Kinder gehören für fast alle Deutschen zum Lebensglück dazu. Laut Umfragen wünschen sich fünf Prozent ein Kind, 28 Prozent zwei Kinder, elf Prozent drei Kinder und drei Prozent sogar mehr als drei Kinder. Lediglich acht Prozent gaben an, sich bewusst gegen Nachwuchs zu entscheiden. Nur gelingt es jedem zehnten Paar zwischen 25 und 59 Jahren nicht, die ersehnte Familie zu gründen, schätzt das Bundesfamilienministerium. Hier wittert F2F Events Germany, eine britische Eventagentur, ihre Chance. Sie lädt zu den Berliner „Kinderwunsch-Tagen“ ein. Auf der Homepage informiert der Veranstalter: „Treffen Sie führende Spezialisten, Klinikärzte, Therapeuten und erfahren Sie mehr über die neuesten Behandlungen und Methoden. (...) Kommen Sie zu den Kinderwunsch Tagen, wenn Sie versuchen, schwanger zu werden und erfahren Sie mehr über Behandlungsmöglichkeiten, IVF-Behandlungen, Ernährungsweisen, ergänzende und natürliche Therapien, Adoption und die Rechtslage von alternativen Möglichkeiten, um schwanger zu werden.“ Der Weekend Pass für ein Pärchen kostet 40 Euro.
Die meisten Deutschen wünschen sich Kinder. © Statista Unter den Ausstellern sind nicht nur Stresstherapeuten, Yogalehrer oder Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln. Etliche Kliniken haben Leistungen im Portfolio, die hier zu Lande nicht oder nur eingeschränkt möglich sind. Zwei Beispiele: Das
Oregon Reproductive Medicine (ORM) präsentiert sich eigenen Angaben zufolge als „Full-Service-Kinderwunschzentrum“ an der nordwestlichen Pazifikküste der USA. Ärzte locken nicht nur mit einem hausinternen Eizellspendenprogramm. Sie koordinieren auch IVF-Vorgänge, bei denen eine Leihmutter das Kind austrägt. In mehreren US-Bundesstaaten ist dies sowohl aus altruistischen als auch aus kommerziellen Beweggründen möglich. Genetische Leistungen, allen voran die Präimplantationsdiagnostik, kommen mit hinzu. In Berlin stehen Experten für Gespräche bereit. Auf Social Media stellen sie einzelne Spenderinnen vor:
Mit unterschiedlichem Maß gemessen
Kritik kommt vom Berufsverband der Frauenärzte. „In vielen dieser Länder sind Maßnahmen der Kinderwunschbehandlung gestattet, die in Deutschland verboten sind wie Eizellspende, Leihmutterschaft und Maßnahmen der Diagnostik am noch nicht implantierten Embryo, die in Deutschland nur sehr seltenen Fällen vorbehalten sind (PID)“, schreiben Gynäkologen in einer Stellungnahme. Sie bezweifeln, dass es sich – wie der Veranstalter angibt – um eine Messe mit rein informativem Charakter handelt. Naheliegender sei die Akquise neuer Kunden. „Es ist aus Sicht des Berufsverbandes der Frauenärzte nicht zuverlässig sichergestellt, dass bei allen Ausstellern die Gesundheit der behandelten Paare immer an oberster Stelle steht und Vorrang vor finanziellen Erwägungen hat beziehungsweise, dass Paaren keine unhaltbaren Versprechen gemacht und unsinnige finanzielle Belastungen vermieden werden“, kommentiert der Verband. Der Berliner Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte Matthias Bloechle wird noch konkreter: „Das ist eine Werbeveranstaltung, von der gerade für Patienten keine sachlichen Informationen zu erwarten sind.“ Frauenärzte stören sich auch daran, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Organisieren Kollegen bei medizinischen Kongressen Patiententage, müssen sie darauf achten, dass keine Laien Zutritt zur Industrieausstellung haben. „Es ist erforderlich, dass auf Messen und Ausstellungen für beratungsintensive medizinische Verfahren wie Kinderwunsch-Behandlungen, zumal wenn es sich um in Deutschland nicht zulässige Verfahren handelt, dieselben Maßstäbe angelegt werden“, fordert der Verband. Inwieweit eigene wirtschaftliche Interessen hinter diesen mahnenden Worten stehen, bleibt offen. Vielen Frauenärzten dürfte es nicht schmecken, dass gut zahlende Kundschaft ins Ausland abwandert.
Keine Handhabe gegen den Veranstalter
Gynäkologen sind nicht allein mit ihrer kritischen Einschätzung. Hier werde suggeriert, die Reproduktionsmedizin sei ganz einfach, so SPD-Gesundheitsexperten Rene Röspel. Aber „von sieben behandelten Frauen gehen sechs am Ende ohne Kind nach Hause“. Marcus Weinberg, familienpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion zufolge degradiere Leihmutterschaft ein Kind zum Bestellobjekt. Die Frau werde ein „käufliches Mittel zum Zweck“. Er ergänzt: „Auch wenn ich Verständnis habe, dass Kinderlosigkeit großes Leid auslösen kann, rechtfertigt das nicht, Dritte zur eigenen Wunscherfüllung zu instrumentalisieren“. Doch der Berliner Gesundheitsverwaltung sind die Hände gebunden. „Wir unterstützen es nicht, wenn in Berlin über solche Verfahren informiert wird“, teilte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur mit. „Wir sehen aber auch keine rechtliche Handhabe, die Messe vorab zu untersagen.“
Die Teilnahme abgesagt
Monika Uszkoreit vom Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ) erwähnt noch einen anderen Aspekt: „Der BRZ unterstützt die Legalisierung der Eizellspende unter gut durchdachten und stringenten Regelungen in Deutschland.“ Dazu gehören neben der Rückverfolgbarkeit vor allem medizinische Standards. Auf den ersten Blick sind für sie die „Kinderwunsch-Tage“ deshalb ein ideales Podium, um Paare zu informieren. Als Uszkoreit jedoch sieht, wer vor Ort sein wird, ändert sie ihre Meinung: „Die Informationsveranstaltung verwandelt sich zusehends in eine reine Werbeveranstaltung – trotz der angebotenen und sicherlich fundierten Vorträge.“ Sie befürchtet eine Instrumentalisierung ihres Verbands: „Unsere Präsenz hätte ja durchaus so interpretiert werden können, dass wir die gegenwärtige Situation in Hinblick auf das Eizellspendeverbot sogar unterstützen!“ Mit einem Verbot des Events rechnet sie nicht. „Wir haben es letztendlich mit einem großen kulturellen Unterschied zwischen angelsächsischem und deutschem Denken zu tun. Die Veranstalter schütteln nur so den Kopf über die deutschen ‚Bedenkenträger‘ – also auch über den BRZ.“