Wird die Infektiologie zur neuen Großbaustelle der Antikörperingenieure? Das West Nil-Virus, das Amerika im Sturm genommen hat, knickt jedenfalls ein, wenn es einen Designerantikörper sieht. Auch beim Dengue-Fieber keimt die monoklonale Hoffnung wieder auf.
Rheumatologen feiern sie als zugkräftige und therapeutisch in vielen Fällen höchst erfolgreiche Wiedergeburtshelfer ihrer bis dato als etwas altbacken geltenden Disziplin. Krebsmediziner konnten jüngst einen Jubelschrei nicht unterdrücken, als eine Substanz mit kaum aussprechbarem Namen beim kolorektalen Karzinom Therapieerfolge vermeldete. Und Kardiologen nutzen sie seit Jahren zur Blutverdünnung, ohne groß Aufhebens darum zu machen. Die Rede ist natürlich von monoklonalen Antikörpern, einer der innovativsten und teuersten Therapien, die die moderne Medizin derzeit anzubieten hat.
Der Antikörper schaltet das Virus ab. Schnell.
Infektionskrankheiten standen bisher nicht im Fokus der Antikörperarchitekten. In den USA gibt es einen Antikörper, der für die prophylaktische Behandlung von Kindern mit erhöhtem Risiko einer RS-Virus-Infektion zugelassen ist. Und natürlich basieren herkömmliche Passivimpfungen auf Antikörpern, die allerdings nicht synthetisch hergestellt werden. Doch all das sind Präventionsstrategien, keine Therapien im engeren Sinne. Eine Gruppe Wissenschaftler der Washington University in St. Louis hat diese Lücke jetzt zumindest bei Mäusen geschlossen. In der Maiausgabe der Zeitschrift Nature Medicine werden sie einen humanisierten, monoklonalen Antikörper präsentieren, der dem West Nil-Virus nach einer erfolgten Infektion den Garaus machen soll. WNV ist ein epidemiologisch hoch interessantes Virus, das von Moskitos übertragen wird. Es fand in den späten neunziger Jahren wahrscheinlich über Vögel nach Nordamerika und ist dort in kürzester Zeit heimisch geworden. Das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) schätzt, dass sich seither mehr als 16.000 Amerikaner mit dem West Nil-Virus infiziert haben. Die Erkrankung verläuft in aller Regel harmlos bis unbemerkt. Ausnahme sind einige wenige Patienten, bei denen das Virus das Nervensystem angreift, Paralysen und komatöse Zustände hervorruft und schlimmstenfalls zum Tod führt. In den USA kam das seit 1999 immerhin 600 mal vor. Es gibt derzeit keine Therapie für Menschen mit schwerer West Nil-Virus-Infektion, sagt NIAID-Direktor Anthony Fauci. Gebraucht wird nicht so sehr eine Impfung, als vielmehr eine Akuttherapie, und genau die hoffen die Wissenschaftler um Michael Diamond jetzt gefunden (oder besser: gebaut) zu haben. Es handelt sich um einen Antikörper gegen ein Hüllprotein des West Nil-Virus, einen von insgesamt 46 Antikörpern gegen diese Struktur, die die Wissenschaftler hergestellt und untersucht haben. Der therapeutische Effekt im Tiermodell ist erstaunlich. Die Mäuse, von denen normalerweise nur etwa zehn Prozent eine Infektion mit dem West Nil-Virus überstehen, kommen fast alle mit dem Leben davon, wenn sie nach der Infektion den Antikörper erhalten. Dabei ist nicht einmal Eile geboten: Wir konnten die Mäuse selbst fünf Tage nach der Infektion mit einer einzigen Dosis des Antikörpers heilen, so Diamond.
Das Dengue-Fieber ist die eigentliche Herausforderung
Natürlich sind Mäuse nicht gleich Menschen, und die Firma Macrogenics Inc., die den Antikörper produziert, wird noch einige Vorarbeiten leisten müssen, bevor die ersten Studien mit Menschen starten können. Doch hängt das Konzept der Antikörperbehandlung nicht völlig im luftleeren Raum. Denn der Antikörper, den die Wissenschaftler entwickeln ließen, ähnelt jenem, der bei Menschen nachgewiesen werden konnte, bei denen das Immunsystem das West Nil-Virus erfolgreich ausgeschaltet hat. Doch nicht nur das West Nil-Virus interessiert die Infektiologen. Mit ihrem Antikörper hoffen die Wissenschaftler auch einen Hebel gefunden zu haben, der ihnen Zugang zu einem weit tückischeren Artgenossen verschafft, dem Dengue-Fieber-Virus. Es kann ebenfalls zu einer lebensbedrohlichen Infektion führen. Wie das WNV ist auch das Dengue-Fieber-Virus ein Flavivirus. Experten der Centers for Disease Control schätzen, dass weltweit bis zu 100 Millionen Fälle von Dengue-Infektionen jährlich vorkommen. Weil es wesentlich virulenter als das West Nil-Fieber-Virus ist, würden Ärzte gegen das Dengue-Fieber-Virus gerne impfen. Doch bisher hat es sich allen Bemühungen in therapeutischer wie prophylaktischer Richtung erfolgreich widersetzt. Es verhält sich sogar besonders tückisch: Einige Antikörper, die an das Hüllprotein des Dengue-Virus binden, behindern es ganz und gar nicht, sondern sorgen im Gegenteil dafür, dass die Infektion viel massiver abläuft. Durch ihre Arbeit mit dem West Nil-Virus erhoffen sich die Wissenschaftler nun auch Einblicke in die molekularen Prozesse bei der Dengue-Infektion. Denn die Hüllproteine der beiden Flaviviren ähneln sich sehr.