Eine Forschergruppe unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Tübingen zeigt Mechanismen auf, wie eine Influenzavirusinfektion in Gang gebracht, aber auch gehemmt werden kann.
Grippeviren der Gattung Influenza A stellen für den Menschen eine besondere Bedrohung dar. Ihre verschiedenen Varianten können nämlich Artgrenzen überspringen, wie in den letzten Jahren geschehen, etwa vom Schwein oder auch von Vögeln auf den Menschen. Damit das Influenzavirus sich vermehren und somit eine Infektion sich ausbreiten kann, muss das Virus in den Kern der Körperzellen des infizierten Wirts eindringen. Dazu muss es sich an spezifische Proteine adaptieren, die den Weg in den Zellkern vermitteln, Varianten der alpha-Importine. Ein Team von Wissenschaftlern, zu denen auch zwei Forscherinnen des Universitätsklinikums Tübingen gehören, hat nun nachgewiesen, dass für die Infektion des Menschen mit Influenza-A-Viren die Protein-Variante Importin-alpha 7 eine entscheidende Rolle spielt. Diese Erkenntnis, so die Forscher, könnte von therapeutischem Nutzen sein. Eine passagere Suppression des Importin-alpha 7 bei Patienten könnte möglicherweise helfen, die Ausbreitung dieser Infektion zu verhindern.
Importin-alpha-Varianten supprimiert
Zellkerne sind durch eine Membran geschützt, durch die nur kleine Moleküle ungehindert eindringen können. Der Importweg von größeren Molekülen und auch der von Viren erfolgt in Abhängigkeit der Importine alpha und beta. Welche Rolle die mittlerweile sechs bekannten, einander sehr ähnlichen Varianten (Isoformen) des alpha-Importins bei der Infektion von Influenzaviren spielen, war bisher nicht bekannt. In der neuen Studie, die am 18. Januar 2011 in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen ist, hat ein Team von Virologen, Immunologen, Biologen und Molekularpathologen aus Deutschland und Großbritannien die Bedeutung von alpha-Importinen für den Verlauf von Influenza-A-Infektionen in Zellkulturen sowie in Mäusen untersucht. Hierbei wurden selektiv einzelne Importin-alpha-Varianten supprimiert oder ausgeschaltet. Zu den untersuchten Viren gehörten auch die als Auslöser der sogenannten Vogelgrippe bekannt gewordene Influenza-A-Variante H5N1 und die im Jahr 2009 neu aufgetretene Variante des Typs H1N1v, welche zuerst bei Schweinen beobachtet wurde.
Vogelgrippeviren benötigen Importin-alpha 3
Zweitautorin der Studie ist Prof. Dr. med. Karin Klingel, die stellvertretende Leiterin der Abteilung für Molekulare Pathologie des Instituts für Pathologie am Universitätsklinikum Tübingen. Unterstützt wird sie bei ihrer Arbeit von ihrer Kollegin Dr. med. vet. Martina Sauter. Karin Klingel: „Unsere Arbeit macht deutlich, wie spezifisch Virusproteine auf die verschiedenen alpha-Importinvarianten reagieren und dass diese Unterschiede entscheidend dafür sind, welchen Wirt ein Virus infizieren kann.“
Die Forschergruppe um Gülsah Gabriel vom Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Universität Hamburg und Karin Klingel stellt in ihrer Studie verschiedene Experimente vor, die belegen, dass Vogelgrippeviren Importin-alpha 3 benötigen, während Viren, die an Säugetiere angepasst sind, nicht ohne Importin-alpha 7 effizient replizieren, also neue Nachkommenviren entstehen lassen können. Besonders interessant war der Befund, dass die Vermehrung der neuen Influenzavariante H1N1v offensichtlich von den beiden Importinvarianten alpha-3 und alpha-7 abhängig ist. Karin Klingel: „Wir interpretieren dieses Ergebnis so, dass eine an den Menschen angepasste Influenza-A-Virusinfektion mit einer Spezifität für Importin-alpha 7 einhergeht und dass diese Anpassung bei der Virusvariante H1N1v gerade noch im Gange ist.“
Interaktion von Vogelviren mit Importin-alpha 3 als Wegbereiter
Importin-alpha 3 unterscheidet sich kaum vom Importin-alpha 7, das eher bei Säugetieren relevant ist; beide Varianten sind zu 99 Prozent identisch. Die Forscher schließen daraus, dass die Interaktion von Vogelviren mit Importin-alpha 3 vermutlich als Wegbereiter für die Anpassung der Viren an Säugetiere zu sehen ist.
An Experimenten mit Mäusen konnten die Forscher bestätigen, dass ein Fehlen des Importin-alpha 7 den Verlauf einer Infektion mit der Mausvariante von H7N7 deutlich abschwächt. Bei Mäusen, welche kein Importin-alpha 7 besitzen, blieb die Infektion auf die Lunge beschränkt, während in Wildtypmäusen Virusreplikation in Lunge, Leber und Gehirn nachgewiesen wurde. Frühere Forschungen hatten bereits gezeigt, dass H7N7 auch Zellen des Immunsystems infizieren kann, die sogenannten Makrophagen. Die aktuelle Studie zeigte nun, dass in Tieren, die kein Importin-alpha 7 besitzen, eine Infektion dieser Immunzellen ausblieb. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch bei Infektionen mit H1N1v und H5N1. Die Forscher schließen aus diesen Ergebnissen, dass Importin-alpha 7 offenbar einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob Influenzaviren sich außerhalb der Lunge ausbreiten können und somit weitere Organe befallen werden.
Karin Klingel: „In dieser Studie konnten wir erstmals zeigen, dass die Empfänglichkeit für eine Virusinfektion durch Abschaltung ganz spezifischer zellulärer Proteine reduziert werden kann. Das ist neu. Wir haben überdies gefunden, dass die Anpassung an die Importin-alpha-7-Variante offenbar ganz entscheidend dafür ist, dass eine Influenza-A-Virusvariante für den Menschen pathogen wird. Ob Importin einen über den Kerntransport hinausgehende weitere Funktion hat, zum Beispiel im Rahmen der Virusreplikation, ist unklar. Die genaue Erforschung der molekularen Mechanismen der Anpassung von Influenzaviren an den Menschen bleibt auch künftig eine interessante Forschungsaufgabe.“
Originalpublikation: Differential use of importin-? isoforms governs cell tropism and host adaptation of influenza virus. Gülsah Gabriel et al.; Nature Communications 18. Januar 2011 DOI: 10.1038/ncomms11