Um kein Vitamin wird gerade heftiger gestritten als um Vitamin D. Für die einen ist es der universelle Heilsbringer, der vor Kopfschmerzen, Erkältungen, Knochenbrüchen und sogar vor Krebs und Multipler Sklerose schützen soll. Die anderen sagen: viel Lärm um nichts.
Vitamin-D-Studien gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Sie liefern genügend Stoff für Vitamin-D-Fetischisten, aber auch für ihre Gegner. Da drängt sich der Verdacht auf, dass Vitamin-D-Studien inzwischen mehr eine Frage des Glaubens als eine Frage der wissenschafttlichen Herangehensweise sind. DocCheck hat eine aktuelle Meta- und eine Kohortenstudie zur Supplementation mit Vitamin-D unter die Lupe genommen. Die Metastudie untersucht das Präventionspotenzial von Vitamin-D bei Erkältungen und ist im British Medical Journal erschienen. Die Kohortenstudie widmet sich dem Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Level und Kopfschmerzen bei Männern. Sie erschien in Scientific Reports, Nature Research. Beide Studien haben ihre Schwachstellen, doch sie zeigen deutlich, wer von einer regelmäßigen Vitamin-D-Supplementation profitiert und an welcher Stelle es ratsam ist, darauf zu verzichten. Doch ob sich gerade Metastudien mit äußerst widersprüchlichen Einzelstudien als Basis dazu eignen, Vitamin-D in verschiedenen Settings zu bewerten, bleibt fraglich.
Frühere Beobachtungsstudien hatten einen Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten Risiko für Atemwegserkrankungen wie Erkältungen und Grippe in Verbindung gebracht. Klinische Studien, die einen protektiven Effekt von Vitamin-D untersucht haben, kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die aktuelle Studie1 ist ein systematischer Review, in der Wissenschaftler die Daten der Teilnehmer von randomisierten, kontrollierten Studien zur Vitamin-D-Supplementation untersuchten. Von der Betrachtung der individuellen Studienteilnehmer – im Gegensatz zum Vergleich der reinen Studienergebnisse – erhofften sich die Wissenschaftler mehr Klarheit in Bezug auf die bisherigen Ergebnis-Diskrepanzen.
Die Wissenschaftler analysierten Daten von 10.933 Studienteilnehmern im Alter von 0 bis 95 Jahren von 25 randomisierten, kontrollierten Studien.
Insgesamt zeigte die Meta-Studie, dass eine Supplementation mit Vitamin-D mit einer 12 prozentigen Reduktion des Patientenanteils mit mindestens einer akuten Atemwegsinfektion einherging - im Vergleich zu einer ausbleibenden Supplementation. Subgruppenanalysen sollten Aufschluss über die widersprüchlichen Studienergebnisse liefern. Diese Analysen zeigten einen protektiven Effekt von Vitamin-D bei Teilnehmern, die ihre Vitamin-D-Gaben täglich oder wöchentlich, nicht aber in Form einer einmaligen Hochdosis erhielten. Wer eine oder mehrere Hochdosisgaben erhielt, profitierte nicht von der Supplementation. Der protektive Effekt war bei Teilnehmern mit ausgeprägtem Vitamin-D-Mangel größer (<25 nmol/L) größer als bei Probanden mit einem Serum 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel von mindestens 25 nmol/L. Die Metastudie zeigte außerdem, dass die Gabe von Vitamin-D sicher ist. Das Auftreten von unerwünschten Ereignissen war in der Verum-Gruppe nicht größer als in der Vitamin-D-Gruppe. Die Wissenschaftler schließen aus ihren Ergebnissen, dass ein Vitamin-D-Mangel zur Prävention von respiratorischen Infektionen ausgeglichen werden sollte.
Synthese von Vitamin D im menschlichen Körper. Grafik von OpenStax College, CC BY 3.0.
Männer in Finnland litten in den 1980er Jahren im weltweiten Vergleich am häufigsten unter Herzkrankheiten. Die Daten der Kohortenstudie2 (Kuopio Ischemic Heart Disease (KIHD) Risk Factor Study) wurden eigentlich erhoben, um Risikofaktoren dieser Männer für Herzerkrankungen ausfindig zu machen. Wissenschaftler nutzten nun Daten dieser Kohorte, um eine mögliche Korrelation zwischen Kopfschmerzen und der Vitamin-D-Konzentration im Blut zu prüfen.
Die Daten dieser Studie stammen von 2.601 finnischen Männern mittleren Alters (42 bis 60 Jahre bei Studienbeginn) und wurden zwischen 1984 und 1989 erhoben. Je nach Serumkonzentration 25-Hydroxyvitamin-D (25[OH]D) wurden die Männer in 4 Gruppen mit jeweils 650 Männern aufgeteilt: Gruppe 1: D (25[OH]D) < 28.9 nmol/L Gruppe 2: D (25[OH]D) = 28.9 to 40.1 nmol/L Gruppe 3: D (25[OH]D) = 40.2 to 55.0 nmol/L Gruppe 4: D (25[OH]D) > 55.0 nmol/L
Männer mit niedrigen Serumlevel von (25[OH]D) aus Gruppe 1 litten doppelt so häufig unter chronischen Kopfschmerzen wie die Männern in der Gruppe mit den höchsten Vitamin-D-Konzentrationen im Blut. Die durchschnittliche Serum Konzentration an 25(OH)D der finnischen Männer lag bei 43.4 nmol/L, also unter der Vitamin-D-Mangelgrenze von 50 nmol/L. 67,9 Prozent der Kohorte hatten 25(OH)D-Werte unter 50 nmol/L. Nur 6,9 Prozent der Männer wiesen 25(OH)D-Werte von 75 nmol/L oder größer auf. Das erhöhte Kopfschmerzrisiko wurde nur bei Gruppe 1 beobachtet, hier war die Korrelation jedoch streng. Nach Anpassung von Alter und Zeitpunkt der Blutabnahme (Sommer oder Winter) war die durchschnittliche 25(OH)D-Konzentration bei denjenigen Probanden, die von häufigen Kopfschmerzen berichteten, signifikant niedriger als bei den Teilnehmern ohne regelmäßige Kopfschmerzen (38.3 vs 43.9 nmol/L; P < .001). Von den Männern, deren Blut während der UV-B reichen Sommermonate entnommen wurde, berichteten 7,2 Prozent von häufigen Kopfschmerzen, bei der Gruppe von Männern, deren Blut in den weniger sonnenreichen Monaten entnommen wurde, 10,4 Prozent.
Die aktuell laufende finnische Vitamin-D-Studie (FIND) soll einige offene Fragen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Vitamin-D-Mangel und Kopfschmerzen klären. Die Studie läuft über 5 Jahre und untersucht an 2.500 Teilnehmern, wie sich die Einnahme von 40 oder 80 µg Vitamin-D im Gegensatz zu Placebo auf verschiedene Konditionen, eingeschlossen Schmerzen, auswirkt. Erste Ergebnisse soll es im Frühsommer 2018 geben.
Jedes Jahr zur Winterzeit greifen zahlreiche Medien das Thema Vitamin-D-Supplementation auf. Parallel drängen die Hersteller des „Sonnen-Vitamins“ auf den Markt. Eine klare Supplementationsempfehlung lässt sich aus der aktuellen Studienlage nicht ableiten. Wer weit unter der festgesetzten Vitamin-D-Mangel-Grenze von 50 nmol/L liegt, könnte möglicherweise von einer Supplementation profitieren. Doch Vorsicht: Obwohl die Einnahme von Vitamin-D – zumindest in maßvollen Dosen – als sicher gilt, hat das Vitamin auch dokumentierte Schattenseiten. So zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie3, dass das „Knochenvitamin“ bei älteren Menschen sogar zu vermehrten Stürzen und Knochenbrüchen führt, anstatt sie davor zu schützen. Eine Vitamin-D-Supplementation während der Schwangerschaft4 erhöht zudem das Risiko für das Kind, im späteren Leben eine Nahrungsmittelallergie zu entwickeln.Daher sollte anhand eines zuvor geprüften Serumspiegels genau abgewogen werden, wann eine Gabe an Vitamin-D wirklich sinnvoll ist.
1 Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017;356:i6583 2 Low serum 25-hydroxyvitamin D is associated with higher risk of frequent headache in middle-aged and older men. Sci Rep. 2017 Jan 3;7:39697. 3 Monthly High-Dose Vitamin D Treatment for the Prevention of Functional DeclineA Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2016;176(2):175-183. 4 Maternal and newborn vitamin D status and its impact on food allergy development in the German LINA cohort study. Allergy. 2013 Feb;68(2):220-8.