Zwei Zelltypen im Mandelkern sollen unterschiedliche Furchtreaktionen auslösen, wie Neurologen am Mäusehirn zeigen konnten. Ein Zelltyp löst die Schockstarre aus, der andere die Flucht. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Bei Angststörungen könnte dieses Gleichgewicht verschoben sein.
Unsere Furchtreaktion kennt verschiedene Eskalationsstufen. Während uns nachts im Wald ein Knacken im Unterholz kurz innehalten lässt, rennen wir sicher los, sollte das Knacken schnell und laut auf uns zukommen. Nur, wie lange können wir einfach verharren und wann müssen wir spätestens flüchten, um nicht zu Schaden zu kommen? Auch kleine Nagetiere wie Mäuse kennen und erlernen ähnliche Verhaltensmuster, um auf reelle und vermutete Gefahren zu reagieren. Auch sie schalten um, zwischen Erstarren und Flüchten. Was diesen Switch zwischen den zwei Verhaltensweisen jedoch auslöst, war bis unklar.
Mit einer Reihe von Verhaltenstests und optogenetischen Methoden konnte die Forschungsgruppe um Andreas Lüthi, Gruppenleiter am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) und Professor an der Universität Basel, die Nerveninteraktionen im Mäusehirn identifizieren, die den Switch zwischen passivem und aktivem Furchtverhalten, zwischen Erstarren und Flucht, auslösen. Sie konnten zeigen, dass zwei unterschiedliche Nervenzelltypen im Mandelkern für die verschiedenen Furchtreaktionen zuständig sind. Einer dieser Zelltypen ist durch das Protein Corticotropin-releasing factor (CRF) charakterisiert. Wird dieser Zelltyp angeregt, löst das die Flucht aus. Der andere Zelltyp produziert das Protein Somatostatin (SOM) und initiiert die Schockstarre.
Interessanterweise sind beide Zelltypen über neuronale Verbindungen miteinander verbunden. Sie hemmen sich gegenseitig. Fällt jedoch eine Hemmung auf Grund von Inputs aus anderen Hirnregionen weg, dann prägt sich das entsprechend andere Verhalten aus. „Es besteht also ein Gleichgewicht, das bei Gefahr schnell in die eine oder andere Richtung kippen kann“, erklärt Jonathan Fadok, Postdoktorand in Andreas Lüthis Gruppe und Erstautor der Studie. „Dabei können der Kontext, Sinneseindrücke wie Geräusche und Gerüche, aber auch Erfahrungen und Emotionen berücksichtigt werden.“ Ob dieselben Zellen auch beim Menschen eine Rolle spielen, muss erst noch gezeigt werden. Die Furchtstrategien, die in einer gefährlichen Situation eingesetzt werden, sind bei vielen Arten jedoch identisch, da sie das Überleben sichern. „Wir können uns darum vorstellen, dass ein ähnliches Gleichgewicht auch die Furchtreaktionen beim Menschen steuert“, kommentiert Lüthi. Er führt weiter aus, dass besonders bei Angststörungen, dieses Gleichgewicht in Richtung eskalierender Furchtreaktionen verschoben sein könnte. Originalpublikation: A competitive inhibitory circuit for selection of active and passive fear responses Jonathan P. Fadok et al.; Nature, doi: 10.1038/nature21047; 2017