In Duisburg simuliert man das Krankenhaus der Zukunft. Bürokratische Arbeit wird dem Computer überlassen, damit Ärzte mehr Zeit für ihre Patienten haben. Ein Chip-System soll die interne Kommunikation erleichtern, Abläufe optimieren und Überstunden vorbeugen.
Man könnte das Krankenhaus in seinem momentanen Zustand als Telefonzelle des Gesundheitswesens bezeichnen – funktionieren tut es, aber das System ist veraltet. Das bedeutet für Ärzte vor allem jede Menge Bürokratie. Die verdirbt vielen die Freude an der Arbeit und hält auf. Rund 70 Prozent der Klinikärzte beklagen, nicht ausreichend Zeit für die Behandlung von Patienten zu haben, wie eine Mitgliederbefragung des Marburger Bunds zeigte.
Dabei wäre diese Art Mehraufwand in den meisten Fällen gar nicht (mehr) notwendig, würde man auf das gesamte Spektrum der technischen Möglichkeiten zurückgreifen, die heutzutage zur Verfügung stehen. Es herrscht Nachholbedarf in puncto Hospital Engineering – darunter verstehen Experten den Überbegriff für die Optimierung von Behandlungsabläufen sowie Personal- und Materialmanagement. Die Tatsache, dass jedes fünfte Krankenhaus rote Zahlen schreibt, sei auf mangelnde Effizienz und fehlendes Bewusstsein für Verbesserungsbedarf zurückzuführen, heißt es in einer Pressemitteilung des Forschungsprojekts.
In einem Duisburger Krankenhaus wird bereits jetzt so gearbeitet, wie es in der Zukunft idealerweise ablaufen könnte: Seit 2013 existiert dort das Hospital Engineering Labor im Fraunhofer-inHaus-Zentrum. Dabei handelt es sich um eine Testumgebung mit OP-Saal, Arzt- und Patientenzimmer, Reha-Bereich mit Trainingsgeräten und Lagerräume auf 350 Quadratmetern. Hier werden Prototypen eingesetzt, die in fünf oder zehn Jahren vielleicht schon den ärztlichen Alltag bestimmen werden.
Früher oder später soll ein kleiner Technik-Sensor in tausenfacher Zahl Teil einer jeden Klinik-Ausstattung sein. Der sogenannte RFID-Chip funktioniert berührungslos mittels elektromagnetischer Wellen. Er wird häufig als Transponder anstelle von Schlüsseln genutzt oder dient als Schutz vor Diebstahl von Produkten in Shops. Einsatz von RFID-Chips zur berührungslosen Zugangskontrolle © Fraunhofer Institut Jeder Mitarbeiter erhält einen solchen und trägt ihn während der Arbeitszeit bei sich. Auch alle Arbeitskittel und sämtliches OP-Besteck sind mit Chip versehen. Diese Technologie spielt im Versuchsmodell eine zentrale Rolle: Für alle Mitarbeiter soll auf diese Weise nachvollziehbar sein, wer und was sich gerade wo befindet. In den Bereichen Kommunikation und Dokumentation soll das zu einer spürbaren Entlastung der Arbeitskräfte führen.
Ein weiteres Feature der futuristischen Klinik sind intelligente Fußböden in Krankenzimmern: Wenn ein Patient im Badezimmer stürzt, sendet das System sofort ein Signal an den Pflegestützpunkt. An den Decken der Patientenzimmer sind Schienen mit Gurten angebracht, die beim Umlagern helfen. Die Gurte reagieren sensibel auf das Gewicht der Patienten und ziehen sich bei Nichtgebrauch automatisch in die Decke zurück. OP der Zukunft im inHaus-Zentrum in Duisburg © Fraunhofer Institut
Ein OP-Bericht kann zu einem großen Teil automatisch erstellt werden, denn wann welcher Mitarbeiter kommt und geht, wird vom System registriert. Käme noch eine Spracherkennungssoftware hinzu, die Kommentare während der OP aufzeichnen könnte, wäre überhaupt keine Berichterstattung nach dem Eingriff mehr notwendig und der Chirurg könnte sich umgehend um den nächsten Patienten kümmern. Zudem lassen sich während einer OP häufig auftretende Fehler künftig eindämmen. Nach einem chirurgischen Eingriff kann das System kontrollieren, ob das OP-Besteck vollzählig auf seinem Platz ist. Durch den Sensor lässt sich rechtzeitig feststellen, wenn beispielsweise versehentlich noch ein Tupfer in der Bauchhöhle vergessen wurde.
In der Summe sind kleine Zeitersparnisse von großer Bedeutung, das gilt vor allem auch für die Logistik. Mit einem praktischen Beispiel lässt sich gut nachvollziehen, wie umfangreich man neue Technologien nutzen kann: Ein Desinfektionsmittelspender, der seine Restfüllmenge digital anzeigt, die Daten an das Lager sendet und bei Bedarf eine Lieferung an die jeweilige Station in Auftrag gibt, erleichtert die Klinikroutine für alle Beteiligten enorm.
Doch die Möglichkeiten der Vernetzung fangen damit erst an: Mithilfe von RFID kann ein Spender auch erkennen, welcher Mitarbeiter gerade vor ihm steht – und speichern, wieviel Desinfektionsmittel derjenige verbraucht hat. Dass Hygienevorschriften nicht eingehalten werden, ist ein weit verbreitetes Problem in Kliniken. Schon vor Jahren warnte das Bundesministerium, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 400.000 bis 600.000 Patienten an einer Infektion erkranken, die sie mangels ausreichender Hygiene der Mitarbeiter im Krankenhaus erworben haben. Bis zu 15.000 Menschen sterben jährlich an nosokomialen Infektionen. Aus diesem Grund werden seit Anfang des Jahrtausends Handhygiene-Monitoring-Systeme entwickelt und sind, wenn bisher auch selten, bereits im Einsatz. Im Idealfall ist zukünftig jedes Krankenhaus mit dieser Art Kontrollmechanismus ausgestattet. Wenn ein RFID-Träger vorbeiläuft, ohne sich die Hände zu desinfizieren, kann der Spender direkt einen Warnton ausstoßen und den Mitarbeiter heranzitieren: Hände desinfizieren!
Zwischen dem heutigen Krankenhaus und dem skizzierten Szenario stehen keine technischen Hürden, sondern ausschließlich finanzielle und gesetzliche – und eine Menge Skepsis seitens der Mitarbeiter. Mehr Kontrolle und Einsicht über die internen Abläufe einer Klinik bedeuten auch weniger Privatsphäre für die Angestellten. Kollegen befürchten, sich in wenigen Jahren in einer Situation wiederzufinden, in der sie unter permanentem Rechtfertigungsdruck stehen. Das wirft die Frage auf, welches Mitspracherecht die Ärzteschaft bei der Etablierung des smarten Krankenhauses haben wird oder haben sollte.