„Noch so ein Sieg, und wir sind verloren“, soll König Pyrrhus von Epirus gesagt haben, als er römische Armeen unter großen Verlusten überwältigen konnte. Das Zitat erinnert an den Verhandlungserfolg zu Kassenabschlägen: Inhaber sind erleichtert – aber der Kompromiss schmerzt.
Ende Mai gelang das Wunder: Unter Vermittlung von Dr. Rainer Hess kam es zu einer überraschenden Wende in Sachen Kassenabschlag. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband haben sich – vorbehaltlich der Zustimmung ihrer Gremien – auf einen Kompromiss verständigt. Beide Verhandlungspartner wollen bis zum 20. Juni ihre endgültige Entscheidung bekanntgeben.
Nachdem es bis Ende 2012 zu keiner Lösung gekommen war, hatte DAV-Chef Fritz Becker den Kassenabschlag eigenmächtig auf 1,75 Euro festgelegt und Rechenzentren angewiesen, dies auch umzusetzen. Krankenkassen hatten entsprechende Sammelrechnungen trotz lautstarken Protests beglichen. Der Kompromiss: Ab 1. Juli 2013 betragen Zwangsrabatte nunmehr 1,85 Euro. „Auf eine aufwändige Rückabwicklung für das fast vollständig mit 1,75 Euro abgerechnete erste Halbjahr 2013 wird verzichtet“, sagte ein ABDA-Sprecher zu DocCheck. Und weiter: „Für das Jahr 2014 wird ein Apothekenabschlag in Höhe von 1,80 Euro und für das Jahr 2015 in Höhe von 1,77 Euro vereinbart.“
Der weitere Fahrplan: Bis zum 1. Juli 2014 wollen sich beide Seiten verständigen, was das Jahr 2015 bringen wird. „Die Zeit soll zugleich dafür genutzt werden, den Gesetzgeber zu einer Aufhebung der parallelen Vergütungsanpassungsregelungen aus Apothekenabschlag nach § 130 SGB V einerseits und der fixen packungsbezogenen Honorierung nach § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) über die Arzneimittelpreisverordnung andererseits zu bewegen“, so der ABDA-Sprecher weiter. In § 130 SGB V regelt der Gesetzgeber Details zur Berechnung von Kassenrabatten. Hier seien „Veränderungen der Leistungen der Apotheken auf Grundlage einer standardisierten Beschreibung der Leistungen im Jahre 2011“ sowie „Einnahmen und Kosten der Apotheken durch tatsächliche Betriebsergebnisse repräsentativ ausgewählter Apotheken“ darzustellen. Ergänzend wird vom AMG das „Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen“. Gelingt es Spitzenvertretern der Apothekerschaft nicht, die künftige Bundesregierung umzustimmen, stehen als Basis für neue Abschläge 1,77 Euro im Raum – unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten öffentlicher Apotheken.
Doch zurück zum Kompromiss: Gleichzeitig haben sich die Verhandlungskommissionen entschlossen, Klagen für 2009 und 2010 zurückzuziehen. Beide Verfahren liegen derzeit beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Gegen den Schiedsspruch aus 2009, nämlich 1,75 Euro, hatte der GKV-Spitzenverband geklagt. Auch für 2010 errechneten Unparteiische 1,75 Euro – und Kassenvertreter forderten daraufhin, beide Verfahren aneinander zu koppeln. Dieses Mal zog die Apothekerschaft vor den Kadi. Dass es jetzt zur Einigung kam, ist auch unter zeitlichen Aspekten positiv zu bewerten – nach dem Landessozialgericht hätte wahrscheinlich das Bundessozialgericht entscheiden müssen. Für Apotheker, die Rücklagen bilden mussten, bringt der Verzicht auf rechtliche Schritte zumindest für vergangene Jahre Klarheit.
„Dieser nach langen und zähen Verhandlungen gefundene Kompromiss ist eine Lösung, die beiden Seiten große Zugeständnisse abverlangt“, sagt Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, zu DocCheck. Apotheker verlieren – über den Daumen gepeilt – bei einem durchschnittlichen Zwangsrabatt von 1,80 Euro genau fünf Cent pro Packung. Auf Basis von 700 Millionen abgegebenen Rx-Arzneimitteln entspricht das einem Volumen von 35 Millionen Euro. Kassen müssen ebenfalls bluten, sie hatten mit 2,05 Euro bis 2,30 Euro gepokert. Allerdings stehen ihnen solide Rücklagen in Milliardenhöhe zur Verfügung. Karl-Heinz Resch, ABDA-Geschäftsführer Wirtschaft, Soziales und Verträge, spricht von 13,1 Milliarden Euro als Liquiditätsreserve im Gesundheitsfonds und weiteren 15,2 Milliarden Euro als Finanzreserve der Versicherungen selbst. Trotzdem zeigten sich beide Seiten erleichtert, im Wege der Selbstverwaltung eine tragfähige Lösung gefunden zu haben. Das Rundum-sorglos-Paket von Dr. Rainer Hess erwies sich als genialer Schachzug. Jeder Vermittlungsvorschlag des Unparteiischen – egal in welcher Höhe – hätte nur zu weiteren Klagen vor dem Sozialgericht geführt, allein schon wegen der Verfahren aus 2009 und 2010.
Für Inhaber bleibt die Frage, ob entsprechende Maßnahmen tatsächlich zu einer spürbaren Erleichterung geführt haben. DocCheck bat Gabriela Aures um eine betriebswirtschaftliche Einschätzung. Für sie spielen mehrere Faktoren eine Rolle. „Durch einen Wechsel des Großhändlers und damit weggefallene Zwangsangebote – inklusive besserer Konditionen im legalen Rahmen – habe ich zusammen mit der höheren Honorierung bisher endlich wieder ein spürbar besseres Ergebnis nach extrem knappen Jahren“, sagt Aures. „Die Anhebung des Abschlages wird sich natürlich bemerkbar machen, aber für den Preis der Sicherheit für die Jahre 2009 und 2010 kann ich ihn zähneknirschend akzeptieren.“ Allerdings wundern sich die Apothekerin und weitere Kollegen, warum nicht zuerst Abschläge und dann erst Honorare verhandelt wurden. Aures relativiert, „auch bei umgekehrter Abfolge wäre es zur massiven Einflussnahme der Kassen auf Politiker“ gekommen – wahrscheinlich mit vergleichbarem Resultat.
„Ich bin erst seit 2012 wirklich aktiv und interessiert, kann also die Vergangenheit nicht beurteilen“, sagt die Apothekerin. „Allerdings hätte unsere Standesvertretung schon viel früher anfangen müssen, Gespräche zu führen und Forderungen zu stellen“: spätestens im November 2010, als klar wurde, dass schlechtere Rx-Großhandelskonditionen und erhöhte Abschläge Realität werden. „Die Verhandlungen im Vorfeld dürften der ABDA beziehungsweise dem DAV bekannt gewesen sein.“ Beide Komponenten hätten „Tsunami-artige Verschiebungen“ in Apotheken ausgelöst – „das war absehbar, und es wurde nichts gemacht.“ Aures kritisiert, „die hohen Herren und Damen erscheinen mir oftmals zu weit weg vom Alltag in der Apotheke“. Und auf Verhandlungsstrategien bezogen: „Es interessiert nicht, was wir ganz genau ausgerechnet haben und dann auch als Minimum brauchen, ohne uns zu "bereichern" – das wird auch noch gedrückt.“ Streiken oder protestieren, um Forderungen zu untermauern, sei „nicht akademisch oder apotheker-like“, aber eventuell erfolgreicher. „Wann lernen wir das Klappern?“, so ihr Fazit.
Bleibt als Aufgabe, nach vorn zu blicken. „Wichtig wäre meiner Ansicht nach, dass unsere jetzt festgelegte Vergütung nicht durch die Hintertür wieder wegbricht – Stichwort Bestandsmarktüberprüfung“, betont Aures. „Wenn wir drei Prozent Aufschlag nicht mehr auf Grundlage von Listenpreisen, sondern auf Basis von Erstattungspreisen berechnen, gehen uns Unsummen verloren.“ Auch sollten Apotheker „frühzeitig die Chance nutzen, gesetzliche Grundlagen des Abschlages zu ändern“. [Bildlizenz: Weitergabe unter gleichen Bedingungen - http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/]