Körper in alltäglichen Situationen: beim Schachspielen, auf dem Pferd, beim Sex – an sich nichts Besonderes, außer, dass die Objekte der Betrachtung längst tot sind. Die öffentlichen Meinungen zu Gunther von Hagens' "Körperwelten" sind zwiegespalten. Doch was halten Medizinstudenten von der Erlebnisanatomie?
Gunther von Hagens, Heidelberger Anatom, tourt seit 1996 mit seiner Körperwelten-Ausstellung rund um den Globus. Ob München, Köln, Hamburg, Frankfurt oder Japan und Korea - die makabre Show zieht weltweit die Massen an und ist höchst lukrativ. Bis heute haben über 34 Millionen Menschen in Europa, Asien und Nordamerika die Ausstellungen besucht. Anatom in Sonderposition Interessierte Zuschauer können in der Ausstellung plastinierte menschliche Körper in verschiedensten Stellungen, Posen und Schnitten bewundern. Ob beim Pokern, beim Geschlechtsverkehr oder mit dem eigenen Gehirn jonglierend, es kommen alle möglichen Präparate vor. Von Hagens beschreibt seine Ausstellung als "einen Ort der Aufklärung und der inneren Einkehr, einen Ort philosophischer und religiöser Selbsterkenntnis. Kein illegaler Friedhof, kein postmortaler Schönheitssalon. Sie zeigt den Körper als besten Repräsentanten der Seele, der sich dem Besucher deutungsoffen entgegenstellt." Wie kam der Anatom eigentlich auf die Idee einer solchen Ausstellung menschlicher Körper? Ist das nicht pietät- und geschmacklos? Das fragen sich einige, nicht ganz ohne Grund. Von Hagens sieht das naturgemäß nicht so: "Der öffentliche Anatom ist in einer Sonderposition, er muss in seiner täglichen Arbeit die Tabus und Überzeugungen in ein neues Verständnis von Tod und Körperlichkeit transformieren. Es kommt darauf an, die Herzen der Menschen zu ihrer inneren Körperlichkeit zu öffnen und in ein durch Körperstolz geprägtes Gesundheitsbewusstsein für ein gesünderes und damit besseres und längeres Leben zu transformieren." Er selbst sieht sich also als eine Art Aufklärer des Massenpublikums, der sich zurecht gegen scharfe Angriffe von Ausstellungsgegnern zu verteidigen weiß. Haltbarkeit durch Plastination Um die menschlichen Körper vor der Verwesung zu bewahren, müssen sie nach ihrem Tod "haltbar" gemacht werden. Dies geschieht durch Plastination, ein Verfahren, das Gunther von Hagens 1977 entwickelte. Dabei werden anatomische Präparate mittels reaktiver Kunststoffe für die Nachwelt konserviert. Wie das genau funktioniert, ist hier nachzulesen. Von Hagens patentierte das Verfahren und entwickelte es im Laufe seines Lebens kontinuierlich weiter. 1993 gründete er das Institut für Plastination in Heidelberg, dass sich der extrem aufwändigen und komplexen Herstellung von Ganzkörperplastinaten widmet. Ein Plastinat beansprucht einen Arbeitsaufwand von immerhin 1.000-1.500 Arbeitsstunden und Kosten von 50.000 Euro – das können sich normale Medizinfakultäten in der Regel nicht leisten. Ersatz für den Präpkurs? Doch was sagen eigentlich Medizinstudenten zu von Hagens Körperwelten-Ausstellung? Janis Fuhrer, der im 2. Semester in Würzburg studiert, hat die Ausstellung vor einem Jahr besucht. Er erinnert sich noch sehr lebhaft daran: "Ich war total begeistert und fasziniert von den Körpern. Und ich finde es auch sehr wichtig, dass man in irgendeiner Art und Weise mit dem Tod in Berührung kommt, bevor es einen Angehörigen oder gar einen selbst trifft. In seinen Ausstellungen schafft von Hagens meiner Meinung nach die perfekte Kombination aus Kunst und Bildung, was mehr respektiert und nicht immer derart stark kritisiert werden sollte. Außerdem war es eine willkommene Vorbereitung auf unseren Präpkurs." Sophie Schneider*, Medizinstudentin im 4. Semester, studiert an der medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und hat exklusiven Zugang zu von Hagens Präparaten: "An unserer Uni haben wir statt eines ausführlichen Präp-Kurses über das ganze Jahr verteilt Kurse und Selbststudien an den Plastinaten von Hagens. Und ich muss sagen, dass das der Lehre wirklich zu Gute kommt: Man kann relativ komfortabel neben dem Lehrbuch an der Leiche stehen, ohne Konservierungsmittel- und Leichengeruch, ohne Handschuhe und Kittel und kann so stückchenweise sehr ausführlich alles anschauen und begutachten." Sie erzählt: "Bei von Hagens' Präparaten handelt es sich um äußerst professionelle Arbeiten, die wohl in dieser Qualität nur in den wenigsten Universitätssammlungen zu finden sind und daher für Studenten einen großen Nutzen haben. Sie sind eine große Hilfe beim Erlernen der Anatomie, da auch die beste anatomische Zeichnung das echte Präparat nicht ersetzen kann." Körperspender – ein Leben für die Körperkunst Natürlich drängt sich einem irgendwann die Frage auf, woher denn die perfekt konservierten anatomischen Präparate kommen. Auf der Internetseite von Körperwelten lässt sich nachlesen, dass sie von Menschen stammen, die zu Lebzeiten darüber verfügt haben, dass ihr Körper nach ihrem Ableben zur Ausbildung von Ärzten und der Aufklärung von Laien zur Verfügung stehen soll. Gründe dafür gibt es viele. Manche Körperspender möchten auf diese Weise nach ihrem Tod noch anderen Menschen und der Wissenschaft von Nutzen sein. Ein anonymer Körperspender schreibt beispielsweise: "Ich möchte der Nachwelt zeigen, wie der Körper eines Drogenabhängigen von innen aussieht und was man dem Körper damit antut. Ich möchte, dass die Suchterkrankung in den Vordergrund gestellt wird". Andere wiederum können den Gedanken nicht ertragen, verbrannt oder vergraben zu werden: "Die Vorstellung unter der Erde von Würmern gefressen zu werden, finde ich schrecklich." Und viele können sich auch einfach die Beerdigung nicht leisten. Die Einverständniserklärung der "Körperspender" jedenfalls ist von Hagens Freifahrtschein, wenn es um die ethische Debatte zu seiner Ausstellung geht. Denn glaubt man ihm, haben sich alle Menschen selbst dafür entschieden, Teil der Körperwelten-Präparate zu werden. Derzeit hat das Institut für Plastination weltweit 13.241 registrierte Körperspender, davon 11.116 allein in Deutschland. Interessanterweise stellen etwas mehr Frauen ihren Körper der Ausstellung zur Verfügung als Männer. Aktuell gibt es aufgrund der hohen Registrierungszahlen sogar einen Aufnahmestopp des Körperspendeprogramms. Erst müssen, laut Angaben der Projektverantwortlichen, wieder Kapazitäten geschaffen werden. Wer selbst einmal mit dem Gedanken gespielt hat, Körperspender zu werden, kann sich auf der Website von Bodymobil ausführlich darüber informieren. Dort erfährt man unter anderem, dass die Verfügung des Körperspenders zur Plastination kein Vertrag ist, sondern eine Willensbekundung darstellt, die jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann. Für die Körperspende sind keine Gebühren zu zahlen. Allerdings erhalten auch der Körperspender selbst bzw. dessen Verwandte keine Entschädigung für die Spende und man muss verständlicherweise auf die Bestattung des Toten verzichten. Auch eine rechtsmedizinische Untersuchung mit Leichenöffnung darf nicht durchgeführt werden, weshalb nur Menschen in Frage kommen, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Eine Organspendeverfügung steht der Körperspende übrigens nicht entgegen und hat - da sie lebensrettend ist - immer Vorrang vor der Körperspende. Im Konflikt mit der Justiz In der Vergangenheit tauchten immer wieder Berichte darüber auf, dass die "Körperwelten"-Leichen teils auch aus dubiosen Quellen ungeklärter Herkunft stammten. In einigen Ländern ermittelte die Polizei sogar mehrfach wegen unerlaubten Leichentransports. In Kirgisien oder China beispielsweise haben die Krankenhäuser und Angehörigen oft nicht das Geld, um die Leichen zu beerdigen und auch die zahlreichen Gefangenenlager suchen nach Möglichkeiten, um gestorbene oder hingerichtete Häftlinge loszuwerden – ein ideales Umfeld also für ein Unternehmen, das menschliche Körper als Rohstoffe braucht. Von Hagens allerdings beteuert, dass er mehr als genug Körperspender habe und von den dubiosen Leichentransporten aus Kirgisien und China nichts wisse. Auch in Deutschland sind einige Strafverfahren gegen Gunther von Hagens eingeleitet worden. 2004 beispielsweise verurteilte ihn das Amtsgericht Heidelberg zu einer Geldstrafe wegen Titelmissbrauchs. Von Hagens bezeichnete sich mehrmals als Professor, obwohl er diesen akademischen Grad nie erlangte, sondern nur einen Gastprofessorentitel der nordchinesischen Universität Dalian für fünf Jahre verliehen bekam. 2006 ging er allerdings in Revision und gewann. In München und Hamburg gab es 2003 Ermittlungsverfahren wegen Störung der Totenruhe, da von Hagens mit plastinierten Menschen ein nächtliches Fotoshooting in der Innenstadt durchführte. Das Verfahren wurde jedoch ein Jahr später eingestellt. Viele Kritiker sähen von Hagens Körperwelten-Ausstellung gerne verboten und so ist es kein Wunder, dass dieser immer wieder mit der Justiz aneinandergerät. 2011 verklagte er das Land Nordrhein-Westfalen auf über 2 Millionen Euro wegen Rufschädigung und der durch das Strafverfahren wegen angeblichen Titelmissbrauchs entstandenen Kosten. Oma als Ohrring - extravaganter Schmuck aus Körperteilen Seit November 2010 gibt es auf der Körperwelten-Website auch einen Online-Shop, in dem Fachpersonal plastinierte, menschliche Körper und Schmuck aus tierischen Körperteilen erwerben kann. Ein Ganzkörperplastinat ist z.B. für schlappe 69.615 Euro zu haben, ein Menschenkopf für 22.015 Euro, ein Hirn für 4165 Euro. Johanna Silber, Nürnberger Medizinerin im 4. Semester, findet das "... total geschmacklos. Wo führt das denn hin? Ich möchte doch nicht, dass irgendwann jemand mit meiner Oma als Ohrring herumläuft. Ich finde, dass ist einfach nur widerliche Effekthascherei." Doch es gibt auch gegensätzliche Meinungen. Simon Dreuke, der in München Medizin studiert, meint: "Ich finde das nicht so schlimm. Die Präparate sind ja nicht für jedermann zugänglich, sondern nur für Autorisierte des Fachbereichs. Die Körperwelten-Ausstellung hat meiner Meinung nach gerade durch ihre Kontroversen und auch ihren Online-Shop sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, was für Medizin und Forschung sicher nicht schädlich war. Außerdem: Es mag zwar grotesk sein, Ketten mit Ochsenhoden zu entwerfen, andererseits stellt sich die Frage, ob man kritikberechtigt ist, wenn man sich heutzutage von seinem Ledersofa aufzwingt, aus den Schafspelzpantoffeln in die Lederschuhe schlüpft und sich mit Pelz und Fuchsschal einkleidet." Auf der Kippe zwischen Nutzen und Abartigkeit "Für mich ist das keine Kunst, sondern ein sehr zweischneidiges Schwert. Einerseits bin ich wirklich interessiert an Anatomie. Und daher reizt es mich, von Hagens' Ausstellungen zu besuchen. Andererseits finde ich seine Ausstellungen pietät- und geschmacklos. Ich könnte mir nicht vorstellen, den toten Körper eines Verwandten beispielsweise dafür freizugeben und dann stolz davor zu stehen und zu sagen: 'Seht mal, das ist die linke Hand von Onkel Willi'. Diese ganzen Körperteile waren einmal Menschen und so sollte man sie auch behandeln", erläutert Johanna ihre Auffassung gegenüber Körperwelten. "Auf den Gedanken, Raucherlungen und Ganzkörperpräparate zu kaufen, würde ich nie kommen. Für Normalsterbliche sollten diese nicht zugänglich sein, wobei sie für die Forschung sicherlich wichtig und nützlich sind. Herr von Hagens' Ideen sind deshalb ziemlich stark auf der Kippe zwischen Nutzen und Abartigkeit - wobei der finanzielle Aspekt bei ihm bedeutend wichtiger als die Bildung sein wird." Tatsächlich werfen ihm auch viele andere Kritiker vor, die Ausstellung aus reiner Geldgier zu betreiben. So falsch liegen sie damit nicht, denn eine Goldgrube sind von Hagens Körperwelten mit Eintrittspreisen von 15-20 Euro pro Person auf jeden Fall. Aber das Ganze nur als finanzielles Geschäft anzusehen, ist wohl doch zu einseitig. Mit Körperwelten leistet von Hagens einen wichtigen Beitrag für die medizinische Forschung und Wissenschaft und die Aufklärung von medizinischen Laien. Sicherlich ist viel Effekthascherei dabei, gerade, wenn man an Leichen in gewagten Posen denkt. Doch nie zuvor wurde der normalen Bevölkerung eine solche Möglichkeit geboten, den menschlichen Körper detailliert mit all seinen Muskeln, Sehnen und Knochen zu betrachten. Gunther von Hagens Ausstellung hat auch einen aufklärerischen Anspruch, indem er mit dem Tabuthema "Tod und Sterben" zu brechen versucht. Plastiniert für die Nachwelt Mittlerweile ist Gunther von Hagens nicht mehr der junge, kreative und aneckende Kopf von damals. Der 68-jährige hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er leidet seit fünf Jahren an Parkinson und ist auf Pflegepersonal angewiesen. Paradoxerweise gab er bei einem Interview zu, dass womöglich seine Arbeit mit den Toten seinen schlechten Gesundheitszustand hervorgerufen haben könnte: "Das Plastinieren selbst nicht, aber vermutlich die jahrelangen Kunststoffversuche. Es besteht kein Zweifel daran, dass bestimmte Chemikalien die Entstehung von Parkinson fördern. Leider habe ich damals zu wenig auf Atemschutz geachtet." Aber von Hagens betont, dass er selbst keine Angst vor dem Tod habe. Durch den ständigen Umgang mit verstorbenen Menschen sei er für ihn selbstverständlich geworden. Auch was danach kommt, ist für von Hagens schon klar: die Plastination seines eigenen Körpers, durchgeführt von seiner Frau und seinem Sohn. "Mein Plastinat wird dann in den Körperwelten-Ausstellungen zu sehen sein", berichtet er stolz. *Name auf Wunsch der Interviewten geändert.