Online-Marktplätze sind eine Fundgrube für Interessantes und Gefährliches: abgelaufene Arzneimittel, angebrochene Packungen oder Rx-Präparate ohne Rezept. Für Arzneimittel hat sich ein florierender Sekundärmarkt entwickelt.
Patienten nahmen den eBay-Slogan etwas zu wörtlich. Im Portal sahen sie eine "Möglichkeit für die Menschen in aller Welt, praktisch jedes Produkt zu kaufen und zu verkaufen", wie es in der Werbung so schön heißt. Prompt vertickerten Privatpersonen allerlei Dinge aus der bunten Welt der Pharmazie. Resterampe voller Medikamente Das Spektrum reicht von Vitamintabletten mit weit überschrittenem Verfallsdatum bis hin zu teils angebrochene Packungen mit Hormonpräparaten: Bella Hexal, Cerazette, Utrogest oder Valette, ab einem Euro. Apotheker fanden auch Insuline und Heparinspritzen. Die Rubrik "Sammeln & Seltenes" ist ebenfalls interessant. Hier tauchen immer wieder historische Arzneimittel und Chemikalienflaschen auf. Ob diese wirklich leer sind, darf bezweifelt werden. Verkäufer sind wohlgemerkt Privatpersonen – Versandapotheken dürfen OTCs legal versteigern. Kein reines eBay-Problem: Amazon hatte über ausländische Firmen Analgetika mit Codein und Paracetamol im Programm, hier wurde sogar gegen Regelungen zur BtM-Abgabe verstoßen. Gut Ding braucht Weile Kollegen sind solche Angebote ein Dorn im Auge. Deshalb hat die freie Apothekerschaft "mehrfach verschiedene Online-Auktionsplattformen nach derartigen verbotenen Auktionen durchsucht und allein in den letzten drei Wochen in mehr als 25 Fällen die Anbieter aufgefordert, diese Auktionen sofort zu beenden." Zeitgleich appellierte der Verband an Betreiber, Maßnahmen zu ergreifen. eBay löschte kritische Auktionen mehr oder minder schnell. Auch setzen Programmierer Filter gegen unerwünschte Artikel ein – mit mehr oder minder großem Erfolg. User umgehen die Hürden nur allzu leicht, indem sie Präparate beispielsweise als Kosmetika deklarieren. Findige Käufer stöbern diese Angebote trotzdem auf. Säbelrasseln der Apotheker Amazon oder eBay sind keine Einzelfälle. "Beim Betreiber lonelyplanet.de wurden sogar in größerem Stil verschreibungspflichtige Malariamittel angeboten, die freie Apothekerschaft hat umgehend Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart erstattet“, heißt es weiter. User offerierten Atovaquon-Proguanil, ein Medikament zur Therapie und Prophylaxe von Malaria, quasi direkt ab Rucksack. Mittlerweile hat der Verband Informationen an das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium der Justiz und an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung geschickt. Ob sich dabei viel bewegt, darf bezweifelt werden. Grund genug für die freie Apothekerschaft, ein Exempel zu statuieren. Kollegen erstatteten bei der Staatsanwaltschaft Zwickau Anzeige gegen einen Patienten. Dieser hatte über eBay versucht, Enoxaparin-Natrium (Clexane®) zu veräußern. Auch der Betreiber des Portals wird Post vom Gericht bekommen – wegen "Förderung des Verkaufs verschreibungspflichtiger und apothekenpflichtiger Arzneimittel durch Privatpersonen". Betrug am Sozialsystem Generell stellt sich die Frage, wieso Patienten wichtige Arzneimittel online veräußern, anstatt diese selbst einzunehmen. Bei manchen Auktionen sind Hinweise zu finden, dass entsprechende Präparate nicht vertragen wurden. Ob Apotheker beziehungsweise Ärzte davon wussten? Wahrscheinlich nicht, ansonsten hätten sie Informationen geben können, dass manche nicht bedrohlichen Nebenwirkungen zu akzeptieren sind. Stattdessen werden Präparate eigenmächtig abgesetzt und verkauft. Auch landen Hilfsmittel wie Blutzucker-Messgeräte und -Messtreifen im Netz. Manchem Diabetiker fehlt offensichtlich das Bewusstsein, wie wichtig entsprechende Messungen sind. Patienten schaden der Solidargemeinschaft, aber auch sich selbst. Rätselhafte Therapieversager Ganz klar: Beim nächsten Besuch in der Praxis wundern sich Ärzte, warum ihre Pharmakotherapie keinen Erfolg gebracht hat. Ohne Not passen sie die Medikation an, möglicherweise bleiben nur schlechtere Second-Line-Therapeutika. Dass Medikamente eigenmächtig abgesetzt wurden, erzählen nur wenige Patienten. Selbst nach einer Nierentransplantation nehmen es 20 bis 30 Prozent mit der Medikation nicht so genau. Non-Compliance zählt zu den häufigsten Ursachen möglicher Abstoßungsreaktionen nach drei oder mehr Monaten. Besonders schlecht ist es um die Therapietreue bei Erkrankungen bestellt, die anfangs ohne Leidensdruck verlaufen. Jeder zweite Patient mit Hypertonie, Diabetes oder Osteoporose schlampt bei seinen Medikamenten. Gesundheitsökonomen geben als direkte Folgekosten allein für Deutschland etwa fünf Milliarden Euro an. Dazu gehören zusätzliche Arztbesuche, Therapieumstellungen und Krankenhausaufenthalte, inklusive anderweitig "verwendeter" Medikamente. Hinzu kommen weitere fünf Milliarden Euro für indirekte Kosten, etwa Krankheitstage, Verlust an Einkommen, frühzeitige Verrentung oder Tod. Überwachung? Nein, danke! Ärzte könnten die Compliance ihrer Patienten theoretisch auch direkt messen, ohne Fragebögen oder Tabletten zählen. Das gelingt beispielsweise über Stoffwechselprodukte in Blut und Urin, ein – je nach Arzneistoff – mehr oder minder aufwändiges Unterfangen. Forscher der University of Texas (Medical Branch) suchten deshalb praxisgerechtere Möglichkeiten. Riboflavin sei als objektiver Marker geeignet, lautet das Fazit. Sechs Probandinnen bekamen im Rahmen einer Studie neben diesem Tracer (32 mg) zusätzlich "Arzneistoffe" wie Daidzin oder Genistein. Dann wurden Urinproben untersucht. Der Gehalt an Riboflavin korrelierte mit den Phytoöstrogenen respektive deren Metaboliten, ließ sich jedoch wesentlich einfacher messen. Bei klinischen Studien mag das sinnvoll sein – eine Perspektive für die Praxis ist das Verfahren sicher nicht. Kooperation statt Auktion Schon der Begriff Compliance inklusive jedweder Überwachung degradiert Patienten zu Befehlsempfängern. Heute sprechen Heilberufler lieber von Adhärenz: Patient, Arzt und Apotheker verfolgen gemeinsam ein therapeutisches Ziel. Bei chronischen Erkrankungen muss das Ziel sein, Patienten langfristig zu begleiten, wie im amerikanischen Medication Therapy Management vorgesehen. Erst dann werden Patienten ihre Behandlung ernst nehmen und Tabletten schlucken, anstatt diese zu verhökern.