Viele Patienten mit Depressionen verzweifeln, wenn sie hören, wie lange sie auf einen Therapieplatz warten müssen. Doch das Internet bietet neue Chancen, um Patienten mit leichten bis mittelgradigen Depressionen schneller zu helfen.
Depressionen kehren häufig zurück – auch, wenn die akuten Symptome mithilfe einer Psychotherapie behoben wurden. Innerhalb eines Jahres leiden 29% der Patienten, die eine kognitive Verhaltenstherapie (CBT) erfolgreich abgeschlossen haben, erneut an depressiven Symptomen. Innerhalb von zwei Jahren sind es 54% (Vittengl et al. 2007, zitiert von Andersson et al. 2013). Doch durch vorbeugende Maßnahmen lässt sich ein Rückfall häufig verhindern. Außerdem werden Rückfälle als weniger belastend und bedrohlich erlebt, wenn die Patienten darauf vorbereitet sind.
Die internetbasierte Verhaltenstherapie (ICBT) kann als eine moderne Form der Bibliotherapie (Therapie mittels Lektüre) angesehen werden. Kristofer Vernmark und seine Kollegen von der Linköping-Universität in Schweden führten hierzu eine randomisiert-kontrollierte Studie durch, an der 88 Patienten teilnahmen. Ein Teil der Patienten erhielt eine geführte Anleitung zur Selbsthilfe via Internet, eine andere Gruppe erhielt eine individuelle CBT via E-Mail und eine dritte Gruppe wartete auf ihre ICBT. Beide Therapieformen enthielten verhaltenstherapeutische Elemente wie z.B. Verhaltensaktivierung, kognitive Restrukturierung, Schlafstrategien, Zielsetzungen und Rückfallprävention. Bei der E-Mailberatung ging der Therapeut jedoch individuell auf den Patienten ein, während die geführte Selbsthilfeanleitung zum größten Teil aus vorgefertigten Texten bestand, die als PDF-Dateien zum Ausdrucken geliefert wurden. Sowohl die Anleitung zur Selbsthilfe als auch die E-Mail-Therapie wurde 8 Wochen lang durchgeführt. Danach erhielten auch die Patienten der Wartegruppe eine internetbasierte Anleitung zur Selbsthilfe.
27 von 29 Patienten riefen alle Selbsthilfe-Therapieeinheiten ab und 29 von 30 Patienten nahmen alle vorgesehenen „E-Mail-Therapiesitzungen“ wahr. Beide Therapieformen zeigten Erfolg. 34,5% der Teilnehmer der „Selbsthilfe-Therapie“ und 30% der "E-Mail-Therapie-Gruppe" erreichten ein hohes Funktionsniveau gemäß der Beck-Depressions-Skala (BDI): Ihr Punktwert lag bei unter 9. Nach 6 Monaten hatten sogar 47,4% bzw. 43,3% der Studienteilnehmer dieses Niveau erreicht. Doch wie würde das Ergebnis nach 3,5 Jahren aussehen? Dieser Frage gingen Gerhard Andersson und seine Kollegen, ebenfalls von der Linköping-Universität in Schweden, nach. Die Autoren konnten die Daten von 51 Patienten nach 3,5 Jahren auswerten. Die Patienten hatten zu diesem Zeitpunkt ein Durchschnittsalter von 39 Jahren (Standardabweichung = 12,4 Jahre). 34 von 51 Patienten (66,7%) waren Frauen. Etwa die Hälfte der Patienten hatte nach der Internet-Therapie noch weitere Therapien beansprucht und/oder Medikamente erhalten. Der Vergleich der Beschwerden vor der Internet-Behandlung und 3,5 Jahre danach ergab eine Effektgröße von d = 1,7 in der angeleiteten Selbsthilfegruppe und von d = 1,5 in der E-Mail-Therapiegruppe. Etwa die Hälfte der Patienten (29 von 51) hatte 3,5 Jahre nach der ICBT einen BDI-Score von unter 10, was als minimale oder fehlende Depression gewertet werden kann.
Auch in Deutschland gibt es immer mehr Ansätze und Forschungsarbeiten zur internetbasierten Therapie. Die Kölner Diplom-Psychologin Christiane Eichenberg hat bereits viele interessante Beiträge zu diesem Thema publiziert. Speziell auf Menschen mit Depressionen ausgerichtet ist das Internet-Projekt "deprexis®", das von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) unterstützt wird. Hierbei evaluieren Wissenschaftler, wie hilfreich die internetbasierte Therapie für Menschen mit leichten und mittelgradigen Depressionen sind. An diesem Projekt nehmen unter anderem die Universitäten Bern, Lübeck und Hamburg teil – es wird gefördert vom Bundesgesundheitsministerium. Der Verband Psychologischer Psychotherapeuten hat hierzu jedoch eine kritische Stellungnahme abgegeben, denn bei Internetprogrammen bestehe unter anderem die Gefahr, dass Chronifizierungen und Suizidalität übersehen werden. Patienten mit einer leichten bis mittelgradigen Depression, die an einer Studie zur Internetbasierten Selbsthilfe teilnehmen möchten, können sich bei der "EVIDENT-Studie" (online-studie-depression.de) der Uni Lübeck anmelden.