Pharmakologen isolierten ein Ameisen-Neuropeptid, das dem menschlichen Oxytozin und Vasopressin sehr ähnlich ist. Überraschenderweise kann es Muskelkontraktionen unterdrücken und wäre als Hemmstoff bei frühzeitigen Wehen eine Option.
Inotozin ist die jüngste Entdeckung eines internationalen Forscherteams unter der Leitung der MedUni Wien. Das aus Ameisen isolierte, oxytozin-ähnliche Neuropeptid besitzt ein besonderes pharmakologisches Wirkungsspektrum für die menschlichen Hormonrezeptoren des Oxytozin und Vasopressin. Gleichzeit konnten die Pharmakologen zeigen, dass ein auf Inotozin basierender Wirkstoff als molekulares Werkzeug zum grundlegenden Verständnis biochemischer Signalprozesse Oxytozin und Vasopressin dient, und möglicherweise zur Entwicklung von Arzneistoffen zum Beispiel zur Hemmung der frühzeitigen Wehentätigkeit einsetzbar sein könnte.
„Durch den Einbau einer kleinen chemischen Änderung dieses Insekten-Neuropeptids konnten wir überraschenderweise einen sehr stabilen und vor allem hochselektiven Hemmstoff des menschlichen Vasopressin V1a-Rezeptors entwickeln“, erklärt Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie. „Dieser Ligand wurde auf menschlichem Gebärmuttergewebe getestet und konnte wirkungsvoll die Muskelkontraktion unterdrücken. Es sind nun weitere Versuche notwendig, um diesen Wirkstoff hinsichtlich klinischer Anwendungen zu überprüfen.“
Das auch antidiuretisches Hormon genannte Vasopressin spielt insbesondere bei der Regulierung des Wasserhaushaltes in den Nieren eine wichtige Rolle. Es kann aber auch die Durchblutung der Gebärmutter und zusammen mit Oxytozin die Wehentätigkeit während des Geburtsvorgangs beeinflussen. Ein Hemmstoff für den menschlichen Vasopressin-V1a-Rezeptor könnte daher in der Klinik bei vorzeitigen Wehen verabreicht werden, um die unerwünschte, frühzeitige Gebärmutterkontraktion zu unterdrücken. Aber auch andere klinische Einsatzgebiete sind denkbar wie beispielsweise die Behandlung von Belastungssyndrom, Aggression, Depression oder Angstzuständen, sowie Herzinsuffizienz, Schlaganfall oder Regelbeschwerden. Immerhin spielt der Vasopressin V1a-Rezeptor eine wichtige Rolle im Gehirn und im Herz-Kreislaufsystem.
Um derartige Zusammenhänge in den Molekülen zu entschlüsseln bzw. aufzudecken, benutzten die Forscher eine einzigartige Strategie für die Liganden-Entwicklung. Diese nutzt die Vorteile der evolutionären Gemeinsamkeiten des seit etwa 600 Millionen Jahre bestehenden Oxytozin-Vasopressin-Signalsystems. Das führt auch zu neuen Einblicken und zur Identifizierung wichtiger Bausteine der Rezeptoren, um künftig bessere Wirkstoffkandidaten herstellen zu können. „Unser Konzept ist neuartig und faszinierend zugleich: Man nehme ein Insekten-Neuropeptid als Botenstoff, überspringt dann etwa 600 Millionen Jahre der Evolution und dieser Stoff, mit einer kleinen chemischen Änderung versehen, eignet sich potenziell als möglicher Wirkstoff beim Menschen“, erklärt Gruber. „Ebenso wichtig ist es, diese neuartigen Moleküle als ‚Werkzeug‘ für die Forschung bereitzustellen. Erst durch Entwicklung von rezeptorsubtyp-selektiven Stoffen ist es möglich, die biochemischen Grundlagen der jeweiligen Signalsysteme zu erforschen.“
Bei Insekten wiederum gab es – im Gegensatz zu anderen Tieren – bisher noch wenige Informationen über die Biologie dieses Neuropeptid-Signalystems. „Wir konnten nun aber mit Hilfe modernster Analysen von genetischen Datensätzen zeigen, dass es in vielen Insekten ein Oxytozin- bzw. Vasopressin-ähnliches Signalsystem gibt, welches vermutlich im gesamten Tierreich funktionell verwandt zu sein scheint“, berichtet Gruber. Ziel der Wissenschaftler ist es, die Zusammensetzung und Pharmakologie dieses Signalsystems generell aufzuklären. Originalpublikationen: Development of a human vasopressin V1a-receptor antagonist from an evolutionary-related insect neuropeptide Maria Giulia Di Giglio et al.; Sci. Rep. doi: 10.1038/srep41002; 2017 Global map of oxytocin/vasopressin-like neuropeptide signalling in insects Zita Liutkeviciute et al.; Sci. Rep., doi: 10.1038/srep39177; 2016