Ein Test auf Spinale Muskelatrophie ist bisher nicht Teil des Neugeborenenscreenings. Ein Fehler, denn zu einem frühen Zeitpunkt sei die Therapie besonders effektiv. So argumentieren Wissenschaftler auf Basis einer neuen Studie.
Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine genetische Erkrankung, bei der Nervenzellen im Rückenmark absterben, was zu Muskelschwund und allgemeiner Schwäche führt. SMA Typ 1, der häufigste und schwerste Subtyp der Krankheit, beginnt im Säuglingsalter und endet oft tödlich durch Ersticken oder Atemlähmung – die häufigste genetische Todesursache im Kindesalter. Experten fordern deshalb, dass das Neugeborenenscreening um eine Untersuchung auf SMA erweitert wird.
Seit Ende 2016 ist erstmals ein Wirkstoff vorhanden, der die Nervenschädigung verlangsamt oder sogar aufhält. Aufgrund der sehr guten Ergebnisse wurde der Wirkstoff Nusinersen allen Patienten mit SMA Typ 1 schon vor der Zulassung zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu den früheren klinischen Studien wurden daraufhin Kinder verschiedener Altersgruppen und verschiedener Stadien der Erkrankung mit Nusinersen innerhalb des Expanded Access Program (EAP) ausgewertet. Im Laufe der Nusinersen-Therapie beobachteten die Ärzte bei vielen Patienten motorische Verbesserungen. Mittlerweile wurde Nusinersen für die Behandlung aller Patienten mit SMA zugelassen.
Untersucht wurden 61 Kinder mit SMA Typ 1, die zwischen November 2016 und Juni 2017 mit Nusinersen behandelt wurden. Die Patienten waren zwischen einigen Monaten und fast 8 Jahren alt. Die Symptome traten meist in den ersten drei Lebensmonaten auf und die meisten Babys wurden vor dem sechsten Lebensmonat diagnostiziert. Vor der Behandlung benötigten mehr als die Hälfte der Kinder eine künstliche Atemunterstützung, 20 Prozent hatten bereits einen Luftröhrenschnitt und mehr als die Hälfte eine Ernährungssonde.
Die Analyse zeigt, dass Kinder mit SMA Typ 1 nach sechsmonatiger Behandlung mit dem Medikament Nusinersen eine Verbesserung der motorischen Funktion erreichen können. „Wir haben jetzt deutliche Hinweise, dass die Behandlung möglichst früh innerhalb der ersten Lebensmonate beginnen sollte. Die Durchführung eines Neugeborenen-Screenings für SMA ist entscheidend für die präsymptomatische Diagnose“, sagt Studienleiter Prof. Kirschner, Kommissarischer Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Universitätsklinikum Freiburg. Die Forscher kamen zu folgendem Ergebnis: Kinder, deren Behandlung im Alter von sieben Monaten oder früher begann, profitierten mehr als Patienten, deren Therapie erst später begonnen hatte.
Damit unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung der Früherkennung von SMA durch ein Neugeborenenscreening. „Unsere Ergebnisse sind ein weiterer Beweis dafür, dass eine frühzeitige Diagnose und Einleitung der Behandlung für Patienten mit infantiler Spinaler Muskelatrophie von grundlegender Bedeutung ist“, erklärt Professor Kirschner. Zur Erfassung von Patienten mit Spinaler Muskelatrophie gibt es in Deutschland seit vielen Jahren ein Register. Ergänzend dazu hat das Universitätsklinikum Freiburg das Projekt SMArtCARE ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk zur klinischen Forschung zielt darauf ab, Daten aus der Verlaufsbeobachtung von Patienten mit SMA zu sammeln. Dadurch soll die Wirksamkeit der Behandlung in unterschiedlichen SMA-Stadien, nach längeren Behandlungszeiträumen und die allgemeine Lebensqualität der Patienten und Betreuer evaluiert und verbessert werden. Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Freiburg.