Die Krankenhausapotheke Hamburg-Eppendorf rüstet auf: Ein in Europa bislang einmaliges System zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit kombiniert patientenindividuelle Verpackungen mit einem Barcodesystem. Via Minicomputer und Handscanner wird direkt am Patientenbett überprüft, ob die Verordnung stimmt.
"Und jetzt noch rasch Ihr Handgelenk, bitte". Patienten der Medizinischen Klinik des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf haben bei der Aufnahme in die Klinik künftig einen Schritt mehr zu bewältigen. Außer den üblichen Formalitäten werden sie auch noch mit einem Armband ausgestattet, auf dem ein individueller Barcode prangt, ein Strichmuster, mit dem sie eindeutig identifiziert werden können. Initiator der Aktion: Die Krankenhausapotheke.
Zum Nachttisch gehört auch ein Scannerlein
Was steckt dahinter? Langsam aber sicher rückt die Arzneimittelsicherheit auch in Deutschland in den Fokus der Player des Gesundheitswesens. Im April wird sich am Klinikum Saarbrücken der erste eigene Kongress mit dieser Thematik beschäftigen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie sich die Arzneimittelsicherheit durch den Einsatz von Computerprogrammen und durch die Optimierung der Verordnungsabläufe verbessern lässt. US-Amerikaner, Briten und Skandinavier haben nachgewiesen, dass sich durch simple elektronische Verordnungssysteme die Zahl der versehentlichen Medikationsfehler dramatisch reduzieren lässt. Vor allem Überdosierungen und Wechselwirkungen werden von diesen Programmen erkannt, die freilich ihre ganze Stärke erst dann ausspielen können, wenn auch im Medikationswesen mit einer umfassenden elektronischen Dokumentation gearbeitet wird. Aber Arzneimittelsicherheit im Krankenhaus hat noch andere Facetten, und einige davon will das in Europa bislang beispiellose Projekt der Krankenhausapotheke Hamburg-Eppendorf jetzt angehen. Auf vier Stationen wollen die Apotheker zusammen mit dem Stationspersonal ein System im Routinebetrieb erproben, das eine patientenindividuelle Verpackung mit einer Barcodedokumentation verknüpft. "Dabei erfolgt die Verordnung der Medikamente durch den Stationsarzt direkt am Patientenbett", wie der Chef-Apotheker der Klinik, Dr. Michael Baehr, im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter erläuterte. Die Ärzte geben die verordneten Arzneimittelmittel inklusive Dosierung und Applikationszeiten in einen Tablet PC ein, der über ein drahtloses WLAN-Netz mit einer Datenbank verbunden ist. Nach einer Überprüfung auf mögliche Interaktionen geht die Bedarfsanforderung dann automatisch an die Apotheke.
Ziel ist der Verpackungsroboter
In der Krankenhausapotheke folgt die zweite Masche im Sicherheitsnetz: Die Arzneimittel werden für jeden Patienten entsprechend der verordneten Dosierungen individuell verpackt und mit einem entsprechenden Barcodeaufkleber versehen. "Im Moment geschieht das bei uns noch per Hand, aber die Firma bietet auch einen Verpackungsroboter an, der bis zu 60.000 Tüten am Tag verpackt", wie Baehr berichtet. Wenn die Krankenschwester oder der Pfleger nun die verpackten Medikamente an die Patienten ausgibt, dann kommt die dritte Kontrollrunde: Mit einem PDA mit integriertem Scanner wird sowohl das Patientenarmband als auch der Barcode auf den Arzneimitteln abgetastet und ein letztes Mal auf Übereinstimmung geprüft, bevor die Übergabe an den Patienten erfolgt. Weil auch der PDA der Schwester über WLAN an die Datenbank angeschlossen ist, können korrekt ausgegebene Medikamente automatisch als solche markiert werden. Vergessene Einnahmen fallen augenblicklich auf. Wie groß ist das Ausmaß des Problems der Medikationsfehler? Weil es für Deutschland keine Studien gibt, kann sich auch Baehr nur der internationalen Daten bedienen: "Etwa 40 Prozent der vermeidbaren Fehler passieren bei der Verschreibung, weitere 40 Prozent bei der Ausgabe", so der Apotheker. Schätzungen zur Zahl der Arzneimitteltoten in Deutschland schwanken zwischen 10.000 und 40.000 bis 50.000 pro Jahr. Doch egal wer Recht hat: Um Fehler zu vermeiden, plädiert Baehr für ein vollkommen neues Verordnungs- und Verteilungssystem, mit dem die Arzneimitteltherapie patientenindividuell fehlerfrei gesteuert und eindeutig dokumentiert werden kann. Auch finanziell könnte sich das ganze für einen Klinikbetreiber durchaus lohnen: Bei flächendeckendem Einsatz könnten zehn Prozent der Prozesskosten gespart werden, so eine im Vorfeld des Hamburger Projekts erstellte Hochrechnung, die jetzt unter realen Bedingungen überprüft werden soll.
Die Datenbanken machen noch Kummer
Eines der bisher noch nicht zufriedenstellend gelösten Probleme derartiger Projekte ist die eingesetzte Arzneimitteldatenbank. Es gibt kommerzielle Datenbanken wie ABDATA oder Scholz, die aber von vielen Ärzten kritisch gesehen werden. Sie liefern eine sehr große Zahl an Interaktionen, die nicht immer klinisch relevant sind. Außerdem sind sie nur begrenzt in der Lage, mit Dosierungen zu hantieren. In Hamburg wird deswegen zusätzlich zur ABDATA-Datenbank mit einer Datenbank des schwedischen Karolinska-Instituts gearbeitet, die von der isländischen Firma Theriak in Software gegossen wurde. Auch im Rahmen der für die elektronische Gesundheitskarte zu entwickelnden Arzneimitteldokumentation soll eine unabhängige Datenbank erstellt werden, bei der die praktisch relevanten Interaktionen von einem ärztlichen Gremium "per Hand" eingepflegt werden. Wie Dr. Horst Möller vom Referat für Arzneimittelsicherheit des Bundesgesundheitsministeriums kürzlich auf einer Konferenz des Branchenverbands BITKOM in Berlin berichtete, ist offensichtlich daran gedacht, durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eine Datenbank neu entwickeln zu lassen, die medizinisch von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft betreut wird. Viele Details sind aber noch unklar.