Warum sind manche Lebensmittel gesund, während andere krank machen? Jenseits ihrer Funktion als Treibstoff für die Energieversorgung übernehmen viele Nährstoffe auch eine Rolle als molekulare Boten an die Stoffwechsel-Steuerzentrale.
Energiegewinnung ist das oberste Ziel unseres Körpers, wenn wir am Tisch unser Essen verzehren. Kohlenhydrate gehen relativ schnell in den Verbrennungsprozess, Fette und Proteine beschäftigen den Verdauungsapparat etwas länger. Daneben gibt es noch Vitamine und Spurenelemente, die den Stoffwechsel am Laufen halten und die wir in der Nahrung brauchen, weil sie der eigene Syntheseapparat nicht liefern kann.
Fettleibigkeit hängt nicht nur von Kalorien ab Immer noch ungeklärt ist, warum Nahrung mit gleichem Brennwert der einen Versuchsperson nicht auf die Hüfte schlägt, während eine andere ständig mit der unfreiwilligen Gewichtszunahme zu kämpfen hat. Bisherige Strategien konnten bisher keine befriedigende Antwort darauf geben. Große epidemiologische Studien verglichen Ernährungsgewohnheiten, um herauszufinden, welche Nahrungsmittel gesünder als andere sind, welche dem Körper helfen, abzunehmen oder sein Leben verlängern. Die Vielzahl an Diäten oder Ernährungstipps zur Prävention von Krebs oder Altersdemenz zeigt, dass sich auch erfahrene Lebensmittelforscher dabei uneinig sind. Ebenso erfolglos war die Biochemie bisher bei der Suche nach dem optimalen - am besten personalisierten - Ernährungsplan. Auf die Frage, welche Faktoren die Verbrennung von Makro-Nährstoffen steuern - und auch nach den entsprechenden therapeutischen Konsequenzen - sind die Antworten recht schwammig. Nahrung = Hormoncocktail Einen neuen Ansatzpunkt stellten schließlich Karen Ryan und Randy Seeley von der Universität Cincinatti kürzlich in "Science" vor. Jenseits von der Funktion als Brennstoff, ist Nahrung auch immer ein "Hormoncocktail". Eines der bekanntesten Beispiele dafür sind wahrscheinlich die legendären Omega-3-Fettsäuren der Seefische und Bestandteil pflanzlicher Öle. Unbestritten ist ihre Wirkung im Gefäß-Schutz und als Mittel im Kampf gegen Übergewicht. Dennoch schrieb das "New England Journal" in einem Review aus dem Jahr 2011: "Über die möglichen Vorteile der n-3 Fettsäuren für Primär- und Sekundärprävention fehlen Daten aus klinischen und mechanistischen Studien." Betrachtet man die Bindung dieser Fettsäuren an den Zelloberflächenrezeptor GPR120, kommt man der Sache näher: Fehlende Aktivität diese Rezeptorsist mit Entzündungen, Gewichtszunahme und mangelnder Glukose-Kontrolle bei Maus und Mensch verbunden. Fett verlangt nach mehr Fett Bei anderen Fettsäuren in der menschlichen Nahrung wird ihre Wirkung als Hormon - unabhängig vom Brennwert - noch deutlicher. Einige davon aktivieren den nuklearen Rezeptor PPARγ. Er reguliert die Genaktivität für Fett- und Zuckerstoffwechsel, sodass es zum verstärkten Einbau von Lipiden ins Fettgewebe kommt. Zugleich ist PPARγ aber auch im Gehirn aktiv und erzeugt dort Hyperphagie (Esssucht), die ebenfalls zu Übergewicht führt. Fettreiche Nahrung sorgt auf diese Weise nicht nur durch den Lipid-Überschuss zur Einrichtung körpereigener Speckgürtel. Einige Fettsäuren, Teil unseres täglichen Essens, binden als Kofaktor an das körpereigene Hormon Ghrelin, produziert von Epithelzellen des Magens. Nur zusammen mit diesem Anhang teilt es seinem Rezeptor mit, im Gehirn für Appetit auf "noch mehr" zu sorgen. 2011 veröffentlichte Daniele Piomelli von der University of California Ergebnisse seiner Studien an Mäusen, die er mit fettreicher oder zucker- und proteinreicher Kost fütterte. Obwohl die Mäuse keine Gelegenheit hatten, die Fette zu verdauen, sorgte deren Nahrung für einen höheren Endocannabinoid-Spiegel als Süßes und die eiweißreiche Kost. Diese Neurotransmitter stärken im Belohnungszentrum des Gehirns das Verlangen nach weiterer Stimulation. Carnitin + Darmflora = Atherosklerose Mageres Fleisch mit geringem Fettanteil galt sehr lange als viel gesünder für Herz und Kreislauf als rot-weiß gestreiftes. Eine Veröffentlichung in "Nature Medicine" von einigen Tagen gibt zwar keine Entlastung für das Fett, zeigt aber einen weiteren wichtigen Mitspieler auf. L-Carnitin, ein typischer Fleischbestandteil, wird im Menschen wie auch der Maus zu Trimethylamin (TMA) verstoffwechselt. Beim weiteren Abbau entsteht TMA-N-Oxid (TMAO). Diesen Abbau erledigt jedoch nicht der Säuger-Stoffwechsel, sondern spezialisierte Darmbakterien. Im fleischgewohnten menschlichen Allesesser sorgt TMAO für Ablagerungen in den Gefäßen, indem es in den Cholesterinstoffwechsel eingreift. Dementsprechend steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Vegetarier umgehen dieses Problem. Selbst bei hohen Carnitingaben wie in den Experimenten von Stanley Hazen aus dem amerikanischen Cleveland steigt bei ihnen zwar der Carnitin-, nicht aber der TMAO-Spiegel. Es scheint so, als ob es wieder einmal die Zusammensetzung der Darmflora ist, die über die Möglichkeit einer Erkrankung entscheidet. Denn bei 2.600 Probanden, die sich einer Herzuntersuchung unterzogen, hatten jene die schlechtesten Werte, bei denen sowohl Carnitin als auch TMAO erhöht waren. Ähnliches gilt übrigens auch für Mäuse. Hohe Carnitingaben sorgen auch dort für Atherosklerose. Antibiotika, die die angepassten Darmbakterien beseitigen, senken auch die Krankheitsrate - trotz hohem Carnitin-Spiegel. Pflanzen-RNA steuert humanes Cholesterin Zum Thema "Nahrung als Hormon" gibt es aber auch Beunruhigendes für Vegetarier. Denn eine Publikation eines chinesischen Forscherteams vor etwa eineinhalb Jahren berichtet von der Entdeckung von pflanzlicher Mikro-RNA im Blut von Labortieren und dem Menschen. Diese RNA-Schnipsel sind 19-24 Nukleotide lang und funktionieren als Regulator der Genexpression in ihrer Umgebung, indem sie an die mRNA abgelesener Gene binden und diese damit inaktivieren. Erstaunlicherweise überlebt die pflanzliche RNA starke Verdauungsenzyme, Säure und hohe Temperaturen. Die von Chen-Yu Zhang und seinen Kollegen gefundene miRNA 168a kommt vor allem in Reis und verschiedenen Kohlsorten in hohen Konzentrationen vor und unterdrückt beim Säuger die Produktion von LDLRAP1 (low-density lipoprotein receptor adapter protein 1). Damit verhindert es die Aufnahme von LDL aus den Gefäßen und führt unter Umständen zu Hypercholesterinämie. Seit ihrer Entdeckung haben Genetiker rund 600 verschiedene Arten von miRNA im Menschen gefunden. Etliche davon sind mit dem Auftreten von Krebs, Alzheimer und etlichen anderen Krankheiten assoziiert. Die Entdeckung von Zhang wirft damit aber auch ein Licht auf die Diskussion um den Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Eingebaute Resistenzgene gegen Schädlinge könnten irgendwann im menschlichen Körper wieder auftauchen und dort für ungewollte Reaktionen sorgen. Statt sich allein auf epidemiologische Untersuchungen zu verlassen, dürfte in Zukunft die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Bestandteilen unseres Essens und den Signalketten unseres Stoffwechsels immer wichtiger werden. Unter Experten ist immer öfter der Begriff vom "Personalised Food" zu hören, die Abstimmung unserer Ernährung auf individuelle Befindlichkeiten des Körpers. Möglicherweise gibt es bald auch "Design-Food" je nach Genausstattung. Viel wichtiger aber für uns: In einigen Jahren wissen wir wahrscheinlich mehr darüber, warum uns bestimmte Nahrungsmittel gut tun und andere krank machen.