Erstmals wird ein Fälscher von wissenschaftlichen Daten mit einem dreimonatigem Gefängnisaufenthalt bestraft. Gibt es also bald nur noch „ehrliche“ Daten? Ein Blick auf die vielfältigen Probleme zeigt: es wird wohl noch dauern.
Der Engländer Steve Eaton war Mitarbeiter beim Auftragsforschungsunternehmen Aptuit und hatte Daten zur Wirksamkeit von Krebsmedikamenten geschönt. Die von Eaton getesteten Substanzen zeigten bessere Wirksamkeit, als es in Wahrheit der Fall war. Damit ist er der Erste, der nach dem seit 1996 in England geltenden verschärften Gesetz mit der Bezeichnung „Good Laboratory Practice Regulations“ verurteilt wurde. Der Sheriff Michael O’Grady am Gericht in Edinburgh sagte gegenüber der BBC, dass seine „Bestrafungsmöglichkeiten bei diesem Fall nicht der Schwere des Vergehens gegenüber angemessen“ seien. Denn wären die Manipulationen nicht entdeckt worden, hätten viele Krebspatienten unter den Folgen gelitten.
Die Tatsache der Datenmanipulation überrascht nur wenige ernstlich – gab es doch in der Vergangenheit genügend Fälle, bei denen man dachte: das kann doch gar nicht möglich sein. So etwa der aktuelle Wissenschaftsbetrug von Yoshitaka Fujii (DocCheck berichtete), der in bis zu 200 Publikationen Daten gefälscht haben soll. Ein Teil wurde ihm bereits nachgewiesen, für zahlreiche weitere Publikationen steht der Beweis der Manipulation noch aus, oder ist nur noch eine Frage der Zeit. Sie fragen, warum diese Praktik so lange nicht aufgeflogen ist? Prof. Dr. Peter Kranke von der Würzburger Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Würzburg, der sich bereits vor vielen Jahren kritisch mit den Ergebnissen des japanischen Forschers auseinandergesetzt hatte, erklärte dazu gegenüber dem Ärzteblatt: „Er hat immer wieder mit anderen Institutionen zusammengearbeitet, hat seine Mitautoren gewechselt und in unterschiedlichen Journalen veröffentlicht“. Daneben gibt es natürlich noch weitere Erklärungen. Im Peer-Reviewing-Prozess wird eine Arbeit zwar geprüft, in der Regel aber nicht die Originaldaten auf Plausibilität untersucht. Und schon gar nicht können die „Referees“ die Experimente nachkochen, oder im Extremfall klinische Studiendaten erneut erheben. Daher ist das Aufdecken solcher Fälle immer noch eher zufällig oder weil es einen Whistleblower, einen Verräter in den eigenen Reihen, gibt.
In einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2009 untersuchte Daniele Fanelli 21 Studien, in denen Forscher zu wissenschaftlichem Fehlverhalten befragt worden waren. Das Ergebnis ist hochinteressant: Zwei Prozent der Forscher gaben zu, selbst schon mindestens einmal Daten erfunden, ge- oder verfälscht zu haben, um die Ergebnisse zu verbessern. Auf die Frage, ob denn ihnen bekannte Kollegen schon Daten erfunden oder manipuliert hätten, gaben 14 Prozent solches Wissen an. Andere, etwas minder schwere Datenmanipulationen und geschönte Darstellungen gab jeder Dritte Befragte zu. Wiederum wussten sie von viel mehr Kollegen, die solche Manipulationen vorgenommen hatten – nämlich von etwa 50 bis 75 Prozent. Aus diesen Angaben folgert der Autor, dass die Häufigkeit von Datenveränderungen noch unterschätzt wird. Zwar wird sicher nicht jeder Wissenschaftler unzählige Datenreihen erfinden, aber das „Weglassen einzelner Datenpunkte aufgrund eines Bauchgefühls“ oder „das Nicht-Publizieren von Daten, die vorhergehender eigener Forschung wiedersprechen“ scheint sehr verbreitet zu sein.
Den Forschern ist also durchaus bewusst, dass sie sich wissenschaftlich nicht korrekt verhalten. Doch was sind die Gründe für dieses Verhalten? Sicherlich ist falscher Ehrgeiz ein starker Antrieb. Dann bedarf es einer Kontrolle durch die anderen Gruppenmitglieder und die Arbeitsgruppenleitung. Doch wenn der Fisch vom Kopf her stinkt, dann wird der Druck nach unten an die Post-Docs und Doktoranden weitergegeben, die sich möglicherweise sogar in gewisser Weise genötigt fühlen, bessere/mehr Ergebnisse und diese schneller zu liefern, als es auf „natürlichem“ Wege möglich wäre. Daher muss schon in der Ausbildung von Medizinern und Wissenschaftlern großer Wert auf das Vermitteln der Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis gelegt werden. Graduiertenschulen sind durch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) dazu verpflichtet, über die Ethikgrundsätze und Zitierregeln zu unterrichten.
Doch was geschieht, wenn ein ethisch verantwortlicher Wissenschaftler oder Mediziner in die pharmazeutische Forschung wechselt, in einen Industriezweig, in dem zusätzlich enorme wirtschaftliche Interessen die Forschung und die Ergebnisse beeinflussen. Zugegeben, nicht immer werden die Daten direkt gefälscht, wie das Steve Eaton getan hat. Ein sehr großes Problem ist jedoch der Publication Bias, also eine verzerrte Darstellung der Daten durch die Auswahl, welche Ergebnisse veröffentlicht werden. Es ist ein weithin anerkanntes Problem, dass Studien nicht veröffentlicht werden, die das getestete Präparat in ungutes oder zumindest nicht zulassungsförderndes Licht stellen. Einerseits verständlich, wo der Weg von der Entwicklung einer Substanz bis zur Zulassung lang und vor allem sehr teuer ist. Nach einem solchen Ironman-Wettbewerb will man doch nicht auf der Zielgerade disqualifiziert werden. Doch wenn nicht alle Ergebnisse von Studien veröffentlicht werden, führt das die gesamte evidenzbasierte Medizin ad absurdum. Nebenbei kann es nicht nur schwere Folgen für die betroffenen Patienten haben, die für sie ungeeignete Medikamente erhalten, sondern belastet auch die Kassen des Gesundheitssystems in erheblichem Ausmaß.
Nun gibt es ja theoretisch seit einigen Jahren die Pflicht, alle durchgeführten klinischen Studien in speziellen Studienregistern eintragen zu müssen (in den USA, in Europa) und die Daten innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Studie veröffentlichen zu müssen. Daran halten sich aber nur die wenigsten, wie Andrew P. Prayle und Kollegen in einer Publikation im British Medical Journal nachwiesen. Sie untersuchten, wie viele der im Jahr 2009 registrierten Studien ein Jahr nach Abschluss veröffentlicht waren: es war gerade einmal jede Fünfte. Es scheint wie überall zu sein, wo wirtschaftliche Interessen sehr groß sind. Eine freiwillige Verpflichtung funktioniert nicht. Daher ist der Gesetzgeber aufgefordert, diesen Missstand zu bekämpfen. Neben einer Pflicht zur Veröffentlichung aller Studiendaten – egal ob mit positivem oder negativem Ergebnis – muss es schmerzhafte Strafen geben, wenn dieser Pflicht nicht nachgekommen wird. Ob Gefängnisstrafen, lebenslange Berufsverbote, Geldstrafen, andere Sanktionen oder eine Kombination daraus sinnvoll sind, muss diskutiert werden. Doch wenn Sie als verantwortungsbewusste Ärzte für Ihre Patienten die beste Behandlung auswählen möchten, so müssen Sie umfassendes Informationsmaterial zur Verfügung haben. Oder etwa nicht?