Im Kampf gegen Krebs setzen Ärzte auf ein neues Forschungsfeld. Mit Hilfe der so genannten Chemoprävention sollen maligne Tumoren bereits im Vorfeld ihrer Entstehung in Schach gehalten werden - mit Hilfe von Obst, Gemüse und Pharmaka.
Sie gilt als mögliche Wunderwaffe im Kampf gegen den Krebs und soll dafür sorgen, dass maligne Zellen erst gar nicht entstehen: Chemoprävention nennen Wissenschaftler eine neuartige Behandlungsmethode, bei der Menschen durch die Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel und Medikamente eine einsetzende Karzinogenese im Körper zurückdrängen.
Die Forscher wissen, dass chemische Substanzen den Amoklauf der Zellen im Organismus hemmen oder ihn sogar umkehren können, noch bevor die Malignität nachweisbar ist; im Grund agieren chemopräventive Wirkstoffe wie Anti-Karzinogene. Was krebsauslösende Stoffe anrichten, heben sie wieder auf. Wie sie das tun, ist bislang noch nicht genau geklärt. Doch offensichtlich verfügen sie über eine erstaunliche Eigenschaft: Sie unterdrücken jene genetischen und epigenetischen Vorgänge in der Zelle, die zur Krebsbildung führen.
Pille, die den Krebs verhindert?
Angesichts solcher Zusammenhänge zeigt sich die Fachwelt überzeugt. Der vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) betriebene Krebsinformationsdienst (KID) stellte, vor wenigen Jahren noch undenkbar, die Frage: "Krebsvorbeugung durch Tabletten?"
Vieles spricht dafür, dass es so kommen kann. Wie so oft in der Geschichte der Pharmazie begann auch der Siegeszug der Chemoprävention mit alten Bekannten aus der Pflanzenwelt.
Chemiker isolierten nämlich eine Vielzahl von so genannten sekundären Pflanzenstoffen, die eine mittlerweile belegte vorbeugende Wirkung auf die Krebsentstehung haben. Zu den potentesten Chemopräventoren gehören das Genistein in Soja, das Sulphurophan und andere schwefelhaltige Verbindungen in Broccoli und allen anderen Kohlsorten, die Indole und Flavonoide aus verschiedenen Gemüsen. Hinzu kommen noch Karotinoide, darunter auch das Lycopen der Tomaten, sowie Zitruspektine und die Inhaltsstoffe des grünen Tees.
Chemoprävention als neuer Ansatz
Mediziner, Chemiker und Pharmakologen warten seit Jahren mit entsprechenden Ergebnissen auf. Doch bis dato blieben die einzelnen Mosaiksteine wenig beachtet, aus einem einfachen Grund: Chemopräventive Pflanzenstoffe sind chemisch betrachtet keine einheitliche Gruppe. Entsprechend fehlt ein einheitlicher Wirkungsmechanismus - so dass an vielen Fronten viele Forschergruppen der unterschiedlichsten Fachrichtungen die Substanzen untersuchten.
In Anbetracht solcher "Kleinstaaterei" startete das DKFZ im Herbst diesen Jahres eine groß angelegte Aufklärungskampagne, die vor allem Mediziner erreichen dürfte. Denn im Vergleich zu der bisherigen, oft vertretenen Meinung, wonach nur viel Obst und Gemüse der Krebsentstehung vorbeugen, betonen die DKFZ-Wissenschaftler den pharmakologischen Aspekt: auch künstlich hergestellte Wirkstoffe verfügten über starke, präventive Effekte.
So wurde die Evidenz für Effekte bestimmter nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAIDs d.h. Nonsteroidal antiinflammory drug = Nichtsteroidales antientzündliches Medikament) auf Kolorektalkarzinome von einer Arbeitsgruppe der International Agency for Research on Cancer untersucht. Erfreuliches Ergebnis: ASS besitzt eine - wenn auch begrenzte - krebsvorbeugende Wirkung. Auch die Wirkstoffe Sulindac, Piroxicam und Indometacin scheinen in die Karzinogenese einzugreifen, wie die Schweizerische Gesellschaft für die Prävention und Bekämpfung von Krankheiten des Magen-Darmtrakts und der Leber schreibt: "Eine sehr seltene Form von Darmkrebs, die ganze Familien betrifft und durch einen sehr frühen Beginn mit Tausenden von Polypen auf der Darmschleimhaut auffällt, scheint sich durch die Einnahme von mit der Acetylsalicylsäure verwandten Stoffen vielleicht verzögern zu lassen, Rückfälle werden seltener." Tatsächlich ist für bereits Betroffene nach einer Operation ein entsprechendes Mittel in den USA seit dem Jahr 2002 durch die FDA zugelassen.
Wie selektiv Chemoprävention indes funktioniert, zeigt das gleiche Beispiel. Menschen mit nicht familiär gehäuftem Darmkrebs profitieren von der Vorbeuge-Tablette nicht. "Alle Forscher und Kliniker warnen aufgrund der Nebenwirkungen des Medikaments davor, ohne ärztliche Beratung Acetylsalicylsäure oder ähnliche Stoffe einzunehmen", resümiert daher auch der Krebsinformationsdienst des DKFZ.
Die Jagd nach den Krebsvorbeugern der Zukunft jedenfalls ist eröffnet - und kennt keine Landesgrenzen mehr: Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ suchen derzeit mit ihren chinesischen Kollegen nach Substanzen, die präventive Eigenschaften haben können.