Die Partei der Grauen Panther kommt über ein Prozent nicht hinaus. Die 50plus Website "feierabend.de" zählt dagegen zu den kommerziell erfolgreichsten Webseiten. "Die Löffel abgeben", "aging racism", "anti-aging", aber auch das "Methusalem-Komplott" unterstreichen die krassen Gegensätze der Altersdiskussion. Da wundert es nicht, dass auch die geriatrische Medizin Nachholbedarf hat.
Medizinischer Engpass für 65 plus?
Wissenschaftler des (ACGME) warnten kürzlich davor, dass es in Zukunft nicht genügend ausgebildete Fachärzte der Geriatrie geben wird.. Schon 2001 nahmen mehr als 53% Patienten über 65 eine ambulante Behandlung in Anspruch, die über das Fachwissen von Allgemeinmedizinern hinausgeht. Daher sei absehbar, dass mit der Zunahme der über 65-Jährigen die Fachmediziner ohne spezielle geriatrische Ausbildung in einigen Jahren überfordert sein werden, befürchten die Wissenschaftler.
Standardisierte geriatrische Ausbildung für alle Facharzt-Disziplinen
Von 91 Facharzt-Disziplinen beim Accreditation Council for Graduate Medical Education (ACGME), ergaben die Recherchen der amerikanischen Protagonisten, werden nur in 27 Bereichen spezielle geriatrische Lehrpläne angeboten. Unter dem Strich bedeute dies, dass 70 Prozent der Medizinstudenten ohne ein spezielles Curriculum der Alterswissenschaft die Hochschulen verlassen. Ihre Forderung: Mehr standardisierte geriatrische Ausbildung über alle Facharzt-Disziplinen hinweg.
Todesnähe und Multimorbidität wirken abschreckend
Prof. Dr. med. Bernhard Joachim Höltmann, Chefarzt der Geriatrischen Klinik des Kreiskrankenhauses Grevenbroich, will die Probleme nicht ausschließlich an einem mangelhaften Ausbildungsangebot festmachen. Ob hier oder jenseits des großen Teichs lässt die Bereitschaft bei jungen Medizinern, sich den speziellen Anforderungen der Geriatrie zu stellen, zu wünschen übrig. Todesnähe und Multimorbidität haben abschreckende Wirkung. Hinzu kommen divergierende Interessen und Machtkämpfe innerhalb der Ärzteschaft. Last but not least werde das Problem verschärft durch die alles überlagernde Kostendiskussion im Gesundheitswesen - Beispiel DRG, warnt Altersmedizin-Forscher Professor Gerald Korb, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG).
Curriculum zum Thema "Medizin des Alterns"
Die Situation bei Qualifikation und Ausbildung in der Geriatrie verhält sich in Deutschland kaum anders als in den USA. Der gegenwärtige Weiterbildungsstand der niedergelassenen Ärzte sei fast gleich Null, bemängelt Professor Höltmann. Grund sei neben geringem Interesse die fehlende universitäre Ausbildung im Studium oder im Krankenhaus. Immerhin kommt Bewegung in die Szene. Die neue Approbationsordnung schreibt vor, dass ab Wintersemester 2004/2005 an allen medizinischen Fakultäten das Curriculum Q7 mit dem Thema "Medizin des Alterns" zur Pflichtveranstaltung wird. Das heißt aber auch, dass erst in 4-5 Jahren die ersten Ärzte mit geriatrischen Grundkenntnissen in den Praxen erwartet werden können.
Forschungsressourcen nur für die Generation bis 70
Aus der betont "subjektiven" Sicht von Professor Höltmann sitzen die Probleme weitaus tiefer. Aufgrund der fehlenden universitären Strukturen gibt es nur einen schmalen Zugang zu Forschungsressourcen. So fehle beispielsweise vollends die medizinische Versorgungsforschung älterer Menschen. Der größte Teil der Medikamente werde an jungen Erwachsenen getestet, aber später den über 70jährigen verabreicht. Auch bei der Leitlinienentwicklung fehlen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse von der Generation 70 plus, so dass Diagnostik und Therapie maximal für Patienten "70 minus" gelten können.
Schwerpunkt- contra Querschnittsfach
Die Ärztlichen Standesorganisationen, so Professor Höltmann, halten sich zum Thema Geriatrie eher bedeckt. Die Forderung seitens der beiden Wissenschaftlich-Geriatrischen Gesellschaften, die Altersmedizin als Schwerpunktfach in der Musterweiterbildungsordnung, wie ursprünglich vorgesehen, zu belassen, wurde abgelehnt. Mit Curriculum Q7 zählt die Geriatrie zu den Querschnittsfächern. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften sehen darin ein drohendes Dilemma für die Geriatrie und zweifeln an, dass bei dieser Konstellation die Multimorbidität älterer Menschen sinnvoll behandelt werden kann. Außerdem halten sie eine Weiterbildungszeit von 18 Monaten, mit der jeder Facharzt die Zusatzqualifikation als "Geriater" erwerben kann, für unzulänglich kurz.
Geriatrisches Assessment und Screening
Mit der neuen Gebührenordnung werden erstmals seit Januar diesen Jahres spezifische geriatrische Explorationsverfahren honoriert. Dazu zählt das geriatrische Assessment sowie das geriatrische Screening, eine Methode, mit deren Hilfe alte Menschen mit okkulten Krankheiten heraus gefiltert werden sollen. Das "Screening"-Verfahren wurde in der Schweiz entwickelt. Die Meinung von Professor Höltmann: Das Verfahren ist teuer. Die Medizin wird hierdurch nicht billiger - aber die Lebensqualität der Betroffenen wächst deutlich an.