Epidemie in der Türkei, Verdachtsfall in Deutschland: Die Grippesaison 2006 hat noch gar nicht richtig begonnen, da wird sie dank Vogelgrippe so richtig heikel. Derzeit konzentriert sich alles auf die Impfstoffentwicklung. Wann ist es soweit, und: Reicht der Stoff wirklich für alle?
So viel Vogelgrippe war noch nie
Die Vogelgrippe ist in Europa angekommen, daran besteht kein Zweifel. Die Epidemie in der Türkei ist nicht alles. Von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, wütet die Vogelgrippe auch in Rumänien, dort vor allem im Donaudelta, weit weg von den internationalen Touristenströmen. Das Robert Koch-Institut in Berlin wird nicht müde zu warnen: "Die Gefahr einer Grippepandemie ist derzeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es gab noch nie ein Vogelgrippevirus, das geographisch so weit verbreitet war", sagte RKI-Präsident Professor Reinhard Kurth kürzlich während einer Expertenrunde in Berlin. Die Sorge: Dieses Vogelgrippe-Virus, das bei seinen bisher zum Glück seltenen Sprüngen zum Menschen ungewöhnlich häufig zum Tod führt, könnte sich so verändern, dass auch eine rasche Übertragung von Mensch zu Mensch möglich wird. Schafft das Virus diese Veränderung, dann gäbe es ein neues und möglicherweise sehr virulentes Grippevirus, das eine weltweite Pandemie mit Millionen von Toten auslösen könnte.
Alle Impfhoffnungen ruhen auf Sachsen und Hessen
Nun ist es noch längst nicht so weit. Und ob das Vogelgrippevirus H5N1 jemals jene niemandem im Detail bekannten genetischen Veränderungen erfährt, die es zu einem Grippe-Pandemie-Virus machen würden, kann keiner seriös sagen. Experten halten die Gefahr aber für groß genug, um Alarm zu schlagen, und sie hatten Erfolg. Nicht nur existiert mittlerweile ein nationaler Pandemieplan. Auch die Entwicklung des Prototypen eines Grippeimpfstoffs, der vor einer Infektion mit einem H5N1-ähnlichen Virus schützen könnte, wird angegangen. Auch die Bundesregierung stellt dafür Geld zur Verfügung. Doch ist der Stoff, der da entwickelt wird, wirklich der, den wir brauchen? Und: Reicht der Impfstoff im Ernstfall für alle? Nach den mittlerweile überwundenen Engpässen beim Grippemittel Tamiflu sind das Fragen, die zumindest in Teilen der Bevölkerung angeregt diskutiert werden. RKI-Chef Kurth ist sich dessen bewusst. "Wir sind in Deutschland in der glücklichen Lage, zwei Impfstofffabriken im Land zu haben", so Kurth. Gemeint sind die Impfstoffproduktionsstätten von GlaxoSmithKline in Dresden und die von Chiron-Behring in Marburg. Doch auch Kurth weiß natürlich, dass diese Fabriken für den Weltmarkt produzieren, und nicht nur für Deutschland.
Für die erste Welle wird es wohl nicht reichen
Das Impfstoffentwicklungsprogramm, das wie gewohnt auf bebrüteten Hühnereiern vonstatten geht, ist bereits weit fortgeschritten. GSK habe bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMEA bereits einen Antrag auf Zulassung eines Prototypimpfstoffs gestellt, so Kurth in Berlin. "Bereits Ende März könnte der Positivbescheid kommen". Wenn dieser Prototypimpfstoff vorliegt und eine auf dem H5N1-Virus fußende Pandemie ausbricht, dann sollte es möglich sein, innerhalb von acht bis zwölf Wochen mit der Massenproduktion eines dann gezielt auf das neue Virus abgestimmten Impfstoffs zu beginnen. Dieser angepasste Impfstoff wiederum könnte vom Paul Ehrlich-Institut in Langen nach eigener Aussage innerhalb von zwei bis drei Tagen in einem beschleunigten Verfahren zugelassen werden. Bis dann alle achtzig Millionen Deutsche durchgeimpft seien, müsse man realistisch noch einmal mit etwa drei Monaten rechnen, so Kurth. Für ein Impfprogramm ist das alles rasend schnell. Trotzdem: Realistisch betrachtet werden die Menschen überall auf der Welt mit der ersten Pandemiewelle wahrscheinlich noch ohne Impfstoff klarkommen müssen. Wie schnell sich eine Grippewelle über den Erdball ausbreiten kann, beweist die saisonale Grippe Jahr für Jahr. Für einen wahrscheinlichen zweiten Durchgang wären die Menschen dann aber gewappnet. Interessanterweise hält sich die saisonale Influenza in diesem Jahr ungewöhnlich lange zurück. Bis Ende Januar sind in dem 800 Arztpraxen umfassenden Sentinel-System des RKI noch keine Grippeviren aufgetaucht. Auch im Rest Europas gibt es (Stand Ende Januar) noch keine Anzeichen der 2006er-Welle. Wann und wie schnell sie kommt, kann jeder auf den Webseiten der Arbeitsgemeinschaft Influenza anhand einer Deutschlandkarte verfolgen.