Eine Studie konnte Anfang des Jahres einen Zusammenhang zwischen Geschenken der Pharmaindustrie an US-amerikanische Medizinstudenten und ihrem späteren Verschreibungsverhalten aufzeigen. Ist Ähnliches auch bei uns zu beobachten und wie kann man damit umgehen?
Marissa King von der Yale School of Management hat das Verschreibungsverhalten von Ärzten im Zeitraum 2008-2009 untersucht. Sie hat in ihre Betrachtungen die universitäre Herkunft der Ärzte und den jeweiligen Umgang der Herkunftsuniversitäten mit Geschenken seitens der Pharmaindustrie miteinbezogen. Mediziner, die an einer Uni mit striktem Verbot der Einflussnahme durch die Pharmaindustrie studiert hatten, zeigten eine niedrigere Verschreibungsquote bestimmter neu eingeführter Psychopharmaka. Studenten entwickeln „Pharm Free Policy“ Die sogenannten „Pharm Free Policies“, die bereits an einigen Universitäten in den USA implementiert wurden, gehen auf eine Medizinstudentenorganisation, die „American Medical Student Association“ (AMSA), zurück. Seit 2001 setzt sich die Organisation zunächst sehr erfolgreich nur für Pharmasponsoring-freie eigene Veranstaltungen und später für die Verbannung von Werbung und Einflussnahme an Universitäten ein. Seit über 10 Jahren sensibilisiert sie damit Medizinstudenten für die Wechselwirkungen von finanziellen Interessen der Industrie und dem Prinzip der bestmöglichen ärztlichen Behandlung. Und in Deutschland? Bei uns in Deutschland scheint die Pharmaindustrie während des Medizinstudiums noch keinen allzu großen Einfluss zu haben. Wahrscheinlich liegt das an der geringen Verzahnung von Ausbildung und klinischer Versorgung. In dem doch recht theoretischen Studium werden vorranging Substanznamen unabhängig vom Hersteller gelehrt und auch später in der klinischen Versorgung ist man vielmehr von der Hauspolitik des Arbeitgebers bezüglich der eingesetzten Präparate abhängig. Welche Präparate genau von der jeweiligen Krankenhausapotheke herausgegeben werden, wird dann wohl eher von finanziellen Aspekten und der Abrechenbarkeit durch die Krankenkassen beeinflusst. Gerade in den schwierigen Zeiten der Finanzierung durch öffentliche Mittel gehen aber immer mehr Universitäten und Arbeitsgruppen dazu über, Kooperationen mit Akteuren der Pharma- oder Medizintechnikindustrie einzugehen. Meist ist die Zusammenarbeit zwar auf die universitäre Forschung begrenzt, hat aber damit, z. B. durch das Angebot von Doktorarbeiten oder die Betreuung von Seminaren und Vorlesungen durch involvierte Forscher oder Instituts- und Klinikleiter, auch unmittelbaren Einfluss auf die Lehre. Studierende müssen sich immer öfter fragen, welche Interessen wirklich hinter dem gelehrten Wissen stecken. Ein geschenkter Kuli schreibt besonders gut Auch wenn Pharmawerbung während des Studiums noch eine untergeordnete Rolle spielt, sind Werbegeschenke und zweifelhafte Gewinnspiele allgegenwärtig. Die kommen dann allerdings eher von Seiten der Lehrbuchverlage und Finanzdienstleister, für die Medizinstudenten eine wichtige Zielgruppe darstellen. Vertreter dieser Industrien werden gerne als Sponsoren für mehr oder weniger direkt mit der Fakultät assoziierte Veranstaltungen gesehen. So wird die Mittagspause des PJ-Repetitoriums von einem Finanzdienstleister oder ein bestimmtes Seminar von einer Verlagsgruppe finanziert. „Reziprozitätsregel“, nennt das Dr. Peter Tinnemann, Leiter des Projektbereichs Internationale Gesundheitswissenschaften am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin. Der aus der Soziologie entlehnte Begriff soll die wechselseitige wohlwollende Beziehung menschlichen Handelns beschreiben, die durch kleine Aufmerksamkeiten zustande kommt und sich von den Pharmavertretern zunutze gemacht wird. „Auf die Studierenden hat das vorrangig den Effekt, dass sie sich an die Gefälligkeiten von verschiedensten Werbetreibenden gewöhnen und die Omnipräsenz von Werbeinteressen im späteren Berufsleben, auf Kongressen und in der eigenen Praxis als gegeben hingenommen wird.“ An seinem Institut bietet er deshalb im Rahmen des Wahlpflichtmodules „Grundlagen ärztlichen Denkens und Handelns“ Seminare für Berliner Studenten an. Grundlage und Ideengeber für das Projekt war ein gemeinsames Handbuch von WHO und „Health Action International“, welches Hochschulen bei der Konzeption von Kursen zur Sensibilisierung von Studenten nutzen können. Mittlerweile gibt es ein solches Seminar unter dem Titel „Advert Retard®“ auch für fertige Ärzte. Um den Kurs auch für Studenten anderer Fakultät anbieten zu können, entwickeln Tinnemann und seine Kollegen derzeit einen Onlinekurs. Für seine Realisation bewerben sie sich zur Zeit für eine finanzielle Unterstützung, u. a. durch den Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Die Bewerbung kann unter diesem Link unterstützt werden. Sensibilisierung? Praktisch ohne Stellenwert Die Sensibilisierung für eine gesunde Skepsis gegenüber Forschungsergebnissen und Leitlinien, bei denen ein Interessenkonflikt bestehen könnte, kommt derzeit in der Ausbildung zum Mediziner viel zu kurz. Angebote wie in Berlin stellen bislang leider nur Ausnahmen dar. Gerade da die Mechanismen der Einflussnahme nicht nur offensichtlich durch das Verschenken von Kugelschreibern mit bunten Aufdrucken erfolgen, ist das Durchdringen der subtilen Vorgehensweisen für viele Studenten und junge Mediziner sehr schwierig. Regelmäßig werden neue Forschungsskandale publik und Behandlungsempfehlungen wegen unsauberer Tricks bei der Generierung von Evidenzen zurückgenommen. Immer wieder stellt sich die Frage, welchen Daten man eigentlich noch trauen darf. Das, zusammen mit einer Flut immer neuer Informationen, fordert von den heutigen Ärzten ein hohes Maß an Filter- und Einschätzungsvermögen in einem Teilbereich des medizinischen Alltags, der während des Studiums praktisch nicht behandelt wird. Und in der Praxis? Spätestens im Krankenhaus oder in der eigenen Praxis stehen dann nämlich die Pharmavertreter auf der Matte und haben Probepackungen für die Anwendungsbeobachtung dabei. Ob und wie oft die Vertreter auch herein gelassen werden, hängt von der Praxis oder den zuständigen Ärzten ab, berichtet Dr. Luise Müller*, niedergelassene Internistin. Sie selbst glaubt nicht, dass sich ihr Verschreibungsverhalten oder das ihrer Kollegen durch die Vertreter ändern würde. „Bei dem vorherrschenden Kostendruck können wir auch gar nicht selbst entscheiden, was wir aufschreiben, da wir durch die Krankenkassen zur Verschreibung von Generika und möglichst günstiger Präparate angehalten sind“, führt sie weiter aus. Die Argumente und Studiendaten, die durch die Vertreter vorgetragen würden, müssten natürlich mit Vorsicht genossen werden, dennoch sehe sie Vertretertermine auch als Möglichkeit, über neue Produkte und Entwicklungen informiert zu bleiben. Mein Essen zahl’ ich selbst In Deutschland gibt es mittlerweile verschiedene Gruppierungen, die sich mit dem Thema auseinander setzten, aktiv dagegen vorgehen und Aufklärung betreiben. Eine zu erwähnende ist hierbei die Initiative unbestechlicher Ärzte und Ärztinnen MEZIS (Mein Essen zahl’ ich selbst). Der Name spielt auf die gängige Praxis an, dass Buffets auf Kongressen oder Fortbildungsveranstaltungen häufig gesponsert sind oder Pharmafirmen auf ihre Kosten zu sogenannten Fortbildungen auf Mittelmeerinseln einladen. Die Initiative kritisiert unter anderem, dass praktisch alle relevanten medizinischen Kongresse von Pharmafirmen zumindest teilfinanziert werden und somit aktiv auf Inhalte Einfluss genommen werden kann. Es lohnt sich - auch bereits als Student - die unterschiedlichen Zusammenhänge und Abhängigkeiten im Gesundheitssektor genau zu sezieren. Kaum jemand, der einem etwas schenkt, tut dies aus reiner Nächstenliebe. Beim nächsten Kuli, den Ihr in die Hand gedrückt bekommt, denkt vielleicht mal darüber nach, welche Ziele Euer Gegenüber damit verfolgt und welchen Einfluss das Ganze auf Euer Verhalten gegenüber den Patienten haben könnte. Und bei den Forschungsergebnissen, die durch ein großes Pharmaunternehmen finanziert wurden, solltet Ihr Euch fragen, ob diese Daten auch publiziert worden wären, wenn sie nicht so vorteilhaft ausgesehen hätten. *Name auf Wunsch der Interviewten geändert