Die sogenannten Spenderkinder, gezeugt mit Hilfe der Heterologen Insemination, haben das Recht zu wissen, wer ihr biologischer Vater ist - so hat das OLG Hamm entschieden. Neben einigem Zuspruch meinen viele zu wissen: Die Ära der Samenspende ist hiermit beendet.
Am 9. Mai 2013 war Vatertag. Ein guter Zeitpunkt sich abseits von allzu vorschnellen Meinungen professionell den Fragen nach dem Umgang mit den Belangen der Spenderkinder und ihren Familien zu stellen. Seit Jahren prozessiert Sarah P., weil sie wissen will, wer der Samenspender ist, dem sie ihre Existenz verdankt. Zuletzt gab ein Gericht ihr recht. Seit dem Zeitalter von perkutaner testikulärer Spermienaspiration hat sich die Zahl der heterologen Spenden etwas zugunsten der anderen reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten verschoben. Nicht berücksichtigt sind in publizierten Zahlen Kinder, die zum Beispiel durch alle Art von "Inseminations-Tourismus" gezeugt worden. Hier fehlen bislang entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen. Kein Wunder, denn das Thema ist häufig mit Scham belastet. Dass Samenspende kein Tabuthema bleiben muss, liegt letztlich auch in unser aller Verantwortung.
Die Frage ist nun, warum Spenderkinder so schnell unter eine Art Generalverdacht geraten, dass ihr Wunsch nach Identität fast zwangsläufig mit monetären Forderungen gekoppelt sei. Der Verein Spenderkinder beispielsweise hat den Wunsch nach Regelungen zum Schutz des biologischen Vaters in ihre politischen Forderungen aufgenommen. Das OLG Hamm hält fest: "Abstammung (...) legt die genetische Ausstattung des Einzelnen fest, prägt seine Persönlichkeit und nimmt auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein“. Menschen, die mit Hilfe einer Donogenen Insemination (DI) gezeugt worden sind, fehlt dieser Schlüssel. Nur wenige wissen allerdings von den besonderen Umständen ihrer Zeugung. Dennoch vermehrt sich der Bedarf an klaren Regelungen, denn auch die Zahl der nun erwachsenen Spenderkinder wird zunehmend größer. Und immer mehr von ihnen wollen Gewissheit.
Im Gegensatz zur "herkömmlichen" Zeugung ist die Lage bei der Heterologen Insemination ungleich komplexer. Gleich mehrere Schicksale werden durch den Zeugungsakt verknüpft. Alle Fäden laufen bei dem durch künstliche assistierte Zeugung entstandenen Menschen zusammen – denn niemand sonst ist durch die DI derart in seiner ganzen Persönlichkeit betroffen. Sowohl die sozialen Eltern, deren Kinderwunsch ausschlaggebend für die Insemination ist als auch der Samenspender, der ebenfalls familiär gebunden sein kann, werden Mutter und Väter. Auch das medizinische Personal ist auf besondere Weise mit dem neu entstandenen Leben verbunden. Halbgeschwister können in der Familie des Spenders aber auch bei anderen Paaren existieren. Daher gibt es auch in vielen Ländern eine maximale Anzahl von Kindern, die von einem Spender gezeugt werden – die Angst vor einem möglichen unwissentlichen Inzest ist Grund dafür. In Deutschland dürfen nur heterosexuelle Paare den Weg der Samenspende aus der Kinderlosigkeit gehen. In anderen Ländern auch Singlefrauen und lesbische Paare. Sorgen um genetisch übertragbare Erkrankungen spielen für einige Spenderkinder neben der Kenntnis ihrer Wurzeln ebenfalls eine Rolle.
Wie so häufig hilft der Blick über den Tellerrand. Die Aufhebung der Spenderanonymität ist natürlich nicht nur in Deutschland Thema. Der Umgang mit Reproduktionsmedizinischen Verfahren variiert in verschiedenen Nationen recht stark, spielen doch zum Teil große kulturelle, ethisch-moralische und juristische Unterschiede eine entscheidende Rolle. In einigen Ländern ist die offizielle Aufhebung der Anonymität schon erfolgt. Schweden machte bereits 1985 den Anfang – ein Jahr vor der offiziellen IVF Zulassung in Deutschland. Auch in den Niederlanden, Österreich und Großbritannien haben die Kinder von Samenspendern festgeschriebenes Recht, die Identität ihres Vaters zu erfahren. In den USA können Spender und Empfänger wählen, ob sie eine anonyme Spende bevorzugen oder die Identität offenlegen. Ebenfalls eingeflossen sind häufig konkrete Regelungen über etwaige finanzielle Ansprüche an die Väter oder Anfechtung der Ehelichkeit (der juristischen und "biographischen" Vaterschaft). Auch heute schon ist es nicht ohne weiteres möglich, Ansprüche an den biologischen Vater zu stellen, wenn man ihn ausfindig gemacht hat. Doch nicht in allen Ländern gibt es diese Probleme. Italien bietet eine vergleichsweise einfache Lösung: Heterologe Insemination ist verboten.
Im Grunde sind diejenigen, die in Online-Foren nach dem Urteil des OLG Hamm das Ende der DI voraussagen, vermutlich in den seltensten Fällen persönlich betroffen. Wären sie es, hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach gewusst, dass es in Deutschland nie eine gesetzlich verbindliche Regelung für ein Recht auf Anonymität des Spenders gab. Meist wurden Vereinbarungen zwischen Samenbanken und Spendern getroffen, die jedoch vor Gericht bei berechtigtem Interesse des Kindes an der Herkunft seines Vaters keinen Bestand hatten bzw. hätten. Seit einem ersten Gerichtsurteil 1989, in dem das Recht des Kindes auf seine Herkunft zugesprochen wurde (es ging hierbei nicht um Samenspende), gab es immer wieder Rechtsprechungen zugunsten von Betroffenen, die ihren Vater nicht kannten. Das Auskunftsrecht des Kindes wiegt meist schwerer, als die betroffenen Persönlichkeitsrechte des Vaters. Für alle vor 2007 geborenen Spenderkinder stellt allerdings allzu häufig die vorher noch nicht klar geregelte Aufbewahrungsfrist der Spenderdaten eine Hürde dar. Die vermeintliche Gewissheit, dass es zu Engpässen von Spendersamen kommen wird, kann aufgrund fehlender Erfahrung in Deutschland keineswegs Wissen sondern allenfalls Prognose sein. Erfahrungen aus Nachbarländern, die ähnliche Prozesse durchlaufen haben, gibt es bereits. Schweden musste nach Aufhebung der Anonymität zwar Initial einen Rückgang der Spenden verzeichnen, 10 Jahre später aber auch einen erneuten Anstieg.
Seit den 90er Jahren wird in Großbritannien intensiv über die Auskunftsrechte von Spenderkindern diskutiert. Im Jahr 2005 wurde schließlich das Gesetz zugunsten einer Aufhebung der Spenderanonymität geändert. Auch hier waren die Befürchtungen bezüglich der Spenderzahlen groß. Eine Studie zeigt jedoch, auch wenn die Zahl der durchgeführten Inseminationen deutlich zurückging konnte die Zahl der Spender innerhalb eines Zentrums sogar in 5 Jahren deutlich erhöht werden. Die Studie basiert auf der retrospektiven Auswertung der Daten der Frauenklinik des King’s College Hospitals. Der Klinik ist das größte Zentrum für DI in Großbritannien angegliedert. Dieses rekrutiert eigene Spender, verwendet aber auch Spenden aus dem gesamten Land. Die Ergebnisse zeigen zwei Einbrüche der Spender-Gesamtzahlen in der Nation. Einen nach Aufhebung der Anonymität 2005 und einen noch größeren nach 2007. Der zweite Knick markiert aller Wahrscheinlichkeit das Verbot der finanziellen Entlohnung für Spender – erlaubt ist seitdem lediglich die Kompensation entstandener Kosten. Die Forscher halten fest – zwar kam es insgesamt zu signifikant weniger IUI und IVF seit 2005 aber es konnten deutlich mehr "Inhouse" Spender rekrutiert werden. Auch die Daten der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) zeigen, dass die Zahl der Spender sich seit 2005 wieder nahezu verdoppelt hat. Diese und weitere Studien weisen darauf hin, dass Spender durch verstärkte Werbung und auch bessere Aufklärung über die Rechtslage durchaus gewonnen werden können. Beratungsgespräche führen oft zu einer Verringerung von Ängsten und somit von Hürden, die eine Spende entgegenstehen. Schwierigkeiten bestehen allerdings fort bei der Rekrutierung von Spendern die ethnischen Minderheiten in Großbritannien angehören. Was sich nachweislich seit geändert hat, ist das Profil der Spender.
Geändert hat sich seit Aufhebung der Anonymität das Spenderprofil. Waren früher vor allem junge Männer Spender, sind es jetzt mehr Männer zwischen 35 und 40, die häufig bereits Familie haben. Finanzielle Motive stehen für diese Gruppe nicht an oberer Stelle sondern der Wunsch zu helfen. Singlemänner und/oder homosexuelle Spender zeigten sich generell offener der Aufhebung der Anonymität gegenüber, als Männer in festen Beziehungen. Viele der Männer sind entgegen vieler Vorurteile später interessiert an dem Wohlergehen ihrer biologischen Kinder. Die schwerwiegendsten Gründe gegen eine Samenspende sind moralische – sowohl persönliche Zweifel an der Richtigkeit des Handelns als auch dem Kind, der eigenen Partnerin und sehr allgemein auch der Gesellschaft gegenüber.
In Deutschland wird momentan weiter heiß diskutiert. Sowohl der Arbeitskreis "Donogene Insemination" um Herrn Professor Katzorke als auch der kleine Verein Spenderkinder haben eine Presseerklärung und eine Gegenstellungnahme im Nachgang an das Gerichtsurteil abgegeben. Differenzierte Richtlinien zum Thema DI können auf den Webseiten des Arbeitskreises "Donogene Insemination" ebenso abgerufen werden, wie Informationen für potentielle Spender. Erfreulich ist, dass die neueren Studien zeigen: für erfolgreiche Werbungs- und aktivere Rekrutierungsstrategien gibt es deutlich Luft nach oben. Erst wenn man diese ausgeschöpft, können stabile Prognosen gemacht und Limitationen erkannt werden.