Kann der Patient durch die Art und Weise, wie er seine Beschwerden äußert, Einfluß auf das Handeln eines Arztes ausüben? Er kann, fand ein Forschungsteam um Prof. Heinz-Harald Abholz an der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf in einer Studie heraus. Auf rund 40 Prozent der teilnehmenden Ärzte übertrug sich die von Patienten dargestellte Angst.
Im Vorfeld der Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen gefördert wurde, suchte das Forscherteam sechs eigentlich gesunde Personen aus und schulte sie. Zugleich teilte das Team die standardisierten Patienten (SP) in zwei Gruppen ein: Die eine hatte sich gegenüber den Ärzten neutral akzeptierend zu verhalten, die andere Gruppe sollte sich eher ängstlich und besorgt geben. Als Krankheitsbild entschied sich das Team für Kopfschmerzen, da diese Beschwerden häufig vorkommen, jedoch weder sichtbar noch messbar sind. Aufgesucht wurden 52 vorab für das Projekt ausgesuchte männliche Hausärzte mit längerer Berufserfahrung. Zwar wussten die Ärzte, dass in einiger Zeit SP zu ihnen kommen würden, sie wussten jedoch nicht, wann und mit welchem Krankheitsbild. Im Anschluss an die Arztbesuche mussten die Testpersonen einen Dokumentationsbogen ausfüllen, unter anderem mit Angaben zu der Dauer des Gesprächs, dem Umfang der Untersuchungen und der weiterführenden Diagnostik und Therapie. Zudem wurde ein Großteil der Ärzte nach den Patientenbesuchen zu ihren ersten Eindrücken interviewt.
Erstaunliche Ergebnisse
"Wir waren erstaunt darüber, wie viele der ängstlich besorgten Patienten zu Fachärzten überwiesen worden sind, kommentiert Dr. med. Stefan Wilm, Autor der Studie und Mitarbeiter an der Düsseldorfer Abteilung für Allgemeinmedizin, das Ergebnis gegenüber dem DocCheck Newsletter. Wurden von den ängstlichen Patienten acht zum Facharzt geschickt, war es nur ein Patient aus der neutralen Patientengruppe. Auch bei den Empfehlungen zum Besuch eines Facharztes oder einer Krankenhausambulanz überwog die Anzahl der ängstlichen Patienten (elf ängstliche gegenüber einem neutralen Patienten). Die Auswertungen der Interviews zeigen, warum: Es waren vor allem der "spürbare Leidensdruck der ängstlichen Patienten" und deren Artikulation von Befürchtungen", die sie unsicher werden ließen, einige gaben aber auch "grobe neurologische Abweichungen (die bei den SP gar nicht vorhanden waren) oder die "Begrenzung der eigenen diagnostischen Erfahrungen und Möglichkeiten" als Gründe für eine Überweisung zum Facharzt an. Überrascht hat Wilm ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Dauer der Arztbesuche war bei beiden Patientengruppen etwa gleich lang. "Wir hatten erwartet, dass sich die Ärzte bei den ängstlich besorgten Patienten mehr Zeit nehmen würden als bei den neutral-akzeptierenden", so Wilm. Darüber hinaus habe es keine Untersuchung gegeben, die bei der einen Patientengruppe häufiger durchgeführt worden ist als bei der anderen.
Fazit
An den Ergebnissen lässt sich Wilm zufolge gut ablesen, wie sehr der Alltag von Ärzten von deren Bauchgefühl bestimmt wird. "Wir müssen deshalb das Thema mehr ins Bewusstsein der Ärzte rücken, vor allem bei den 40 Prozent, bei denen die Patienten vorschnell weiter verwiesen wurden", so der Autor der Studie. Geplant sei, die Studienergebnisse in die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten einzubinden. Einige einfache Faustregeln sollen dem Arzt zudem dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen ohne sich unreflektiert von der Angst der Patienten anstecken zu lassen. Ein Beispiel: "Wenn bestimmte Alarmzeichen fehlen, ist das Risiko für einen gefährlichen Verlauf sehr gering"; ein weiteres "Bei schwer erfassbaren Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Müdigkeit ist es hilfreich, die rationalen Schritte der evidenzbasierten Diagnostik zu kennen".