Wenn Patienten im Krankenhaus erst krank werden und Antibiotika nicht mehr wirken, kann es lebensgefährlich und teuer werden. Forscher und Mediziner versuchen mit verschiedenen Ansätzen, den Krankenhausinfektionen Herr zu werden.
Nosokomiale Infektionen sind ein Problem. Ein großes Problem. Jährlich treten etwa 400.000 bis 600.000 solcher Infektionen und etwa 7.500 bis 15.000 damit assoziierte Todesfälle auf. Eine Gefahr in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung von multiresistenten Keimen, die besonders für immungeschwächte Patienten oder Intensivpatienten lebensbedrohlich werden können. Zwar sieht die Resistenzsituation bei multiresistenten Gram-positiven Bakterien (Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin-resistenter Enterococcus (VRE)) dank der Einführung neuer Antibiotika heute besser aus als vor 10 Jahren, aber über kurz oder lang werden erneut Resistenzen auftreten. Darum sind Forscher nicht nur auf der Suche nach neuen Antibiotika, sondern denken auch in andere Richtungen. Spezifische Impfstoffe in wenigen Tagen einsatzbereit Ein Beispiel ist das Projekt von Dr. Andreas Wieser und Prof. Sören Schubert, beide vom Max von Pettenkofer-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie haben eine Methode entwickelt, um innerhalb von weniger als zwei Wochen spezifische Impfstoffe gegen isolierte Erreger herzustellen. Den Erkrankten werden Bakterien entnommen und diese dann gentechnisch verändert, vermehrt und anschließend über ein säulenbasiertes Verfahren aufgereinigt und stabilisiert. Kleinste Partikel der Bakterien bilden die Grundlage für den Impfstoff. So eine Formulierung eignet sich vor allem für Patienten, die noch nicht mit dem Erreger infiziert sind, die aber wegen eine langwierigen oder schwierigen Behandlung längere Zeit im Krankenhaus sein müssen oder dort zusätzlich immunsupprimiert werden. Inwieweit die Impfung bei bereits infizierten Patienten wirksam ist, ist noch nicht ausreichend geklärt. "Es ist sicherlich damit keine 'Wunderwaffe' gefunden, aber vielleicht eine weitere Möglichkeit, manche Patienten zu schützen", erklärt Dr. Wieser. In Tierversuchen zeigte die Impfung sowohl als Nasenspray, als auch als Injektion Wirksamkeit. "Die neuartige Methode, die wir zum Patent angemeldet haben, bietet sowohl in der Tiermedizin als auch der Humanmedizin eine interessante Perspektive. Vor allem durch die präventive Möglichkeit gegen zunehmend resistente Erreger ohne den Einsatz chemischer Antibiotika vorzugehen. Das könnte die Resistenzentwicklung der Erreger bremsen und unnötige Todesfälle vermeiden. Alles ist natürlich von der Geschwindigkeit der Erstellung abhängig und diese kann letztlich erst nach den Zulassungsstudien und Einschränkungen durch die Regulierungsbehörden abschließend abgeschätzt werden", betont Wieser. Die Schwachstelle der Mikroorganismen nutzen Einen weiteren Forschungsansatz in der Therapie multiresistenter Erreger verfolgt Privatdozent Dr. Günter Fritz vom Universitätsklinikum Freiburg. Zusammen mit Wissenschaftlern in den USA konnten sie zeigen, dass unser Immunsystem eigentlich ein wirksames Gegenmittel gegen MRSA bereithält. Das Protein Calprotectin, auch unter S100A8/A9 bekannt, kann das Wachstum der Erreger hemmen, in dem es am Ort der Infektion von Immunzellen abgegeben wird und dort die Metalle Zink und Mangan bindet. Mangan wird von vielen Mikroorganismen für die Herstellung einer funktionalen Superoxiddismutase benötigt. "Mit diesem Enzym verteidigen sich die Mikroorganismen gegen die reaktiven Sauerstoffmoleküle, welche Immunzellen am Ort einer Infektion abgeben, um die Eindringlinge zu schädigen. Das Spurenelement Mangan ist daher für MRSA-Bakterien überlebenswichtig“, erklärt PD Dr. Fritz. Er konnte nun die molekulare Wirkungsweise von Calprotectin bei der Bindung von Mangan und Zink aufdecken und somit auf eine Schwachstelle der Mikroorganismen hinweisen. Diese Erkenntnisse sollen nun genutzt werden, um neuartige Substanzen zu entwickeln, die Mangan binden und dadurch bakteriostatisch wirken, oder um Wege zu finden, welche das Immunsystem so stimulieren, dass es selbst mit den Erregern fertig wird. Aber wenn es den Mechanismus im Körper bereits gibt, warum braucht es dann Medikamente, die das gleiche machen? Dazu erklärt Dr. Fritz: "Bei infizierten Patienten haben die Erreger einfach schon überhandgenommen. Das heißt, das Immunsystem konnte sich nicht rechtzeitig und genügend gegen die pathogenen Eindringlinge zur Wehr setzen. Die Komplexierung von Mangan- und Zinkionen durch S100A8/A9 ist einer der Mechanismen mit dem unser Körper versucht, die Eindringlinge an Ort und Stelle der Infektion festzusetzen, bis weitere Mechanismen unserer Immunabwehr greifen, wie z.B. die Produktion spezifischer Antikörper". Da S100A8/A9 gegen viele pathogene Mikroorganismen wirkt, sieht Dr. Fritz die Möglichkeit, dass ein entsprechender Wirkstoff breit angewendet werden könnte. Vorrangiges Ziel: Übertragung vermeiden Besonders wichtig ist im Zusammenhang mit nosokomialen Infektionen aber, die Übertragung von potentiell gefährlichen Keimen von Patient zu Patient oder von Personal zu Patient (und umgekehrt) zu verhindern. Studien auf der Intensivstation zeigen, dass bis zu 38 Prozent der Krankenhauskeime von anderen Patienten oder Pflegepersonal stammen, also äußere Ursache haben. "In diesen Fällen können wir durch systematische Identifikation von Infektionsproblemen mindestens 20 bis 30 Prozent der Infektionen, in manchen Einrichtungen sogar bis zu 40 Prozent, verhindern", erläutert Professor Dr. med. Frank Brunkhorst vom Universitätsklinikum Jena im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). "Das bedeutet konkret: Bis zu 180.000 jährliche Infektionen in Deutschland – davon 4.500 Todesfälle – sind vermeidbar." Das sind eindrucksvolle Zahlen. Neben teils schweren gesundheitlichen Folgen für betroffene Patienten bedeuten nosokomiale Infektionen auch Belastungen für das Personal, das sich um diese Patienten intensiver kümmern muss, und steigende Kosten für das Gesundheitssystem aufgrund verlängerter Krankenhausaufenthalte. ALERTS-Studie testet Maßnahmen zur Infektionsprävention Zur Verringerung der Krankenhausinfektionen ist ein gezieltes Infektionspräventionsmanagement nötig. Und das kostet ebenfalls Geld. Geld, das viele Häuser aufgrund steigenden Kostendrucks im Gesundheitssystem oft nicht aufbringen können. Prof. Dr. Brunkhorst koordiniert als Leiter der Paul-Martini Forschergruppe für klinische Sepsisforschung des Universitätsklinikums Jena die erste krankenhausweite Präventionsstudie (ALERTS), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird. Sie soll zeigen, wie Präventionsprogramme die Infektionsraten dauerhaft senken. Nach einer ersten Phase finden nun Schulungen für das Personal statt. Wichtigster Punkt ist die Händedesinfektion, aber auch Maßnahmen wie regelmäßige antiseptische Mundspülungen zur Vermeidung von Beatmungspneumonien, adäquate Haarentfernung mit Langhaarschneidern vor Operationen, um Hautverletzungen und resultierende Infektionen zu verhindern und viele weitere evidenzbasierte Methoden werden in der Folge angewendet. Wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis für eine Klinik am Ende aussieht, wird sich erst nach dem Ende der Studie und der Auswertung 2014 zeigen. Doch Dr. Stefan Hagel, Leiter der ALERTS-Studie am Uniklinikum Jena gibt zu bedenken: "Es gibt Untersuchungen, dass eine Beatmungspneumonie Zusatzkosten von 17.000€ und einen neun Tage verlängerten Klinikaufenthalt zur Folge haben". Sicherlich würde es helfen, wenn auch die Patienten darauf drängen, dass eine Klink ein gutes Infektionspräventionsprogramm hat. Wenn die Rate an vermeidbaren Krankenhausinfektionen ein Kriterium für die Auswahl der Klinik wird, könnten die Krankenhäuser ein entsprechendes Programm schneller umsetzen.