"Die Wiener Ärzteschaft ist verzweifelt", so der Notruf aus der Wiener Ärztekammer nach Einführung der e-card. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger spielt die Probleme als maßlos übertrieben runter. Die Ärzte, als "EDV-Trottel" diffamiert, drohen mit Ausstieg. In den Medien wird die Aufregung als bekannte österreichische Schlamperei heruntergespielt.
Massive Widerstände gegen e-card in Austria
Zum gleichen Zeitpunkt, zu dem in Deutschland die ersten Labortests mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) starteten, gab es in Österreich Vollzugsmeldung zum Rollout der e-card - das Pendant zur deutschen eGK. Von Mai bis November 2005 waren rund 8,2 Millionen Plastikkarten versandt worden. 2,2 Millionen Versicherte hätten ihre Karten bereits 22,96 Millionen mal genutzt, so der Hauptverband der Sozialversicherungsträger auf einer Pressekonferenz im Dezember vorigen Jahres. 99,3 Prozent der österreichischen Arztpraxen seien inzwischen an das Gesundheits-Informations-Netzwerk (GIN) angeschlossen. Die Verantwortlichen zeigten sich stolz und vielleicht auch erleichtert. Denn der Weg bis hierhin war steinig. Proteste seitens der Ärztekammern, harsche Kritik aus den Reihen der Mediziner, technische Probleme und verbitterte Auseinandersetzungen mit den System-Lieferanten sorgten nicht nur in den österreichischen Gazetten für reichlich Zündstoff.
Rollout entspricht deutscher Krankenkassenkarte
Wie die deutsche ist auch die österreichische Karte mit einem Mikroprezessor ausgestattet. Allerdings enthält die jetzt zur Auslieferung gekommene e-card nur die reinen Patientendaten und löst damit den bis dato gängigen Papier-Krankenschein ab. Insofern entspricht sie der seit Jahren in Deutschland eingeführten Krankenkassenkarte - vom österreichischen Quantensprung kann also noch nicht die Rede sein. Die Einrichtung von elektronischen Rezepten, Übermittlung von Befunden, die Speicherung von Notfalldaten, etc. steht zur Zeit noch im Gesundheitsministerium zur "Klärung" an. Im Unterschied zu Deutschland soll das Stück Plastik als Bürgerkarte für das eGovernment nutzbar sein - eine ehrgeizige Idee. Die e-card kostet die österreichischen Versicherten 10 Euro. Die technische Ausstattung in den Praxen, wie Software, DSL-Anschluß und GIN-Boxen, wird von den Krankenkassen getragen. Nur das mobile Lesegerät, das im Offline-Betrieb die Patientendaten zwischenspeichern soll, muß zur Verärgerung der Mediziner selbst bezahlt werden. Der Zugang ins GIN bzw. ins Intranet kostet sie pro Monat 32,70 Euro. Das Netzwerk betreibt die Peering Point Betriebs GmbH, die zu gleichen Teilen der Ärztekammer und dem Hauptverband gehört und Gewinn erwirtschaften soll.
"No-Go-Card" verschlingt zigtausende Euros
Die Hoffnung der Sozialversicherungsträger in Austria, dass nunmehr das Tal der Tränen durchschritten sei, währte nicht lang. Bereits Anfang dieses Jahres hagelte es neue Proteste aus der Ärzteschaft. Nach einem Monat e-card-Erfahrung ist gar die Rede vom Ausstieg aus dem Gesundheitskarten-System. Der Hauptverband droht im Gegenzug mit der Aufkündigung der Kassenverträge. Die Wiener Ärztekammer spricht von "No-Go-Card". Was ist passiert? Walter Dorner, Präsident der Wiener Ärztekammer, äußert sich verärgert: "Die panikartigen nächtlichen Updates des Hauptverbands bringen der Wiener Ärzteschaft jeden Morgen ein böses Erwachen. Bei Ordinationsbeginn funktioniert gar nichts, die Leitungen und die Box zum GIN sind bis zu zwei Stunden tot." Überfüllte Wartezimmer, aufgebrachte Patienten, endlose Gespräche mit der überlasteten Hotline des Bundesverbands und der zwangsläufige Einsatz von privaten Technikern hätten bereits Hunderttausende von Euros den Praxen gekostet. Nun soll eine Pauschale von 500 Euro pro Vertragsarzt vor der Wiener Landesschiedskommission eingeklagt werden. Die Sozialversicherungsträger kontern und sprechen von "EDV-Trotteln" und "Maschinenstürmern".
Tote Adressen sorgen für zusätzlichen Aufwand
Für den Außenstehenden entsteht der Eindruck, dass auf beiden Seiten mit "wackligen" Argumenten gekämpft wird. Auf der Suche nach einer weitgehend unbeeinflussten Erklärung für diese verhärtete Situation, sprach DocCheck mit einem e-card-Experten der österreichischen Zeitschrift Kurier. Demnach fingen die Probleme bereits mit einem total schleppenden Rollout an. Der Zeitplan wurde nicht eingehalten, weswegen auch die Karten bei den Versicherten zu spät ankamen. Und als sie dann in die Post gingen, stellte sich heraus, dass zigtausende Adressen wegen Umzugs, Ablebens, etc. nicht mehr stimmten. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hatte die Daten der Versicherten ohne vorherige Aktualisierung an den deutschen Kartenproduzenten Giesecke & Devrient gegeben. Für Patienten ohne e-card ist in den Praxen ein Ersatzkrankenschein auszufüllen - mit allen Fehlerquellen wie falsch geschriebene Namen und Anschriften.
Technikmuffel blockieren e-card
Die Vermutung, dass die Technik noch nicht ausgereift sei, werde durch häufigen Ausfall der zentralen Server der Marke IBM verstärkt, so unser Informant. Ein gravierender Grund für die Verzögerungen sei auch die Altersstruktur der österreichischen Ärzteschaft. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil an älteren Medizinern wehre sich seit jeher gegen jeglichen Fortschritt. Die Zukunftsverweigerer oder Technikmuffel praktizierten bis dato ohne Computer und Internetanschluss, wodurch die Einführung der e-card für sie richtig teuer wurde oder noch wird, wenn sie nicht den Verlust des Kassenvertrags riskieren wollen. Insgesamt, so unser Insider, sei vieles unprofessionell abgewickelt worden - typisch österreichische Schlamperei.
Österreichischer e-card-Ausstieg steht nicht zur Debatte
An einen Ausstieg aus der elektronischen Gesundheitskarte ist allerdings nicht zu denken, denn zu schwer wiegen die immensen Einsparungen durch den Abbau von administrativem Aufwand. Das weiß auch die Wiener Ärztekammer. Dank ihrer ständigen Interventionen stabilisiere sich das System, so ihr Sprecher Dr. Hans-Peter Petutschnig gegenüber doccheck.de. Sein Kommentar zu den Ausstiegsdrohungen: "Die Wiener Ärztekammer klärt derzeit juristische und honorartechnische Einzelheiten im Zuge der e-card-Einführung, die allerdings nichts mit einer eventuellen "Abschaffung" zu tun haben." Aus seiner Erfahrung entstanden die Probleme aufgrund eines sehr dichten Zeitplans und der schlechten Informationspolitik seitens des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Wie auch immer. Häme ist aus deutscher Sicht nicht angebracht. Wer weiß, welche Probleme noch auf uns mit der eGK zukommen.