Eine Studie mit Koronarpatienten zeigt eine Prävalenz von Störungen im Zuckerstoffwechsel. Auch der Zusammenhang von Schweregrad der Herzerkrankung mit glykämischem Status wird belegt – das hat Konsequenzen für die Behandlung.
Der Patient mit Glukosestoffwechselstörung ist in der kardiologischen Praxis eher Regel als Zufall – das belegt die Silent Diabetes Studie aus Dresden, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal Diabetologia veröffentlicht worden sind. Die Stiftung DHD hat diese Studie gefördert. Die Daten zur Prävalenz unentdeckter Diabetiker wurden in der Praxisklinik Herz und Gefäße in Dresden erhoben. Die Kardiologen haben bei 1015 Herzkatheter-Patienten mit Oralem Glukose-Toleranz-Test (OGTT, Zuckerbelastungstest) und ergänzender HbA1c-Bestimmung (Parameter der Stoffwechselgüte) untersucht, ob Störungen im Glukosestoffwechsel vorliegen. Patienten mit einem bekannten Diabetes waren von der Studie ausgeschlossen.
„Die Daten zeigen, dass bei fast 50 Prozent der Patienten ein Risiko für Diabetes vorhanden ist und die Ergebnisse in Abhängigkeit zum Messverfahren stehen“, sagt der verantwortliche Studienleiter Dr. Rolf Dörr aus Dresden. Während beim Zuckerbelastungstest nur 513 von 1015 Patienten (51%) eine normale Glukose-Toleranz (NGT: normal glucose tolerance) aufwiesen, waren es bei der HbA1c-Messung 588 Patienten (58%). Der HbA1c wurde in drei Gruppen kategorisiert: normal (HbA1c <5,7% bzw. <39 mmol/mol), grenzwertig (HbA1c 5,7–6,4% bzw. 39–47 mmol/mol) und Diabetes mellitus (HbA1c ≥6,5% bzw. ≥48 mmol/mol). Nach HbA1c-Bestimmung hatten 385 Patienten einen Borderline-Befund (38%). Bei 42 Patienten (4%) wurde Diabetes diagnostiziert. Der OGTT hingegen zeigte bei 10 Patienten (1%) eine isoliert erhöhte Nüchtern-Glukose (IFG: impaired fasting glucose). 349 Patienten (34%) wiesen eine eingeschränkte Glukose-Toleranz (IGT: impaired glucose tolerance) auf. Bei 143 Patienten (14%) konnte der Diabetes mellitus (DM) erstmals diagnostiziert werden.
Die Silent Diabetes Studie belegt auch eine signifikante Korrelation zwischen dem Schweregrad einer koronaren Herzkrankheit (keine KHK=normal; min KHK=Stenosen < 50%; 1-GE, 2-GE, 3-GE = 1-Gefäß-, 2-Gefäß- oder 3-Gefäß-Erkrankung;) und dem glykämischen Status im OGTT (IGT-Gruppe p<0.001, Diabetes-Gruppe p=0.01). Im Gegensatz dazu fand sich keine Korrelation zwischen dem Schweregrad einer koronaren Herzkrankheit und dem glykämischen Status im HbA1c-Test.
„Daraus lässt sich schlussfolgern, dass bei jedem Herzkatheter-Patienten mit vermuteter oder gesicherter koronarer Herzkrankheit routinemäßig ein OGTT durchgeführt werden sollte“, erklärt Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe von der Stiftung DHD. Die alleinige Bestimmung des HbA1c-Wertes reiche zur Risikoabschätzung nicht aus. Viele unentdeckte Diabetiker werden dadurch nicht erfasst. Die Prognose ist ungünstiger, wenn die Behandlung bei vorhandenem Stoffwechselproblem fehlt. „Die Ergebnisse sind auch von klinischer Relevanz für die Auswahl des optimalen Verfahrens zur Revaskularisation bei Patienten im Herzkatheterlabor“, erklärt Kardiologe Dr. Rolf Dörr von der Praxisklinik Dresden. Bei manifestem oder neu entdecktem Diabetes mellitus sollten nur Medikamenten-beschichtete Stents (DES: Drug-eluting Stents) zum Einsatz kommen. Bei Diabetikern mit einer Mehrgefäßerkrankung und hohem SYNTAX-Score (Score zur Bestimmung des Schweregrades einer koronaren Herzkrankheit bei der Entscheidung Stent versus Bypass) ist die Bypass-Operation das Mittel der Wahl.
Nachzulesen sind die Studienergebnisse in der Novemberausgabe von Diabetologia 2011: R Dörr , U Hoffmann, L Heinemann, W Hunger-Battefeld, B Kulzer, A. Klinge, V Lodwig, I Amann-Zalan, D Sturm, D Tschöpe, SG Spitzer, J Stumpf, T Lohmann, O Schnell: “Oral glucose tolerance test and HbA1c for diagnosis in patients undergoing coronary angiography: the Silent Diabetes Study“ (Diabetologia 2011, 54:2923-2930).