Wettbewerbsrechtlich gelten Rx-Boni bis zur Bagatellgrenze von 1 Euro pro Präparat als legitim, arzneimittelrechtlich ist jeder Cent Rabatt zu viel des Guten. Nach einer regelrechten Klagewelle gegen Offizin- und Versandapotheken entwickeln sich Gratifikationen mehr und mehr zum Risiko für Kollegen.
Blick zurück: Mitte 2012 befasste sich ein gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe mit Fragen zum Arzneimittelgesetz. Ganz klar, Regelungen zur Preisbindung gelten für alle Apotheken, die in Deutschland rezeptpflichtige Medikamente anbieten, auch für Versender anderer EU-Staaten. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht sahen Richter die Sache etwas großzügiger: Ein Euro Bonus pro Rx-Präparat sei in Ordnung, hieß es bereits 2010. Sogenannte Bagatellgrenzen sind nicht unumstritten.
Zwei aktuelle Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH, Az.: I ZR 90/12 und I ZR 98/12) bestätigen diese Interpretation. In beiden Fällen hatten Wettbewerbszentralen vermeintliche Vorteile gewittert und Klage eingereicht. Die höchstrichterlichen Entscheidungen überraschten nicht wirklich. Gratifikationen von myCare, Kunden bekamen indirekte Preisnachlässe von 1,50 Euro pro verschreibungspflichtigem Präparat, seien wettbewerbsrechtlich zu beanstanden, so die Richter. Eine Apotheke, die Patienten für jedes Rx-Arzneimittel einen Euro in Form von Gutscheinen gewährte, kam glimpflich davon. Hier fand der BGH keinen Grund zur Rüge. Allerdings wurde klar, dass Bagatellgrenzen lediglich eine Seite der Medaille sind, und zwar aus Sicht des Wettbewerbsrechts. Richter verwiesen auf das "Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb". Darin heißt es, unlautere geschäftliche Handlungen seien unzulässig, wenn sie "geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen". Diese Spürbarkeit sei bei Boni von einem Euro pro verschreibungspflichtigem Präparat gegeben. Berufsrechtlich hilft diese Argumentation Kollegen jedoch kaum – und so rollt zurzeit eine Klage ungeahnten Ausmaßes durch die Republik.
Offizin- oder Versandapotheker können sich nicht auf das BGH-Urteil berufen, das haben zahlreiche Entscheidungen der letzten Wochen gezeigt: Am 6. Mai verdonnerte das Landgericht Dresden einen Apotheker, der Taler im Wert von 33 Cent pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel ausgelobt hatte, zu 1.000 Euro Ordnungsgeld (Az.: 21 BG-Ap 3/12). Er ignorierte Mahnungen der Sächsischen Landesapothekerkammer und bewarb sein sein Bonusprogramm weiter über Annoncen in Printmedien. Vom Landgericht hieß es, die Arzneimittelbindung sei „penibel einzuhalten“, eine Bagatellgrenze gäbe es im Berufsrecht nicht. Reine Sachprämien wie die obligatorischen Taschentücher oder Kundenzeitschriften gelten als unkritisch. Ähnliche Töne kamen Ende April vom Verwaltungsgericht Gießen (Az.: 21 K 1887/11). Die beklagte Apothekerin hatte mit einer „easyRezept-Prämie bis 3,00 Euro“ pro Rezept geworben und argumentiert, ein „Preiswettbewerb unter Apothekern sei im Hinblick auf die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Berufsausübung zuzulassen“. Das sahen Juristen der Landesapothekerkammer Hessen anders. Sie beriefen sich – wenig überraschend – auf die Preisbindung laut Arzneimittelgesetz (§ 78) und Arzneimittelpreisverordnung (§ 3). Letztlich erhoben Richter eine Geldbuße von 750 Euro. Das Landesberufsgericht für Heilberufe am Oberlandesgericht München geht gegen Kollegen mit ähnlicher Härte vor (Az.: LBG-Ap 4/12). In Berlin arbeiten Berufsgerichte mittlerweile am Fließband. Sie zogen gleich acht Apotheker, die Ein-Euro-Gutscheine im Marketing offeriert hatten, zur Verantwortung (Az.: VG 90 K 4.11 T u.a.). Auch hier argumentierten Kollegen mit dem BGH-Urteil – ohne Erfolg. Richter teilten die Auffassung der Berliner Apothekerkammer – und beriefen sich auf entsprechende Gesetze zur Preisbindung bei Rx-Präparaten. Trotzdem verhängten Justitias Vertreter nur in drei Fällen Geldbußen, ansonsten sprachen sie Mahnungen aus. Eine Apothekerin wurde sogar freigesprochen.
Ein easy-Apotheker ließ sich von der bundesweiten Sachlage nicht abschrecken. Nachdem seine Strategie, mit Prämien von bis zu drei Euro pro Kassenrezept zu werben, von der Apothekerkammer Rheinland-Pfalz beanstandet worden war, geschah – nichts. Mit Unterstützung seiner Systemzentrale gelang es ihm, sich vor dem zuständigen Berufsgericht in Mainz zu verteidigen (Az.: BG-H 2/11.MZ). Hier fanden Richter tatsächlich Ermessungsspielräume, die von Apothekerkammern zu berücksichtigen seien. Entsprechende Boni blieben folglich ohne Beanstandung. Das Urteil wurde in zweiter Instanz wieder einkassiert, mit der üblichen Argumentation. Daraufhin legte die betroffene easyApotheke Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Aus Karlsruhe hieß es lapidar, die Klage werde nicht angenommen. Jetzt zieht die easy-Karawane weiter nach Straßburg zum Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dem Apotheker gehe es nicht um ein Menschenrecht auf Rx-Boni, sondern vielmehr um die Abweisung seiner Klage beim Bundesverfassungsgericht, so die Argumentation.
Eine ganz andere Strategie verfolgt DocMorris. Der Versender stellte nach entsprechenden Urteilen des gemeinsamen Senats oberster Bundesgerichte seine Marketingstrategie um: Aus Rx-Boni in Höhe von 2,50 Euro pro Präparat wurden kurzerhand Prämien für Kunden, die Arzneimittelchecks in Anspruch nehmen. Ansonsten blieb man brav bei der Bagatellgrenze von einem Euro. Kunden freuen sich in Summe über bis zu 15 Euro, abhängig von der Medikation und von der Komplexität ihrer Erkrankung. Richter untersagten diese Marketingstrategie im Eilverfahren und bestätigten ihre Sichtweise später im Hauptsacheverfahren. Ihre Argumentation: Entsprechende Gratifikationen würden immer an Rezepte gekoppelt. Wer keine verschreibungspflichtigen Präparate ordert, bekommt trotz Arzneimittelüberprüfung auch keinen Bonus. Da die Versandapotheke am Konstrukt festhielt, wurden kurzerhand 100.000 Euro als Ordnungsgeld verhängt, was vom Oberlandesgericht noch zu überprüfen ist. DocMorris selbst revidierte während des aktuellen Verfahrens sein Marketingmodell – Sofortrabatte von einem Euro sind Geschichte. Dafür erhalten Kunden mittlerweile Prämien von bis zu 20 Euro. Erneut sprach das Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung aus, und weitere Ordnungsgelder gelten als wahrscheinlich (Az.: 84 O 3/13, Az.: 84 O 90/13).
Vor diesem Hintergrund raten Juristen Apothekeninhabern davon ab, Rx-Boni in ihre Marketingkonzepte einzubauen, unabhängig von deren Höhe. Zwar zeigen sich in einzelnen Kammerbezirken Unterschiede, wie drakonisch Gratifikationen geahndet werden. Die Grundtendenz ist jedoch klar: Taler und Gutscheine für rezeptpflichtige Arzneimittel werden aus Apotheken bald ganz verschwunden sein.