Die Palette der möglichen Bezugsquellen für medizinische Informationen ist groß. Seminare, Kongresse, Fachliteratur, Pharma-Referenten, Ärztezirkel, Verbände, Krankenkassen, Patientenorganisationen, Opinion Leader, Fachkollegen, Internet, usw. buhlen um die Gunst der Ärzte. Welche Informationsquellen nutzen sie tatsächlich, um Patienten z. B. die wirkungsvollsten Medikamente zu verschreiben?
Wissensmanagement für Arztpraxen
Forscher, Entwickler, Produzenten und Marketingstrategen brauchen es, um die rapid wachsende Flut von Informationen in den Griff zu bekommen. Ob aus Datenbanken, Archiven oder aus dem Internet, die Kunst ist es, die Streu vom Weizen in bezug auf Relevanz, Aktualität, Nutzen und Komplexität zu trennen. Die Rede ist vom Wissensmanagement, das in Unternehmen gezielt zur Steigerung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowie zur Stärkung von Kundenbindungen eingesetzt wird. Auch für Ärzte stellt sich das Thema Wissensmanagement in gleicher oder ähnlicher Weise. Und für die Pharmaindustrie ist gerade dies eine neue Herausforderung. Denn zu einem ihrer wichtigsten Anliegen zählt seit eh, den Arzt bei der Informationsbeschaffung gezielt zu unterstützen. Die Frage ist, auf welche neue Gegebenheiten soll sich das Pharma-Marketing einstellen.
Alles im Fluss
Wachsende Informationsflut, verteiltes Spezialwissen, rasante medizinische Entwicklungen, Gesundheitsreformen und ein neues Patientenverhalten erschweren zunehmend die optimale und zeitgemäße Versorgung in den Arztpraxen. Alles im Fluss, so könnte man die Situation etwas salopp umschreiben. Aus Pharma-Marketing-Sicht stellt sich daher die verständliche Frage: Welchen Einfluss haben heute und morgen die verschiedenen Informationsquellen auf den Verschreibungsentscheid des Arztes? Marcel van Lier, Diplom-Biologe am Institut für Marketing und Handel der Universität St. Gallen, untersuchte im Rahmen einer Intensivstudie zum Pharma-Marketing das Informationsverhalten von Ärzten in der Schweiz. Das Ergebnis wurde kürzlich vorgestellt.
Austausch unter Fachkollegen und in Newsgroups
Eine wichtige Basis für die Entwicklung von Marketing-Strategien lieferte die Frage, welche Informationsmedien heute bevorzugt genutzt werden und welche das in fünf Jahren sein werden. Die Antworten der Schweizer Ärzte waren eindeutig: 1. Der persönliche Austausch mit Fachkollegen stellt die mit Abstand wichtigste Informationsquelle dar und wird es nach Ansicht der Befragten auch bleiben. 2. In fünf Jahren wird die Nutzung neuer Medien, wie z.B. E-Mail, Newsletter, Internetportale, Newsgroups etc., massiv an Bedeutung gewonnen haben. 3. Kongresse, Pharma-Events, Fachmedien, Außendienstmitarbeiter etc. werden an Bedeutung verlieren. An der Befragung nahmen rund 600 Ärzte aus der Schweiz teil. Die Stichprobe setzte sich zusammen aus Praxisärzten mit der Fachrichtung Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Facharzt sowie Spitalarzt.
Positive Einschätzung von Internet & Co
Bei der Beurteilung der unterschiedlichen Informationsmedien hinsichtlich ihrer Qualität, fällt die durchweg positive Einschätzung der neuen Medien auf, z.B. die Doccheck-geschützten Pharma-Internet-Seiten. Vor allem in bezug auf die klassischen Medien, wie Fach- und Publikumsmedien, verbuchen Internet & Co. einen deutlich größeren Zuwachs, was die Qualitätseinschätzung betrifft. Dieses Ergebnis unterstützt noch einmal mehr die Bedeutung der neuen Medien für die nahe Zukunft. Bisher allerdings halten sich die Schweizer Ärzte bei der Nutzung der elektronischen Wissensanbieter noch dezent zurück.
Zwei Drittel der deutschen Ärzte sind online
Wie sieht es vergleichsweise in Deutschland aus? Eine repräsentative Umfrage der Boston Consulting Group (BCG) unter deutschen Ärzten ergab, dass zwei Drittel aller Ärzte online sind und durchschnittlich drei Stunden pro Woche im Netz auf der Suche nach medizinischen Informationen verbringen - und das überwiegend außerhalb der Praxiszeiten. Die Studie stammt aus dem Jahr 2003. Auf welchen Websites deutsche Mediziner am häufigsten surfen, hat die Bundesärztekammer zusammengestellt. U.a. sind für 88 Prozent der Ärzte medizinische Informationen von Interesse, für 61 Prozent das Online-Fortbildungsangebot. 48 Prozent informieren sich über Medikamente und immerhin 6 Prozent kommunizieren per e-Mail mit ihren Patienten. Von deutschen Consultern wird die Übersicht und die Qualität des Webangebots bemängelt.
Neuartige Segmentierung der Ärzte
Zurück zur Intensivstudie aus der Uni St. Gallen. Der detaillierte Fragebogen, entwickelt in Kooperation mit drei international aufgestellten Pharma-Unternehmen, machte eine Auswertung nach wichtigen Bezugsgrößen im Marketing möglich, wie z.B. Berufserfahrung, Praxisgröße, Entwicklung der Praxisauslastung, Kliniktätigkeit oder Netzwerktyp. Die Ergebnisse bieten eine umfassende Basis für eine neuartige Kundensegmentierung - ergänzend zur wenig differenzierenden ABC-Klassifizierung, so van Lier.
Van Lier entwickelte aus den erhobenen Daten Cluster für acht "marktbearbeitungsrelevante Ärztetypen". Als Beispiel nannte er die Ärzte, die bereits heute die neuen Medien stärker nutzen. Für ein effizientes Pharma-Marketing biete sich für diese Gruppe eine Strategie mit Killer-Applikationen im E-Learning an. Da seine Dissertation zu diesem Thema noch nicht abgeschlossen ist und andererseits ein Buch mit dem Titel "Excellence im Pharma-Marketing 2005" bereits im Handel ist, hält sich van Lier mit konkreten Marketing-Strategien für die Pharmaindustrie zurück.