Wissenschaftler haben nun eine neue massenspektrometrische Methode entwickelt, um das Biopolymer Poly(ADP-Ribose) in Zellen zu quantifizieren. Dies kann zur Entwicklung neuer Chemotherapeutika beitragen.
Wird die Erbsubstanz (DNA) einer Zelle durch zelleigene Stoffwechselprodukte oder durch von außen kommende toxische Substanzen geschädigt, so löst dies augenblicklich die Aktivierung von Enzymen der Familie der Poly(ADP-Ribose)-Polymerasen aus. Dies schützt die Zelle vor potenziell krebsauslösenden Mutationen. Den Wissenschaftlern des Arbeitsbereichs Molekulare Toxikologie der Universität Konstanz ist es, in enger Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), Boston, USA, gelungen, eine neue bioanalytische Methode zu entwickeln, mit der das Nukleinsäure-ähnliche Biopolymer Poly(ADP-Ribose) in Zellen und Geweben mit bisher unerreichter Sensitivität und Spezifität nachgewiesen und exakt quantifiziert werden kann. Wird die DNA einer Zelle von innen etwa durch freie Radikale oder von außen, beispielsweise durch die Inhaltsstoffe des Zigarettenrauchs oder auch – bei der Tumortherapie – durch Krebsmedikamente, geschädigt, führt dies bereits innerhalb von Sekunden nach Auftreten des DNA-Schadens zur chemischen Ankopplung von Poly(ADP-Ribose) an eine Vielzahl zellulärer Proteine. Es wird angenommen, dass hierdurch etliche zelleigene „DNA-Reparaturwerkzeuge“ gezielt an die Schadensstelle herangeführt werden und somit verschiedene Reparaturmechanismen in der Zelle unterstützt und koordiniert werden. Derzeit befinden sich etliche pharmakologische Hemmstoffe dieser Poly(ADP-Ribosyl)ierungs-Reaktion als Tumortherapeutika in der klinischen Entwicklung, da sie die DNA-schädigende Wirkung etablierter Tumortherapien verstärken. Die dabei durch bestimmte Krebsmedikamente absichtlich herbeigeführten DNA-Schäden sollen die Tumorzellen in den Zelltod treiben. Wenn die Tumorzellen diese Schäden jedoch schnell reparieren können, haben sie eine verbesserte Chance zu überleben, was im Sinne der Therapie unerwünscht ist. Bei einigen Tumoren mit spezieller genetischer Konstellation, wie zum Beispiel erblichem Brustkrebs, können Hemmstoffe dieser Poly(ADP-Ribosyl)ierung sogar direkt tumorhemmend wirken.
Die Forscher konnten zeigen, dass mit der neuen Methode selbst die extrem geringe Poly(ADP-Ribose)-Menge problemlos messbar ist, die unter stressfreien Bedingungen in der Zelle vorliegt. Ebenso konnten sie bestätigen, dass diese Menge nach DNA-Schädigung sehr rasch um mehr als das Hundertfache ansteigt. Außerdem zeigt die Studie, dass die zelluläre Stressantwort in Blutzellen verschiedener Individuen ausgesprochen unterschiedlich ausfallen kann, was sowohl in der Krebsentstehung als auch in der Krebsbehandlung von Bedeutung sein kann. „Wir glauben, dass unsere Methode ein völlig neues Fenster zur Erforschung der zellulären Poly(ADP-Ribosyl)ierungs-Reaktion eröffnet und dass dies gerade auch bei der Medikamentenentwicklung Anwendung finden kann“, so Dr. Aswin Mangerich, Habilitand im Arbeitsbereich Molekulare Toxikologie und gleichzeitig Gastwissenschaftler am MIT. Er und Dr. Rita Martello, die im Rahmen ihrer kürzlich abgeschlossenen Doktorarbeit innerhalb der Graduiertenschule „Chemische Biologie“ an der Entwicklung dieser Methode gearbeitet hat, sind zusammen mit Alexander Bürkle die federführenden Autoren der Publikation. Originalpublikation: Quantification of cellular poly(ADP-ribosyl)ation by stable isotope dilution mass spectrometry reveals tissue- and drug-dependent stress response dynamics Aswin Mangerich et al.; ACS Chemical Biololgy, 2013