Einer langfristig angelegten Studie zufolge sollten Schwangere kein echtes Lakritz beziehungsweise kein Süßholz essen. Der Verzehr in der Schwangerschaft schädigt möglicherweise nachhaltig die körperliche und kognitive Entwicklung des Kindes.
„Starklakritz – nur zum gelegentlichen Verzehr“, warnen Hersteller bei echtem Lakritz. Das liegt am pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoff Glycyrrhizin. Im Verdauungstrakt entsteht durch Hydrolyse das Aglykon Glycyrrhetinsäure. Es wirkt als Inhibitor der 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase 2 – ein Enzym, das die Umwandlung von Cortisol in Cortison katalysiert. Dieser Biokatalysator ist auch in der Plazenta zu finden. Lakritz erhöht also die Cortisol-Konzentration im fetalen Organismus. Soweit zur Biochemie. Jetzt ging Katri Räikkönen, University of Helsinki, der Frage nach, mit welchen Folgen werdende Mütter bei ihren Kindern rechnen müssen.
Die Forscherin arbeitet mit einer Kohorte aus 1.049 Frauen, die 1998 ein Einzelkind auf die Welt gebracht hatten. Unter allen Teilnehmerinnen waren auch 51 Frauen mit starker Lakritz-Exposition von 100 oder mehr Gramm. Die insgesamt aufgenommene Menge an Glycyrrhizinsäure lag bei mindestens 500 Milligramm, summiert über ihre gesamte Schwangerschaft. Räikkönen untersucht den Nachwuchs regelmäßig. Im Alter von acht Jahren fand die Forscherin gleich mehrere Auffälligkeiten. Ihre kleinen Probanden hatten Defizite beim räumlichen Vorstellungsvermögen, einen geringeren Wortschatz und schlechtere Leistungen beim Erzählen als Gleichaltrige aus der Vergleichsgruppe. Ihre Konzentrationsfähigkeit war schlechter. Außerdem gab es Hinweise auf aggressive Verhaltensmuster.
Die nächste Untersuchung folgte im Alter von zwölf Jahren. Während Räikkönen bei den Jungen keine körperlichen Auswirkungen fand, waren die Effekte bei Mädchen umso gravierender. Ihre Pubertät hatte früher eingesetzt. Die Teilnehmerinnen der Expositionsgruppe waren acht Kilogramm schwerer, und ihr Body-Mass-Index lag um 2,2 kg/m2 höher als bei Geschlechtsgenossinnen der Vergleichsgruppe. Die früher nachgewiesenen kognitiven Defekte waren in der Lakritz-Gruppe noch deutlicher ausgeprägt als bei der Untersuchung vier Jahre zuvor. Außerdem kam es 3,3 Mal häufiger zu Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen. Hier sah die Forscherin keinen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen.
Räikkönen schränkt zwar ein, ihre Beobachtungsstudie könne letztlich keine Kausalität belegen. Zusammen mit dem biochemischen Mechanismus und mit früheren Tierexperimenten reichen ihr die Fakten aber aus. Schwangeren rät sie, besser komplett auf Lakritz zu verzichten.