Das Überleben nach einer Thoraxoperation in Deutschland ist Glückssache. Das behaupten zumindest einflussreiche Thoraxchirurgen. Sie fordern deswegen Mindestmengen für die delikaten Eingriffe und begeben sich damit auf politisch heikles Terrain.
Wer dem Wiesbadener Thoraxchirurgen Privatdozent Joachim Schirren zuhört, der fängt an zu beten, dass er nie krank werden möge. Die Thoraxchirurgie ist bisher Gelegenheitschirurgie, so Schirren auf der 14. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie in Berlin. Thoraxoperationen würden überwiegend von Nicht-Spezialisten durchgeführt, viel zu häufig in kleinen Kliniken, wo alle ganz aufgeregt sind, wenn der Chef am nächsten Tag eine Lunge operiert. Wenn Schirren von der Thoraxchirurgie in Deutschland spricht, dann werden ganze Lungenflügel entfernt, die eigentlich drin bleiben könnten, dann kommt es an jeder Ecke zu vermeidbaren Komplikationen bis hin zu Todesfällen, die nicht nötig gewesen wären.
Zentralismus tut der Lunge besser
Schirren ist kein Apokalyptiker. Er arbeitet an einem großen, thoraxchirugischen Zentrum, wo Eingriffe in den Brustkorb mehrmals am Tag stattfinden. Und er kann seine Thesen mit Zahlen belegen. Beispiel Lungenkrebs: Etwa 55 Prozent aller Krebsoperationen im Thorax betreffen Tumore, die zentral in der Gegend der großen Bronchien liegen. Bei mindestens der Hälfte dieser Patienten lasse sich der betroffene Lungenflügel durch eine Manschettenresektion erhalten. Nur zwanzig bis dreißig Prozent der Operationen sollten heute Lungenflügelentfernungen sein, so Schirren im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter. In großen Zentren werde diese Quote erreicht. Außerhalb der Zentren dagegen beherrschen nur die wenigstens die technisch anspruchsvolle Manschettenresektion. Wenn der Chef mal eine Lunge operiert, dann ist sie nachher in der Regel draußen. Auch wenn der Patient den Krebs überlebt, ist er damit auf Dauer ein Schwerbeschädigter. Doch es geht nicht nur um die Lunge, es geht auch um Leben. Professor Dirk Kaiser von der Klinik für Thoraxchirurgie der zur Helios-Gruppe gehörenden Lungenklinik Berlin-Heckeshorn berichtete auf der Thoraxchirurgentagung von einer niedersächsischen Untersuchung, bei der die perioperative Sterblichkeit mit der Zahl der Thoraxoperationen pro Jahr korreliert wurde. Auch hier sind die Ergebnisse haarsträubend. Die mittlere Sterblichkeit bei Lungenkrebsoperationen lag in den 127 untersuchten Krankenhäusern bei 8,4 Prozent, so Kaiser. Ganz anders in großen Zentren mit hunderten Operationen pro Jahr: Hier starben nur 1,5 Prozent der Patienten im Rahmen der Operation. In Kliniken, die weniger als 150 Thoraxoperationen durchführen, waren es schon 5,4 Prozent. Stehen weniger als zwanzig derartige Operationen pro Jahr auf dem OP-Programm, schnellt die Sterblichkeit auf 15 Prozent nach oben.
Mindestmengen werden im Verbandsgerangel zu Mengchen zerrieben
Die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie an die Politik ist deswegen glasklar: Wir fordern zur Qualitätssicherung eine Mindestmenge von 300 Eingriffen an Lunge, Zwerchfell oder Rippenfell pro Klinik und Jahr, so Kaiser. Damit die einzelnen Ärzte im Zentrum auf eine ausreichende OP-Zahl kommen, bräuchte es für so ein Pensum etwa drei Fachärzte. Für sinnvoller und besser zu organisieren halten die Experten allerdings ein Jahrespensum von 500 Operationen mit dann vier bis fünf Fachärzten. Große Zentren operieren etwa tausend Mal im Jahr. Was darüber hinaus geht, droht unübersichtlich zu werden. Mindestmengen bei ausgewählten Operationen sind nicht nur ein Anliegen der Thoraxchirurgen. Auch die Politik hat sich für diese Zentralisierung ausgesprochen, im Prinzip jedenfalls. In der Praxis geraten die Diskussionen um Mindestmengen aber in die Verbandsmühlen der Selbstverwaltung und drohen, dort zerrieben zu werden. Formal entscheidungsberechtigt ist der neue Gemeinsame Bundesausschuss, der bereits einige operative und invasiv-therapeutische Mindestmengen festgelegt hat, allerdings nicht in der Thoraxchirurgie. Hier blockiert unter anderem die Deutsche Krankenhausgesellschaft, ein Bollwerk des Krankenhausföderalismus, von dem sich viele Großkliniken eher wenig vertreten fühlen. Die für Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse festgesetzte Mindestmenge von fünf Operationen pro Jahr unter Einschluss von Probelaparatomien bezeichneten die in Berlin vertreten Experten unisono als Unverschämtheit. Droht der Thoraxchirurgie Ähnliches? Im Interesse der Patienten wäre es nicht.