Dass Süßholz auch Stoffe enthält, die gegen Diabetes wirken, haben nun Forscher herausgefunden. Die Amorfrutine wirken nicht nur blutzuckersenkend, sondern auch entzündungshemmend.
Naturstoffe haben ein erstaunliches, aber noch weitgehend ungenutztes Potenzial zur Vorbeugung und Behandlung von Volkskrankheiten. Die Süßholzwurzel Glycyrrhiza etwa enthält verschiedene Substanzen, die gegen Atemwegs- oder Magenerkrankungen helfen. In der Heilkunde wird sie daher schon seit Jahrtausenden eingesetzt, vor allem als Tee. Die Erkenntnis, dass die Pflanze aus der Familie der Schmetterlingsblütler möglicherweise auch gegen Altersdiabetes (Typ-2-Diabetes) eingesetzt werden könnte, ist einem Forscherteam um Sascha Sauer vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin zu verdanken. Denn die Wissenschaftler haben in der essbaren Wurzel der Pflanze eine neue Gruppe von Naturstoffen mit antidiabetischer Wirkung identifiziert: die Amorfrutine.
Wirken auch entzündungshemmend
Die chemisch einfach gebauten Substanzen kommen nicht nur in der Süßholzwurzel vor, sondern finden sich auch in den Früchten des Strauches Amorpha fruticosa. Nach dieser in den USA, Kanada und Mexiko beheimateten Pflanze erhielten die neuen Antidiabetika ihren Namen. Wie die Forscher an diabetischen Mäusen gezeigt haben, entfalten die Amorfrutine nicht nur blutzuckersenkende Eigenschaften, sondern wirken auch entzündungshemmend. Darüber hinaus beugen sie sogar einer Fettleber vor – eine häufige Erkrankung infolge einer zu fettreichen Ernährung. „Die gesundheitsfördernden Effekte beruhen darauf, dass die Amorfrutin-Moleküle gezielt an einen Rezeptor namens PPARγ im Zellkern andocken“, erklärt Sascha Sauer. PPARγ spielt im Fett- und Glukosestoffwechsel der Zelle eine wichtige Rolle. Die Bindung der Amorfrutin-Moleküle aktiviert verschiedene Gene, welche die Plasmakonzentration bestimmter Fettsäuren sowie von Glukose senken. Der verringerte Glukosespiegel verhindert die Entwicklung einer Insulinresistenz – die Hauptursache des Altersdiabetes.
Ausgesprochen gut verträglich
„Zwar gibt es auf dem Markt bereits Medikamente, die auf den PPARγ-Rezeptor wirken. Diese wirken aber nicht selektiv genug und verursachen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Herz-Kreislauf-Probleme“, sagt Sascha Sauer. Die Amorfrutine sind dagegen den bisherigen Studien zufolge ausgesprochen gut verträglich. „Es nützt aber nichts, bei Diabetes Süßholztee zu trinken oder Lakritze zu essen“, erklärt der Wissenschaftler. „Denn im Tee oder in der Lakritze liegen die Stoffe in einer viel zu geringen Konzentration vor, als dass sie wirken könnten“. Um die Amorfrutine in ausreichender Konzentration aus der Pflanze zu gewinnen, haben die Forscher daher spezielle Extraktionsverfahren entwickelt. Natürliche Amorfrutin-Extrakte können somit industriell produziert werden.
Die neu entdeckten Wirkstoffe haben nicht nur zur Therapie von komplexen Stoffwechselkrankheiten großes Potenzial, sondern lassen sich möglicherweise auch präventiv einsetzen. „Die Amorfrutine könnten als funktionelle Nahrungsergänzungsmittel angewendet werden oder als milde, individuell auf den Patienten abgestimmte Heilmittel“, sagt Sascha Sauer. „Gerade in Anbetracht sich ausbreitender Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes sollen die Substanzen in Zukunft für den Menschen nutzbar gemacht werden.“ Dazu müssen die Forscher die Wirkung der Substanzen und der pflanzlichen Amorfrutin-Extrakte als nächstes in klinischen Studien an Diabetes-Patienten testen.
Originalpublikation: Amorfrutins are potent antidiabetic dietary natural products; Sascha Sauer et al; PNAS, published online before print April 16, 2012, doi: 10.1073/pnas.1116971109