Die Ära der klassischen Medikamentencocktails gegen Aids neigt sich dem Ende. Potentere Präparate scheinen in greifbare Nähe zu rücken, meint HIV-Mitentdecker Robert Gallo.
Mit über 1100 Publikationen gilt er als der meistzitierte lebende Wissenschaftler weltweit, und was Robert Gallo sagt, hat Gewicht. So auch jetzt. "Ich glaube, dass Protease Inhibitoren bei der Behandlung von HIV zunehmend weniger zum Einsatz kommen werden", sagt der Leiter des Institute of Human Virology (IHV) in Baltimore und liefert den Grund für diese mögliche Entwicklung gleich mit: "Sie verursachen auf Dauer zu viele Nebenwirkungen und sind zu toxisch."
Die Medizin steht vor einem Dilemma
Tatsächlich steht die Medizin seit Mitte der 1990er Jahre trotz mehr als beachtlicher Erfolge in Sachen Anti-HIV-Therapie vor einem Dilemma. Denn die als sogenannte hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) etablierte "Ur-Strategie" zur Unterdrückung des Erregers im Körper der Infizierten ist heute nicht mehr in der Lage, den Erreger ausreichend zu überlisten. HAART bestand seinerzeit aus einer Dreifach-Kombination: Zwei Nucleosid-Analoga und ein Protease-Inhibitor sollten die Viren in Schach halten. Noch heute basieren weiterentwickelte Wirkstoffkombinationen auf den Erfahrungen mit HAART - darunter sind solche mit zwei Protease-Inhibitoren oder mit nur einem Protease-Inhibitor, der zusammen mit einem nicht-nucleosidischen Inhibitor der Reversen Transkriptase verabreicht wird. Doch die Mixturen weisen einen nach wie vor gravierenden Nachteil auf, denn sie erreichen keine hundertprozentige Suppression des Virus. Damit aber verlieren sie nach einiger Zeit ihre Wirkung. Zudem sind während der Therapie unempfindlich gewordene HIV-Stämme auch gegen andere Substanzen der gleichen Klasse resistent. Die gravierende Folge ist, dass diese als Alternative ebenfalls ausfallen.
Entry-Inhibitoren im Kommen
"Ich sehe nach wie vor eine andere Wirkstoffklasse im Kommen", prophezeit daher Gallo, "die sogenannten Entry-Inhibitoren". Tatsächlich basieren die Hoffnungsträger des neuen Milleniums auf einer Entdeckung Gallos aus den Jahren 1995/96. Der US-Amerikaner war damals auf eine Klasse von Proteinen gestoßen, die den Eintritt des Virus in die Zelle blockiert. Diese Chemokine (sogenannte CCR5-Antagonisten) wiesen aber einen enormen Nachteil auf, wie sich Gallo erinnert: "Sie waren zu groß, um verabreicht zu werden." Heute hingegen verfügen eine Reihe von Pharmaunternehmen über sogenannte "small molecules" in ihren Pipelines - synthetische Imitate jener Chemokine also, die man schon vor fünf Jahren als Durchbruch feierte. Nur: Erst jetzt schienen sie die für eine Therapie nötige Größe erreicht zu haben, wie Gallo betont: "Sie könnten als Tablette eingenommen werden."
Die Suche nach Alternativen
Neben solchen "small molecules" setzen die Aids-Bekämpfer auf therapeutische Vakzine. Schon in den nächsten Jahren könnte es laut Gallo in diesem Bereich zu einen deutlichen Durchbruch kommen. Demnach laufen Pilotstudien derzeit in Belgien, an der Universität in Paris und bei Aventis Pasteur zusammen mit einer kleinen französischen Firma namens Neovacs. Die Suche nach Alternativen zu den bisherigen Präparaten läuft mittlerweile weltweit. So warteten australische Wissenschaftler mit einer aufseherregenden Entdeckung auf: "Wir haben eine einfache Methode erfunden, die die Fähigkeit des Immunsystems stärkt, gegen chronische Infektionen wie AIDS oder Hepatitis C anzukämpfen. Dabei wird das Blut des Patienten mit kleinen überlappenden Proteinen des Virus, genannt Peptide, behandelt", erklärt dazu Stephen Kent, Professor am Department of Microbiology and Immunology an der University of Melbourne. Die Peptide simulieren durch ihre Oberflächenstruktur eine Infektion. Bei der Injektion dieses Peptid-überzogenen Blutes zurück in den Körper der geimpften Versuchstiere löste dieses eine sehr starke immunologische Abwehrreaktion aus. "Als wir die HIV Immunität in den Wochen nach dieser Behandlung überprüften, hatte sich eine deutlich verbesserte Virus-spezifische Immunität eingestellt", erläutert Kent. Die als Overlapping Peptide Pulsed Autologous Cells (OPAL) bezeichnete Methode soll nun in Studien mit Menschen weiter erforscht werden.