Neben regionalen Besonderheiten beim Zahnersatz befassen sich Versorgungsforscher in einer aktuellen Untersuchung mit den jüngsten Patienten. Ihr Bericht zeigt Defizite bei der Prävention frühkindlicher Karies – und kritisiert steigende Eigenanteile beim Zahnersatz.
Alle Jahre wieder stellt die Barmer GEK ihren Zahnreport vor – und hält etliche Überraschungen parat. Ein Schwerpunkt der aktuellen Veröffentlichung sind Kinder. Zahngesundheit beginnt schon bei den Jüngsten, schließlich kann Karies zu Schäden der permanenten Dentition führen. Beispielsweise haben Extraktionen von Milchzähnen Platzmangel im bleibenden Gebiss zur Folge. Mitunter berichten Forscher auch von einer höheren Infektanfälligkeit der kleinen Karies-Patienten. Zahnärzte raten dringend zur Sanierung – was teilweise nur unter Allgemeinanästhesie gelingt.
In ihrer Studie „Frühkindliche Karies bei Kleinkindern im Land Brandenburg“ hatten Kollegen die Zahngesundheit bei 661 Kindern zwischen 13 und 36 Monaten untersucht. Dr. Gudrun Rojas von der Stadt Brandenburg an der Havel, Martin Deichsel und Dr. Roswitha Heinrich-Weltzien von der Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde des Universitätsklinikums Jena sowie Karin Lüdecke vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg sahen sich in ihrer Forderung bestätigt, Präventionsprogramme möglichst früh zu beginnen. Bei 7,4 Prozent aller kleinen Probanden stellten sie eine beginnende Karies fest, und 5,3 Prozent hatten bereits zahnmedizinisch behandlungsbedürftige Formen. Insgesamt waren lediglich 19,9 Prozent der betroffenen Zähne saniert. Jenseits entsprechender Durchschnittswerte weisen die Autoren darauf hin, dass jeder zweite Kariesfall bei zwei Prozent der Kinder zu finden war. Über mögliche Gründe lässt sich nur spekulieren: Eltern waren häufig jünger als 20 Jahre und hatten einen deutlich niedrigeren Sozialstatus als die Vergleichsgruppe. Kleine Kariespatienten wurden zudem länger über Flaschensauger ernährt, auch nachts. Und Kontakte zum Zahnarzt fanden erst nach dem zweiten Lebensjahr statt.
Bundesweit sind die Zahlen kein Einzelfall: Zahnärzte sehen bei Vorsorgeuntersuchungen nur jedes dritte Kleinkind zwischen zwei und fünf Jahren. An der Spitze der Frühvorsorge stehen Bayern (38,8 Prozent), Thüringen (36,7 Prozent) und Sachsen (36,1 Prozent). Das Saarland liegt weit abgeschlagen auf dem letzten Platz (23,3 Prozent). Weitere 29 Prozent des Nachwuchses profitieren von der Gruppenprophylaxe im Kindergarten. „Am Ende dürften Frühuntersuchungen und Maßnahmen der Gruppenprophylaxe zusammen genommen kaum jedes zweite Kind in diesem Alter erreichen“, kritisiert Dr. Rolf-Ulrich Schlenker. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK hofft, künftig mehr kleine Patienten auf den Behandlungsstuhl zu bekommen, indem sich Kinderärzte und Zahnärzte vertraglich vernetzen.
In späteren Jahren bleibt als ungelöstes Problem, dass Zahnärzte mit ihren Vorsorgeangeboten nicht alle Zielgruppen erreichen. Während in 2011 gerade einmal 66 Prozent alle Männer einen zahnärztlichen Kontakt hatten, waren es 73 Prozent aller Frauen. Dazu ein paar Details: Zwischen 20 und 24 gingen 67 Prozent aller Frauen, aber nur 54 Prozent aller Männer mindestens einmal pro Jahr in die Praxis. Vom 30. bis zum 34. Lebensjahr lag der Unterschied bei 71 versus 57 Prozent, und zwischen 40 und 44 bei 78 versus 65 Prozent. Schlenker kritisiert die männliche Zahnarztscheu: „Trotz der Bonusregelungen verzichtet fast ein Drittel auf den jährlichen Zahnarztbesuch.“ Auch kontaktieren Frauen ihren Zahnarzt häufiger als Männer. Über alle Altersklassen liegt der Unterschied bei 2,30 versus 1,99 Besuchen. Hier wurden allerdings nur Personen aufgenommen, die mindestens einen Termin pro Jahr in Anspruch nahmen.
Ansonsten ist klar, wohin die Reise geht, früher oder später brauchen Erwachsene Zahnersatz. Aus Versichertendaten haben Wissenschaftler des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) errechnet, dass Eigenleistungen zwischen 2005 und 2009 inflationsbereinigt um 18 Prozent gestiegen sind. Diese Entwicklung habe sich laut ISEG-Forscher Professor Dr. Thomas Schäfer in den nächsten Jahren weiter fortgesetzt. Beispielsweise wurde für jeden zehnten Versicherten im Jahr 2009 mindestens einen Heil- und Kostenplan abgerechnet.
Besonders auffällig ist das regionale Gefälle bei Patienten, die Zahnzusatzleistungen in Anspruch nahmen: An der Spitze stehen Hamburg (13,8 Prozent), Schleswig-Holstein (13,3 Prozent), Bremen (12,8 Prozent) und Niedersachsen (12,4 Prozent). In Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg liegt der Anteil nur bei 10,9 Prozent. Noch weniger Leistungen sind in Sachsen (10,3 Prozent) und im Saarland (8,8 Prozent) erforderlich. Eine Erklärung liegt in der unterschiedlichen Bereitschaft, Prophylaxetermine wahrzunehmen. Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gelten traditionell als besonders vorbildlich, während Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern und das Saarland unrühmliche Schlusslichter sind. Das betrifft mit Ausnahme von Bayern auch Zahnsteinentfernungen.
Als weiteres Thema befasst sich der Barmer GEK-Zahnreport mit Zahnersatz unter ökonomischen Aspekten. Von 2005 bis 2009 stiegen private Anteile inflationsbereinigt von 614 auf 725 Euro (plus 18 Prozent), die Gesamtkosten erhöhten sich von 1.114 Euro auf 1.291 Euro (plus 16 Prozent). Bundesweit liegt der Eigenanteil für Zahnzusatzleistungen bei 55 Prozent. Einige Länder tendieren stark nach oben: Baden-Württemberg (63,5 Prozent), Bayern (61,4 Prozent) oder Hessen (57,1 Prozent). Auf dem unteren Ende der Skala liegen Mecklenburg-Vorpommern (43,2 Prozent), Brandenburg (43,1 Prozent) und Sachsen-Anhalt (40,0 Prozent). Rolf-Ulrich Schlenker sieht neben Unterschieden beim Vorsorgeverhalten der Patienten die private Finanzkraft des Südens sowie das Angebotsverhalten von Kollegen als Gründe. „Kann sich ein Schwabe mehr privaten Zahnersatz leisten als ein Brandenburger, weil er reicher ist oder weil die schwäbischen Zahnärzte geschickter beraten?“, fragt Schlenker. „Müßig darüber zu spekulieren – an einem objektiv höheren medizinischen Bedarf wird es jedenfalls weniger liegen.“
Die Ergebnisse zeigen, dass Zahnärzte mit ihren Leistungen bundesweit viele Menschen erreichen. Eine Herausforderung wird sein, spezielle Zielgruppen künftig besser anzusprechen. Dazu gehören ungefragt Männer. Auch sollten Präventionsprogramme gegen frühkindliche Karies in möglichst jungen Jahren starten und Kollegen aus Pädiatrie beziehungsweise Geburtshilfe mit einbeziehen. Bei Erwachsenen sieht Dr. Rolf-Ulrich Schlenker einen „schleichenden Trend hin zu höheren Privatkosten“ und moniert, nirgendwo sonst sei die „Aufspaltung in eine solidarisch finanzierte Sockelversorgung und privat getragene Premiumbehandlung weiter fortgeschritten“. Er fordert, das Modell der Festzuschüsse zu überarbeiten, indem man „den Anstieg der über die private Gebührenordnung der Zahnärzte abgerechneten Leistungen bremst“. Gleichwohl ist ihm das Spannungsfeld bewusst: „Wo hört die Medizin auf, wo beginnt die Ästhetik?“