dann gehe ich auch zum Arzt und lasse mir Medikamente verschreiben. Ich schreibe mir auch nie Rezepte, auch wenn ich das natürlich könnte. DocCheck: Was rätst Du Studenten, die ebenfalls die medizinische Komponente interessiert, die aber nicht als Arzt tätig sein wollen? Stiewe: Wenn man feststellt, dass man später vielleicht nicht als Arzt tätig sein möchte, ist mein Ratschlag, erst einmal das Studium zu beenden. Gerade wenn man einen Quereinstieg startet, ist es natürlich von Vorteil, ein abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen zu können. Demnach ist das Studium schon ein Türöffner, weil natürlich davon ausgegangen wird, dass Mediziner ihr Studium durch eine gehörige Portion Motivation und Zuverlässigkeit absolviert haben. Sollte man also etwas anderes machen wollen, rate ich, noch mehr als ich es getan habe, über den Tellerrand zu gucken. Ruhig links und rechts schauen oder auch mal in Redaktionen, Verlagen oder Agenturen nachfragen und Praktika absolvieren oder auch den Arbeitsplatz besichtigen, gerade in der Medienbranche sind die Leute sehr offen und lassen sich gerne über die Schulter schauen.
Torsten Stiewe ganz privat – zum Schluss ein kleines "Frage-Antwort-Spiel":