Im 15. Jubiläumsjahr der ersten Gentherapie am Menschen kommt die mit einigen Zwischenfällen belastete Disziplin wieder auf die Beine. Neue Genfähren und einige spektakuläre Therapieerfolge bei Tier und Mensch nähren die Hoffnungen von Ärzten und Patienten.
Ziemlich genau 15 Jahre ist es jetzt her, dass die damals vier Jahre alte Ashanti de Silva in den USA die erste Gentherapie erhielt. Das Mädchen war mit einem Adenosin Deaminase Defizienz-Syndrom auf die Welt gekommen. Die Erkrankung machte sie extrem anfällig für Infektionen. Durch die Gentherapie, bei der genetisch veränderte T-Zellen eingesetzt wurden, verbesserte sich ihr Immunstatus deutlich. Sie überlebte und lebt bis heute.
Gefunden: Virus mit drei Buchstaben
Auf diese positive Geschichte, die am Beginn der therapeutischen Genübertragung auf den Menschen steht, folgten mehrere Rückschläge, aber auch ein spektakulärer Erfolg. Die ersten Gentherapieserien bei der tödlichen, kombinierten Immunschwäche SCID X1 in Frankreich und England gelten als "proof of principle" für die grundsätzliche Möglichkeit einer Behandlung von Menschen mit schweren, monogetischen Erkrankungen. Bei einigen dieser Patienten kam es bekanntlich zum Auftreten einer Leukämie, wahrscheinlich weil die benutzte Genfähre, ein Retrovirus, an einer ungünstigen Stelle im Erbgut eingebaut wurde. Angesichts der Schwere der Immunschwäche werden die Studien aber weiter geführt, weil der Nutzen für die Betroffenen nach Auffassung der Ethikkomitees überwiegt. Dennoch zeigt das Beispiel SCID X1, das noch viel Verbesserungsbedarf besteht. Einen wichtigen Schritt sind jetzt Forscher der Abteilung für Medizinische Biotechnologie des Paul Ehrlich-Instituts in Langen gegangen. Die Arbeitsgruppe um den international renommierten Gentherapieexperten Professor Klaus Cichutek hat nämlich einen neuen Vektor entwickelt, der unter Umständen auch für die SCID X1-Therapie interessant sein könnte, den PBj-Vektor. Die Wissenschaftler berichten darüber in der Fachzeitung Molecular Therapy der Amerikanischen Gesellschaft für Gentherapie.
So lässt sich auch die Stammzelle mit Genen füttern...
Beim PBj-Vektor handelt es sich um einen vermehrungsfähigen Vektor, der auf das PBj-Virus zurück geht, ein Lentivirus, das ursprünglich bei Affen vorkommt. PBj-Viren können ohne Stimulation durch Zytokine in menschlichen Lymphozyten vermehrt werden. Diese Beobachtung schürte die Hoffnung, dass sie auch dazu in der Lage sein könnten, Gene auf Zellen zu übertragen, die sich gerade nicht teilen, weil sie sich in der G0-Phase des Zellzyklus befinden. Tatsächlich scheint genau das der Fall zu sein: "Bei der Herstellung des vermehrungsfähigen PBj-Vektors wurde entdeckt, dass sich Gene in vollständig im Ruhezustand befindliche Fibroblasten und Monozyten überführen ließen", so Cichutek. Die üblichen Gentherapie-Vektoren müssen in einem Gewebe, dessen Zellen sich nicht teilen, dagegen passen. Besonders interessant könnte das für zukünftige Gentherapien bei Krebs oder HIV-Infektionen sein, bei denen mit gentherapeutisch veränderten Stammzellen gearbeitet wird. Hier gab es nämlich bisher ein Problem, denn auch Stammzellen befinden sich in der Ruhephase des Zellzyklus. Wollten Wissenschaftler in diese Zellen Gene einbringen, dann mussten sie die Zellen mit Zytokinen stimulieren, was sich wiederum negativ auf die Eigenschaften der Stammzellen auswirkte. Diesen Kreislauf haben Cichutek und seine Kollegen mit dem neuen Vektor jetzt offenbar durchbrochen.
Es hat sich ausgewobbelt.
Eine herbstliche Erfolgsmeldung in Sachen Gentherapie kommt auch aus Bielefeld. Wissenschaftler des Instituts für Entwicklungsbiologie und molekulare Pathologie der dortigen Universität haben zusammen mit Forschern aus Braunschweig und der US-Stadt Ann Arbor im Bundesstaat Michigan die so genannte Wobbler-Maus (englisch für "Wackler") erfolgreich gentherapiert. Es handelt sich dabei um ein Modell für die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), denn die Symptome der Tiere ähneln stark denen von Menschen mit ALS. Die Tierchen leiden an einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen aufgrund eines Gendefekts, der bis kürzlich unbekannt war. Das Gen wurde jetzt aber entschlüsselt, und die Erkrankung der Mäuse konnte durch die Einführung eines voll funktionsfähigen Gens kausal behandelt werden. Die Wissenschaftler um Professor Harald Jockusch und Professor Thomas Schmitt-John berichten über diesen Erfolg in der Zeitschrift Nature Genetics.
Das Genprodukt des verantwortlichen Gens hat eine Art Sortierfunktion für jene intrazellulären Membranvesikel, die für den Transport von Material zwischen Zelloberfläche und Golgi-Apparat zuständig sind. Durch das Ersatzgen wurde diese Sortiermaschine quasi repariert. Leider lässt sich das nicht so mir nichts, dir nichts, auf Menschen übertragen. Bei der humanen ALS sind einige seltene familiäre Formen beschrieben. Bei den meisten Formen aber ist die genetische Grundlage noch unklar. Trotzdem: Die Meldung dürfte dazu beitragen, dass Anhänger der Gentherapie bei ALS Morgenluft wittern, nicht nur in Deutschland.