Das Molekül CMA macht Mäuse abwehrstark gegen Viren, Menschen leider nicht. Forscher haben die Unterschiede im Fall von CMA aufgedeckt und könnten den vielversprechenden Wirkstoff so auch für Menschen nutzbar machen.
Einen Stoff zu finden, der das Immunsystem derart stärkt, dass es krankheitserregende Viren besser abwehren kann, steht schon lange auf der Agenda von medizinischen Forschern. Bisher leider ohne Erfolg. „Obwohl etliche Produkte eine Aktivierung des Immunsystems zur Virusbekämpfung versprechen, gibt es in Wirklichkeit solch ein Mittel für die systemische Anwendung bislang noch nicht“, sagt Prof. Dr. Veit Hornung vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Bonn. Die bisher verfügbaren antiviralen Medikamente hemmen lediglich die Vermehrung bestimmter Viren. Das Immunsystem wird dabei primär nicht stimuliert.
Prof. Hornung ist Immunologe, der hin und wieder gerne in alten Übersichtsartikeln schmökert. Per Zufall stieß er dabei auf eine Arbeit aus den frühen 1980er Jahren, in denen Forscherkollegen beschrieben, wie ein Molekül namens 10-Carboxymethyl-9-acridanone (CMA) das Immunsystem von Mäusen überraschend effektiv ankurbelte. Stimuliert durch CMA schütteten die Tiere übermäßig viele Interferone aus, die eine äußerst starke antivirale Wirkung entfalteten. Das faszinierte den Immunologen und er suchte verzweifelt nach Folge-Studien, in denen der vielversprechende Wirkstoff in menschlichen Zellen getestet wurde – vergeblich. Wie konnte es sein, dass ein so potenter Wirkstoff nicht weiter untersucht wurde? Prof. Hornung griff zum Telefon und erreichte tatsächlich einen der Wissenschaftler, der vor gut 30 Jahren an den CMA-Versuchen im Mausmodell beteiligt war. CMA sei im Menschen nicht wirksam gewesen, war die ernüchternde Antwort, die Prof. Hornung erhielt. Daher habe man die Arbeiten nicht weiter verfolgt und auch nicht publiziert. Warum CMA in Mäusen das Immunsystem zur Höchstform anspornte, während es im Menschen keine Wirkung zeigte, war bis dato ungeklärt - bis Prof. Hornung mit seinem Team noch einmal versuchte, die Wirkweise dieses Moleküls zu untersuchen.
„Als wir uns näher mit CMA beschäftigten, stellten wir aber fest, dass dieser Wirkstoff bereits in einigen klinischen Studien in Russland erfolgreich gegen bestimmte Viruserkrankungen getestet wurde “, so Prof. Hornung. Das verwunderte das Forscherteam. Denn in ihren Studien an humanen Zellkulturen passierte rein gar nichts, wenn CMA auch in hohen Mengen eingesetzt wurde. „Es kann aber sein, dass die in vivo Wirkung von CMA eine zusätzliche Komponente aufweist, die nicht auf dem von uns untersuchten Mechanismus beruht“, versucht Prof. Hornung die Diskrepanzen zu erklären. So könnte es neben der Aktivierung des Immunsystem eine zusätzliche direkte antivirale Wirkung geben, die in der systemischen Anwendung zum tragen kommt. Auf jeden Fall sollten klinische Studien, in denen CMA zum Einsatz kommt, genau die mögliche Induktion einer antiviralen Immunantwort untersuchen.
Als CMA in menschlichen Zellen keine Wirkung zeigte, nahmen die Immunologen die Rezeptoren, an die der Wirkstoff in Mäusen andockt, genauer unter die Lupe. Sie vermuteten, dass die mangelnde Übertragbarkeit der Ergebnisse mit spezifischen Zielstrukturen zusammenhängt, an die das CMA andockt. Tatsächlich konnte das Team um Prof. Hornung den Immun-Rezeptor für CMA in Mauszellen identifizieren. Das menschliche Pendant dieses Rezeptors sprach jedoch nicht auf CMA an. In der Maus bindet CMA an den Rezeptor, und setzt so eine Signalkette in Gang die zur Ausschüttung von Interferonen führt, die wiederum das Immunsystem ankurbeln. Damit dies funktioniert, müssen CMA und Rezeptor jedoch wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Zusammen mit Münchener Kollegen untersuchte das Team um Prof. Hornung nun an Zellkulturen und aufgereinigten Proteinen die Rezeptor-Varianten von Maus und Mensch. Dabei stießen sie auf des Rätsels Lösung.
„Einige winzige Unterschiede im Rezeptor machen den Wirkstoff im Menschen komplett unwirksam“, berichtet Taner Cavlar, Doktorand im Team von Prof. Hornung. Damit wird verhindert, dass das CMA im Menschen an den entscheidenden Rezeptor für die Ausschüttung des Interferons andocken kann, während dies bei der Maus ohne weiteres gelingt. „Das ist ein Beispiel dafür, dass sich Ergebnisse aus Tiermodellen nicht so einfach auf den Menschen übertragen lassen“, sagt Prof. Hornung. „Vergleichende Untersuchungen an humanen Zellen sollten deshalb bereits in einem frühen Stadium der Wirkstoffentwicklung erfolgen.“ Dass minimale Unterschiede zwischen einem tierischen und dem menschlichen Immunsystem fatale Auswirkungen auf die Pharmakologie eines Wirkstoffes haben können, wurde im Jahr 2006 auch im dramatischen Ausgang einer klinischen Studie mit dem Antikörper TeGenero deutlich. TGN 1412 der ImmunoTherapeutics AG in Würzburg ist ein monoklonaler Antikörper, der zur Behandlung von Rheumatoider Arthritis und Leukämie eingesetzt werden sollte. Sechs gesunde Männer, die an der ersten klinischen Studie des Antikörpers teilgenommen hatten, mussten nach der Einnahme des Wirkstoffs mit multiplem Organversagen auf die Intensivstation verlegt werden. Ihr Immunsystem lief Sturm. „Diese Ereignisse kommen sehr unerwartet und spiegeln nicht die Ergebnisse unserer Labortests wieder“, wurde die TeGenero-Geschäftsführerin auf der Firmenwebsite zitiert. Der monoklonale Antikörper sollte regulatorische T-Zellen aktivieren, was in zahlreichen Versuchen mit Ratten und Makaken auch ohne auffällige Nebenwirkungen funktioniert hatte. Doch die tierischen Rezeptoren unterscheiden sich minimal von denen des Menschen. So ist beispielsweise beim entscheidenden Rezeptor der Makaken die Aminosäuresequenz an einer wichtigen Bindungsstelle anders aufgebaut. Dies wiederum – so wissen Forscher heute – ist auch der Grund dafür, dass das Immunsystem der Affen ohne große Nebenwirkungen auf den TeGenero-Antikörper reagierte und dort, anders als beim Menschen, kein Zytokin-Sturm ausgelöst wurde. Doch zurück zu CMA.
Da es den Wissenschaftlern gelang, die genaue Struktur der Rezeptoren zu entschlüsseln, haben sie nun eine Grundlage für die Frage, unter welchen Voraussetzungen CMA auch das Immunsystem des Menschen für die Virenbekämpfung scharf machen könnte. „Es gab bisher immer wieder Kandidaten dafür, die sich in Versuchen aber als zu toxisch für den Organismus herausgestellt haben“, so Prof. Hornung. Einen Stoff, der gezielt die Ausschüttung von antiviralen Zytokinen induziert und auch im menschlichen Organismus systemisch anwendbar wäre, gäbe es bisher noch nicht. Das ist nun der nächste Schritt, den die Forscher mit ihren Kollegen angehen wollen. Bis aber möglicherweise ein wirksames Medikament zur Virenbekämpfung vorliegt, werden voraussichtlich noch Jahre vergehen. „Wenn uns aber die Entwicklung einer solch potenten Substanz gelingt, würden nur winzige Mengen ausreichen, um verschiedenste Vireninfektionen schon frühzeitig zu bekämpfen“, sagt Prof. Hornung. Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt wäre zudem die Entwicklung von CMA-ähnlichen Inhibitoren, die die Aktivierung des Rezeptors blockieren könnten.