Dem Patientenwunsch, Frakturimplantate wieder zu entfernen, sollten Orthopäden mit Zurückhaltung begegnen: Nicht immer bessern sich die Beschwerden nach entsprechenden OPs. Doch es gibt Perspektiven: Materialwissenschaftler arbeiten an abbaubaren Legierungen.
Belassen oder entfernen, das ist bei Instrumentierungen häufig die Frage. Autoren wissenschaftlicher Fachartikel raten, Nutzen und Risiken gründlich abzuwägen. Bei Dislokationen oder Materialermüdungen ist eine OP häufig indiziert. Das gilt auch für Infektionen – Orthopäden haben vor allem Studien im Bereich der Endoprothetik durchgeführt, was zumindest grobe Anhaltspunkte liefert. Besonders häufig fanden sie Listeria monocytogenes. Durch Antibiotika allein ließ sich ein Infekt kaum in den Griff bekommen, vielmehr musste das Implantat entfernt werden. Schwieriger wird es bei Patienten, die ohne medizinische Indikation subjektiv eine OP wünschen. Je nach Lage und Funktion von Metallteilen sind entsprechende Eingriffe mit mehr oder minder großen Risiken verbunden. Einige Beispiele: Sehne in Nöten Distale Radiusfrakturen gelten als häufigste Knochenbrüche schlechthin. Nach einer Plattendeckung kommt es immer wieder unbemerkt zu Sehnenschäden bis hin zur Ruptur. Manchmal geben Sehnenscheidenentzündungen oder Sehnenluxationen wichtige Hinweise. Eine Option: Schon bei der Osteosynthese helfen weiche Abdeckmaterialien, um den direkten Kontakt zwischen Sehne und Implantat zu vermeiden. Nicht gedeckte Platten sollten nach Abschluss des Heilungsprozesses aber entfernt werden. Liegen beispielsweise Schrauben gut am Knochen an, ist deren Eliminierung nicht zwangsläufig erforderlich und auch nicht immer sinnvoll, ohne Weichteilschäden in Kauf zu nehmen. Das Kreuz mit dem Kreuz Bei Eingriffen an der Wirbelsäule sollten Orthopäden bereits in der Planungsphase überlegen, ob eine temporäre oder permanente Versteifung von Wirbeln notwendig ist, um spätere Eingriffe nicht zu erschweren. Autoren verschiedener Lehrbücher raten bei lumbalen, thorakalen oder zervikalen Instrumentierungen vorübergehender Natur zur Entfernung nach sechs bis neun Monaten, falls Frakturen gut ausgeheilt sind. Ventrale Instrumentierungen sollten im Regelfall nicht entfernt werden. Dazu ein paar Zahlen aus der Praxis: In eine Studie wurden 865 Patienten mit traumatischen Frakturen von Brust- und Lendenwirbelsäule aufgenommen. Orthopäden griffen 733 Mal zum Skalpell, 52 Betroffene erhielten eine nichtoperative Behandlung und bei 69 Fällen wurde eine Knochenzementaugmentation durchgeführt. Weitere sieben Patienten erhielten anderweitige Behandlungen. Bei 382 Patienten (44 Prozent) entschlossen sich Ärzte, Implantate nach rund 15 Monaten wieder zu entfernen. Bleibt zu klären, ob alle Patienten wirklich davon profitieren. Erfolg fraglich Mathematiker und Orthopäden untersuchten in diesem Zusammenhang über finite Elemente, welchen Einfluss eine Entfernung der Instrumentierung hat. Das Verfahren simuliert Verformungen von Festkörpern und ist aus der Automobilbranche hinlänglich bekannt. Durch die geringere Steifigkeit verringert sich die Belastung benachbarter Bandscheiben, lautet ihr Resultat. Bei Skoliose-Patienten kann es jedoch zu neuerlichen Beschwerden kommen. Vier von 14 Patienten klagten postoperativ über stärkere Schmerzen nach Entfernung längerstreckiger Implantate. Ähnliche Probleme haben Ärzte bei Osteoporose beschrieben – mit dem Fazit, Schrauben nicht ohne medizinische Indikation zu entfernen. Kommt es zu implantatassoziierten Beschwerden, brachte die Bergung von Pedikelschrauben nach dorsaler Instrumentierung nur bei 12 Prozent eine vollständige Schmerzfreiheit. Andere Veröffentlichungen bewerten entsprechende Eingriffe jedoch als Erfolg. Damit bleibt als Fazit, vorab zu klären, welchen Nutzen Patienten wirklich haben und mit welchen Risiken beziehungsweise Komplikationen zu rechnen ist. Gelenke auf dem Sprung Verwenden Orthopäden Platten am Außenknöchel, empfinden dies Patienten häufig als störend – hier drückt sprichwörtlich der Schuh. Eine Entfernung nach zwölf Monaten liefert in rund drei Viertel aller Fälle exzellente Resultate. Unproblematische Implantate an der Fußwurzel, an Zehengliedern oder am Mittelfußknochen können im Körper verbleiben. Frakturen der distalen Gelenkfläche der Tibia sind bei Risikopatienten kritischer zu bewerten. Besteht eine Osteoporose als Vorerkrankung oder ist mit Belastungen durch intensiven Sport zu rechnen, sollte gegebenenfalls länger abgewartet werden. Das gilt ebenfalls bei einer Schrauben-Arthrodese des oberen Sprunggelenks. Nach osteochondralen Refixationen sollten Schrauben aber entfernt werden, da es ansonsten zur Arthrose kommen kann. Andere Länder – anderes Vorgehen Syndesmosenstellschrauben bei einem Außenknöchelbruch werden regional ganz unterschiedlich bewertet. In Europa argumentieren Kollegen mit Einschränkungen der natürlichen Beweglichkeit im distalen Fibulotibialgelenk und entfernen fixierende Teile nach sechs bis acht Wochen. Angloamerikanische Kollegen setzen eher auf die körpereigene Mobilisation und belassen Schrauben an Ort und Stelle. In den letzten zehn Jahren haben Orthopäden dazu etliche Arbeiten veröffentlicht – mit ganz unterschiedlichem Fazit. Manche Untersuchungen zeigten keine klinischen Unterschiede zwischen Patienten, deren Schrauben entfernt oder im Körper belassen worden waren. Im letzteren Fall kam es teilweise zum Bruch oder zur Lockerung des Materials. Andere Autoren berichten, nach einer Entfernung von Metallteilen habe sich die Funktionalität des Sprunggelenks deutlich verbessert. Häufig lautet die Empfehlung, intakte Schrauben nach Möglichkeit zu entfernen, aber beschädigte, schwer zu bergende Implantate nicht anzutasten, um größere Läsionen zu vermeiden. Bald könnten diese Überlegungen obsolet werden. Degradation statt Explantation Ingenieure arbeiten mit vereinten Kräften an Schrauben und Knochenstiften aus resorbierbaren, metallischen Osteosynthesematerialen (RemOs). Im Gegensatz zu Polymeren hätten RemOs den Vorteil, hinreichend stabil zu sein, um größere Brüche zu fixieren. Auch kam es bei Kunststoffmaterialien teilweise zu Entzündungen und allergischen Reaktionen, nicht aber bei Magnesium. Dessen Abbauprodukt Magnesiumhydroxid wirkt sogar osteoproliferativ. Eine Herausforderung: Magnesium wird im Körper schneller abgebaut, als Knochen heilen. Dabei entsteht Wasserstoff – und größere Gasblasen könnten Regenerationsvorgänge behindern. Materialwissenschaftler testen deshalb Legierungen, die zusätzlich noch Aluminium, Zink, Zirkonium, Strontium, Platinmetalle oder seltene Erden enthalten. Durch die einzelnen Bestandteile sowie durch Hydroxylapatit-Beschichtungen können sie grob steuern, wie schnell der Körper Implantate resorbiert. OPs zur Entfernung von Instrumentierungen wären damit in vielen Fällen passé.