Selbst 30 Jahre nach der Entdeckung von Helicobacter pylori hat das Bakterium nicht alle Geheimnisse preisgegeben. Eradikationen sind Standard geworden, allerdings machen Resistenzen Probleme. Mit Impfstoffen rechnt man erst in einigen Jahren.
Eine Herausforderung: Fast 20 Prozent aller krebsbedingten Todesfälle gehen auf Infektionen zurück. Schuldig ist unter anderem Helicobacter pylori. Wie die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) bei ihrer Jahrestagung berichtete, sind sechs bis zehn Prozent aller Kinder infiziert, Tendenz sinkend. An und für sich eine gute Nachricht, jedoch tragen vier von zehn Erwachsenen über 40 den Magenkeim in sich. Molekulare Spritze Die Bakterien werden meist in jungen Jahren fäkal-oral übertragen und nisten sich in der Magenschleimhaut ein. Patienten merken das nicht immer – viele Infektionen verlaufen still. Nur in jedem fünften Fall tritt eine Gastritis oder ein Ulcus duodeni beziehungsweise Ulcus ventriculi auf. Vom Erreger selbst existieren unterschiedliche Varianten. Wissenschaftler interessieren sich besonders für das CagA-Gen (Cytotoxin-Associated Gene A). Es kodiert für ein 120 bis 145 Kilodalton großes Onkoprotein mit zentraler Bedeutung bei der Entstehung von Magenkarzinomen: Über spezielle Sekretionssysteme spritzt H. pylori dieses Eiweiß direkt in Belegzellen. CagA bindet zur Translokation an Integrin-Rezeptoren. In der Zelle angekommen, werden Signaltransduktionsvorgänge verändert. Ein weiterer Punkt: Wer viel Kochsalz konsumiert, greift nicht nur in molekulare Prozesse der Magenschleimhaut ein. Natriumchlorid veranlasst H. pylori, mehr CagA auszuschütten. Rezeptoren des gefährlichen Proteins sind als Target für neue Arzneistoffe interessant. Zumindest in vitro eignet sich ein kurzes Peptidfragment mit 100 Aminosäuren inklusive CagA-Bindungsregion als Inhibitor. Willkommen in der Gemeinschaft So viel zur Theorie. Warum manche Menschen an Gastritiden und Ulcera erkranken, andere trotz des Keims aber beschwerdefrei bleiben, ist eines der wissenschaftlichen Rätsel. Hier könnten andere Keime eine zentrale Rolle spielen, vermutet Karen M. Ottemann von der University of California. Sie behandelte Mäuse mit Antibiotika, was deren bakterielle Population im Magen veränderte. Nach einiger Zeit vermehrten sich unter anderem Clostridien. Ottemann verglich mögliche Reaktionen auf H. pylori und wies in der Magenwand weniger CD4+-T-Helfer-Zellen nach als bei Vergleichsgruppen. Ihre Hoffnung: Probiotische Magenbakterien könnten Eradikationen vielleicht überflüssig machen, um protektive Effekte nicht ohne Not zu verlieren. Im Tierversuch schützt H. pylori beispielsweise gegen Asthma. Auch halten die Autoren bakterielle Populationen für geeignet, um das Risiko von Magenerkrankungen vorherzusagen. Massenweise Magenkeime Das ist Zukunftsmusik, momentan bleiben nur Diagnostik und Pharmakotherapie. Um den Keim im Schnellverfahren nachzuweisen, haben sich Atemtests auf Basis von 13C-markiertem Harnstoff bewährt. H. pylori stellt über Urease 13CO2 her – messbar in der Atemluft via Infrarotspektroskopie oder Massenspektrometrie. Auch Stuhltests, um bakterielle Oberflächenantigene zu detektieren, sind auf dem Markt. Bei positivem Nachweis spricht viel für eine Eradikation – auch ohne gastrointestinale Symptome. Ein Beleg: Ärzte aus Südkorea haben im Rahmen von Screeningprogrammen bei 5.000 Probanden Atemtests und gegebenenfalls Eradikationen durchgeführt. Innerhalb des Beobachtungszeitraums von acht Jahren konnten sie die Inzidenz von Magenkrebs um 25 Prozent verringern. Allerdings stieg die Ösophagitis-Rate leicht an. Aus gesundheitsökonomischer Sicht sind Screeningprogramme in diesem Umfang kaum machbar. Dennoch sollten symptomfreie Risikopatienten untersucht werden, etwa vor einer langfristigen Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika. Dreifach oder vierfach eliminieren Wurde H. pylori nachgewiesen, behandeln Gastroenterologen Patienten mit einer Tripeltherapie. Beim "French triple" kommen dabei Pantoprazol, Clarithromycin und Amoxicillin zum Einsatz. Bleibt als Alternative das "Italian triple" mit Pantoprazol , Clarithromycin und Metronidazol. Clarithromycin-Resistenzen werden immer mehr zum Problem. Deshalb setzen Gastroenterologen auf die Quadrupel-Therapie mit einem Protonenpumpenhemmer, Tetracyclin, Metronidazol und einem Bismutsalz. Bismut, der alte Bekannte aus früheren Jahrhunderten, wirkt bakterizid und bildet im Magen einen schützenden Film aus Hydroxiden. Jetzt haben Forscher beide Strategien verglichen. Mit der Quadrupeltherapie gelang es, H. pylori in 80 Prozent aller Fälle zu eliminieren. Die Tripeltherapie punktete nur bei 55 Prozent der Probanden. In Gegenden mit nachweislich hoher Clarithromycin-Resistenz sollten Ärzte deshalb sofort eine Quadrupeltherapie in Erwägung ziehen, rät der aktualisierte Maastricht IV / Florence Consensus Report. Auch in Deutschland ist Bismut plus Metronidazol plus Tetracyclin (Pylera®) als Kombi erhältlich, Omeprazol muss zusätzlich verordnet werden. Punkten mit der Sequenztherapie Bleibt noch alternativ, das Therapieschema zu überarbeiten. Dieser Aufgabe widmeten sich Kollegen aus Taiwan. Sie wiesen 900 Patienten mit H. pylori randomisiert mehreren Gruppen zu: Teilnehmer der S-10-Gruppe bekamen fünf Tage lang Lansoprazol plus Amoxicillin, gefolgt von Lansoprazol, Clarithromycin plus Metronidazol für weitere fünf Tage. Bei der S14-Gruppe wurde der Zeitraum auf sieben plus sieben Tage ausgedehnt. Im Rahmen der Tripeltherapie (T-14) bekamen Patienten über 14 Tage Lansoprazol, Amoxicillin plus Clarithromycin. Die Eradikationsrate unterschied sich von Gruppe zu Gruppe: 91 Prozent (S-14), 87 Prozent (S-10) und 82 Prozent (T-14). Dabei zeigt S-14 einen statistisch signifikanten Mehrwert gegenüber der bekannten Tripeltherapie. Die Autoren befassten sich auch mit Fragen zur Antibiotikaresistenz. S-14, S-10 und T-14 waren alle von Clarithromycin-Resistenzen betroffen, bei S-14 und S-10 spielten Metronidazol-Resistenzen eine Rolle. In Deutschland rät die S3-Leitlinie "Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit" der DGVS, erst nach Therapieversagern Resistenzen zu bestimmen. Ärzte könnten aber, so die taiwanesischen Kollegen, abfragen, inwieweit Patienten früher bereits Makrolidantibiotika eingenommen hätten. Bei häufigem Gebrauch wäre eine Quadrupeltherapie indiziert, und zwar an erster Stelle. Impfung für den Magen Alle medikamentösen Strategien greifen erst nach einem Infekt. Auch sind Patienten trotz erfolgreicher Eradikation nicht davor gefeit, sich erneut anzustecken. Was läge näher als eine Immunisierung? Das ist trotz jahrelanger Forschung bis heute nicht geglückt. Unser Immunsystem reagiert auf die Pathogene – aber zu schwach und zu ineffektiv. Genprodukte wie die γ-Glutamyltranspeptidase und das vakuolisierende Cytotoxin (VacA) halten dendritische Zellen in Schach. Die Entzündung chronifiziert und der Keim bleibt. Eine Möglichkeit wäre, mit Vakzinen direkt Peyer-Plaques (Folliculi lymphatici aggregati) zu adressieren. Diese Strukturen bestehen aus bis zu 50 Lymphfollikeln und sind im gesamten Darmtrakt zu finden. Über M-Zellen nehmen sie Antigene auf, etwa die Superoxid-Dismutase und die Thiolperoxidase. Beide Enzyme werden von H. pylori exprimiert und sind essentiell, um das bakterielle Überleben zu sichern. Als mukosale Adjuvantien haben sich im Mausmodell das Choleratoxin und das hitzelabile Enterotoxin aus Escherichia coli bewährt. Diese führen bei Menschen zu heftigen Durchfällen – Fehlanzeige. Deshalb experimentieren Forscher jetzt mit ISCOMATRIX, ein Adjuvans aus Saponinen, Cholesterol sowie Phospholipiden. Wissenschaftlern steht noch viel Arbeit bevor, und Tripel- sowie Quadrupeltherapien werden nicht so schnell aus der Praxis verschwinden.