Während eine große Krankenkasse in Sachen Hormonersatztherapie kürzlich eine Breitseite gegen das Verschreibungsverhalten der deutschen Gynäkologen abfeuerte, mahnt eine neue Untersuchung der Charité Berlin jetzt zur Vorsicht. Möglicherweise ist es mit dem erhöhten Brustkrebsrisiko nicht so weit her.
Kaum ein medizinisches Thema lässt die Emotionen so hoch kochen wie die Hormonersatztherapie (HRT). Ihre Gegner wollen sie lieber heute als morgen und möglichst komplett aus dem therapeutischen Arsenal der Gynäkologie verbannen. Einige vehemente Befürworter sehen sich dagegen als Opfer schlecht gemachter Studien und werden innerhalb von Minuten aggressiv, wenn das Thema auch nur angesprochen wird. Auf Veranstaltungen zur HRT geht es mitunter geradezu hysterisch zu.
Gynäkologen haben ihr Verschreibungsverhalten deutlich geändert
Einige Untersuchungen aus ganz unterschiedlichen Ecken haben das Thema HRT in den letzten Monaten wieder auf den Schild der öffentlichen Aufmerksamkeit gehoben. Da war zunächst eine repräsentative Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, WidO unter 400 niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen. Ergebnis: Vier von fünf Frauenärzten halten die Risiken der HRT demnach für überbewertet. Ein Drittel war der Auffassung, dass sich die HRT zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eigne. Ein weiteres Drittel verschreibt Hormone als ein Mittel zur Demenzprophylaxe. Und die Hälfte will mit Hormonen den Alterungsprozess der Frau aufhalten. Großstudien wie die Womens Health Initiative (WHI), die diese Zusammenhänge verneinen, sind zwar methodisch umstritten. Positive Daten aus randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien ausreichender Größe sind allerdings auch Mangelware, was Hormonbefürwortern immer wieder vorgehalten wird. Die AOK nutzte ihre Umfrage zu einer Pauschalschelte der deutschen Gynäkologen. Das erscheint etwas ungerechtfertigt, wenn man sich die aktuellen Verschreibungsdaten ansieht. Die zeigen deutlich: Es wird nicht so gehandelt, wie offenbar gedacht wird. Die AOK selbst musste zugeben, dass die Verordnungen seit dem Jahr 2000 um mehr als die Hälfte auf zuletzt 469 Millionen Tagesdosierungen zurück gegangen sind. Zahlen aus dem Gesundheitsreport 2005 der Techniker Krankenkasse, denen die Verschreibungen bei 300.000 weiblichen Versicherten zugrunde liegen, sprechen eine analoge Sprache: Nur noch jede sechste Frau zwischen 45 und 65 nimmt demnach eine Hormonersatztherapie ein. Vor fünf Jahren war es noch mehr als jede dritte. Die HRT ist damit zwar nicht klinisch tot, aber doch deutlich in der Defensive. Es deutet einiges darauf hin, dass sie zunehmend als rein symptomatische Behandlung eingesetzt wird und nicht mehr als ein Allheilmittel gegen das Altern.
Wissenschaftler: Zusammenhänge zwischen HRT und Krebs sind komplex
Jenseits des Verordnungsverhaltens ist die wissenschaftliche Diskussion über die vermeintlichen oder tatsächlichen Risiken der HRT längst nicht abgeschlossen. Die Hinweise darauf, dass einige der in den Großstudien WHI und Million Women Study beschriebenen Risiken bisher eher überschätzt wurden, mehren sich. Eine von mehreren Untersuchungen, die in diese Kerbe schlagen, kommt jetzt von der Charité Berlin. Es handelt sich um einen Übersichtsartikel des Tumorpathologen Manfred Dietel, der vor dem Hintergrund der epidemiologischen Studien zur HRT pathobiologische Aspekte beleuchtet. Dietel kommt zu dem Schluss, dass die vereinfachende Darstellung der Hormonersatztherapie als Ursache von Brustkrebs so nicht aufrecht erhalten werden könne. Sein Argument: Die Beobachtungszeiträume, in denen in den genannten Großstudien eine erhöhte Brustkrebsinzidenz aufgefallen war, seien mit etwa fünf Jahren zu kurz gewesen, um die höhere Inzidenz durch eine Neubildung von Tumorzellen erklären zu können. Stattdessen sei es tumorbiologisch wahrscheinlicher, dass schon existierende, maligne Zellen durch die HRT schneller zu einem diagnostizierbaren Tumor heranreifen, so Dietel. Von gynäkologischer Seite gibt es, dazu passend, die Beobachtung, dass Brustkrebserkrankungen bei Frauen mit HRT früher auffallen und besser ausgehen, was freilich auch andere Ursachen haben kann. Fazit: Epidemiologische Daten über die Krebsgefahren der HRT werden derzeit eher wieder in Frage gestellt. Doch abgeschlossen sind die Diskussionen noch lange nicht.