Schal oder nicht Schal ist die Gretchenfrage des Mitteleuropäers zwischen November und Februar. Ärzte aus England haben jetzt erstmals in einer klinischen Studie nachgewiesen, was wir uns immer schon gedacht haben: Wer mehr friert ist öfter krank.
"Studien, Studien, Studien", das Mantra der evidenzbasierten Medizin, haben die meisten Ärzte mittlerweile verinnerlicht wie ein Glaubensbekenntnis. Doch so richtig aus tiefem Herzen davon überzeugt sind viele nicht. Das hat auch einen Grund: Zahlreiche medizinische Ratschläge, die tagaus, tagein von Ärzten an die Patienten weitergegeben werden, haben mit evidenzbasierter Medizin nichts zu tun. Es handelt sich um Ratschläge, zu denen es keine Studien gibt, sondern nur gute oder schlechte Erfahrungen. Mit anderen Worten: Wer sich in der Kommunikation mit seinen Patienten ausschließlich vom höchstens Evidenzgrad leiten lässt, führt unter Umständen ziemlich kurze Gespräche.
Der Gesundheitsfolklore wird mit harten Endpunkten Beine gemacht
Das heißt aber nicht, dass sich nicht auch gute Ratschläge und andere Hausmittelchen mit den Mitteln der evidenzbasierten Medizin überprüfen lassen. Man muss nur wollen. Den Beweis dafür haben jetzt Claire Johnson und Ronald Eccles von der Universität Cardiff angetreten. Sie haben sich des zweifellos berühmtesten Vertreters aller guten Ratschläge angenommen, eines Eltern-Satzes, der Kindern spätestens mit fünf Jahren zu den Ohren rauskommt: "Zieh dich warm an, sonst erkältest du dich." Dieser Satz ist so einleuchtend, dass sogar ehemals gegen ihn rebellierende Kinder ihn spätestens Anfang 30 selbst in ihr Vokabular aufnehmen. Ohne dass er jemals wissenschaftlich bewiesen worden wäre, wird er von Generation zu Generation weiter gegeben, und alles in allem scheint die Menschheit ganz gut damit gefahren zu sein. Vor dem Schicksal, eine bis in alle Ewigkeit unbewiesene These zu bleiben, wurde "Zieh dich warm an, sonst erkältest du dich" nun bewahrt. Die beiden Erkältungsforscher Johnson und Eccles vom Common Cold Center in Cardiff haben eine genial einfache klinische Studie konzipiert, die das schlaue Medizinstudentengerede von der Gesundheitsfolklore, für die es keine harten Daten gebe, für immer verstummen lassen sollte. Berichtet wird über die Studie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Family Practice.
Ein Fußbad mit dem Segen der Ethikkommission
An der Untersuchung nahmen insgesamt 180 Freiwillige teil. Es gab eine Stratifizierung nach der Anzahl der im Jahr davor durchgemachten Erkältungen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Ein Computer übernahm dann die Aufgabe der Zufallsauswahl und loste die Probanden einer von zwei Gruppen zu. In der ersten Gruppe mussten die Kandidaten Schuhe und Strümpfe ausziehen und ihre nackten Füße zwanzig Minuten lang in zehn Grad kaltes Wasser stellen. Bei Bedarf wurde es zusätzlich mit Eis versetzt, wenn die kontinuierlich kontrollierte Wassertemperatur anstieg. In der Kontrollgruppe blieben Schuhe und Strümpfe an, und die Füße wurden zwanzig Minuten lang in einen leeren Eimer gestellt. So viel zur Intervention. Im Gefolge mussten alle Probanden mehrfach einen Erkältungsfragebogen ausfüllen, in dem typische Symptome wie eine laufende oder verstopfte Nase, Halsschmerzen, Niesen oder Husten abgefragt wurden. Aus den Antworten wurde jeweils ein Symptomscore errechnet, mit dem später auch die statistischen Analysen gemacht wurden. Der erste Fragebogen direkt im Anschluss an die Sitzungen im Eimer erbrachte keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Die Probanden hatten sich ausnahmslos vorher gesund gefühlt und fühlten sich auch unmittelbar nach der Prozedur gesund. Schon am ersten Tag nach der Intervention allerdings ging die Schere auseinander. Alles in allem lag der Gesamtscore nach fünf Tagen in der Interventionsgruppe fast doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe, ein statistisch hoch signifikanter Unterschied. Wurden nur die Tage 4 und 5 nach Intervention berücksichtigt, so hatten an diesen Tagen 28,8 Prozent der Probanden eine Erkältung, gegenüber 8,8 Prozent in der Kontrollgruppe. Auch das war statistisch signifikant.
Studien, die die Welt nicht braucht
Zweifelnde EBM-Jünger können jetzt einwenden, dass die Studie nicht doppelblind war und damit begrenzt aussagefähig ist. Denn da die Untersucher die Probanden in den Wassereimern bei Bewusstsein ließen, wussten diese zwangsläufig, ob ihre Füße in Eiswasser standen oder nicht. EBM-Skeptiker werden wahrscheinlich eher den Sinn der Studie und die Kompetenz der Ethikkommission in Frage stellen. Letztlich befindet die Studie sich aber in der guten Gesellschaft einer langen Reihe mehr oder weniger sinnfreier Untersuchungen. Eines der schönsten Beispiele kommt aus der AIDS-Forschung, wo es eine Zeitlang zum guten Ton gehörte, nachzuweisen, dass HIV-Infizierte weniger Tabletten vergessen, wenn die Pillen seltener eingenommen werden müssen. Wer hätte das gedacht... Auch epidemiologische Studien, deren Quintessenz lautet "Wer kränker ist, ist früher tot", erfreuen sich in zahlreichen Fachrichtungen weiter großer Beliebtheit. Brechen wir also eine Lanze für die Wassereimer: Immerhin war es eine echte Interventionsstudie.