Wer seine Patienten auf die kommende Zeckenzeit vorbereiten möchte, sollte jetzt mit der Immunisierung beginnen. Acht Präparate sind in Deutschland zugelassen - und versprechen nahezu 100-prozentigen Schutz vor FSME. Doch nicht jeder Patient benötigt die Vakzine wirklich.
In den Weiten Russland galten Zecken schon immer als besondere Gefahr. Ein einziger Biss der kleinen Spinnentiere, so erkannten Mediziner bereits vor 70 Jahren, vermochte schwere neurologische Schäden beim Opfer auszulösen. Nach ersten Grippe-ähnlichen Symptomen, die nur selten Fieber über 38 grad Celsius hervorriefen, folgte ein fieberfreies Intervall - erst nach drei Wochen traten bei den Infizierten die lebensbedrohlichen Folgeerscheinungen des Zeckenbisses auf: Enzephalitis, Meningitis, Enzephalomyelitis. Wer die akute Phase überstand, hatte wenig Grund zur Freude. Denn neben Paresen und Konvulsionen blieben auch Kephalgien bestehen. Ob solcher Aussichten schien die Entwicklung eines Vakzins angebracht, und tatsächlich erblickte im Jahr 1937 ein auf Maushirn gezüchteter Impfstoff zur Vermeidung der FSME erstmals das Licht der Welt.
Was die russischen Forscher damals erschafften, bildet den Anfang einer langen Reise zum sicheren FSME-Vakzin - doch erst heute scheinen Beobachtungsdaten zu belegen, dass die Impfstoffe des neuen Milleniums nicht nur die nahezu vollständige Grundimmunisierung des Patienten bewirken, sondern auch sicher sind.
Acht aktive Immunisierungen gegen FSME sind hierzulande zugelassen. Sie schützen vor Erkrankungen, die alle drei Subtypen des Flavivirus-Erregers hervorrufen können. Um die mindestens drei Jahre anhaltende Grundimmunisierung des Patienten zu erreichen, sind drei Teilimmunisierungen nötig. Die ersten beiden Vakzine sollten im Abstand von 1-3 Monaten, die dritte Impfung 9-12 Monate nach der zweiten verabreicht werden. Zudem empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) Auffrischimpfungen alle drei Jahre. In der Praxis ist der Zeitraum dieses Schemas zu lang - viele Patienten erfahren erst bei Abschluss einer Reise, dass sie in FSME-Risikogebiete gelangen werden. Für solche Fälle greift die schnellere Variante. Danach erfolgt die erste Impfung am Tag null, die zweite am Tag sieben und die letzte nach 21 bis 28 Tagen. Auch die Verabreichung zweier Vakzine innerhalb von 14 Tagen ist möglich - wobei bei diesem Impfschema die dritte Spritze nach 12 bis 15 Monaten erfolgen muss.
Lange Zeit unsicher, jetzt gut belegt
Noch im Jahr 2001 waren Impfstoffe zur FSME-Vermeidung alles andere als unumstritten. Das in Fachkreisen seit 1969 anerkannte "Arznei-Telegramm" warnte damals vor "zum Teil schwerwiegenden Störwirkungen", die man bei einem inzwischen vom Markt genommenen Impfstoff beobachtet hatte. Die Wirkung der heute zugelassenen Vakzine ist mittlerweile gut dokumentiert. So verabreichten Ärzte einen seit 2001 zugelassenen Impfstoff im Rahmen einer großen Beobachtungsstudie bei 3559 Kindern im Alter von 1-11 Jahren, sowie bei 2239 Jugendlichen und Erwachsenen ab einem Alter von 12 Jahren. "Nach der ersten Impfung wurde innerhalb von drei Tagen bei Kleinkindern zwischen 1 und 2 Jahren bei 15 Prozent, bei Kindern zwischen 3 und 11 Jahren bei 5 Prozent und bei über 12-Jährigen in weniger als 1 Prozent der Fälle Fieber über 38°C gemessen", fasst die DGN zusammen.
Auf Grund solcher Daten legten die Hersteller nach. Im Jahr 2002 erblickte ein weiteres Erwachsenen-Vakzin das Licht der Welt, im Juni 2003 erhielt ein Impfstoff für Kinder im Alter von einem bis 16 Jahren in Deutschland die Zulassung. Zwar treten bei den kleinen Patienten durchaus Nebenwirkungen auf, wie die DGN beschrieb: "Von 1899 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 0,5 und 12 Jahren, die mit FSME-Immun Junior (1/2 Erwachsenendosis) im Rahmen einer Zulassungsstudie geimpft worden waren, reagierten insgesamt 20,4% nach der 1. Impfung mit Fieber (38- 39° C: 15,8%; > 39° bis < 40° C: 4,3%; > 40° C: 0,3%; Pavlova et al. 2003)". Doch lebensbedrohliche Nebenwirkungen kamen den Daten zufolge faktisch nicht vor. Besser scheinen Erwachsene auf die Immunisierung zu reagieren. Lediglich drei von 405 Probanden im Alter zwischen 16 und 65 Jahren entwickelten nach der 1. Impfung Fieber unter 40 Grad Celsius, nach der 2. und 3. Impfung trat dann bei keinem der Probanden impfbedingtes Fieber mehr auf. Auch die anderen Nebenwirkungen, etwa Rötungen und Druckgefühl, waren den Beobachtungsdaten zufolge mild.
Der Erfolg der neuen Vakzine liegt in der ständigen Veränderung der Zusammensetzung, wie Experten des Paul-Ehrlich Instituts (PEI) auf einer Fortbildungsveranstaltung für den öffentlichen Gesundheitsdienst im März 2003 eindrucksvoll darlegten. So entstammte das Produktionsvirus des russischen Vakzins im Jahr 1937 noch aus eigens dazu benutzten Maushirnen, heute dienen Hühnerembryo-Fibroplasten als "Vakzinfabrik". Zudem machen bei den modernen Impfstoffen bessere Puffersysteme auf EDTA, Phosphat oder tris - Basis neben besseren Stabilisatoren die Qualität der Impfstoffe aus.
Trotz solcher Fortschritte: Jedem Patienten zur Impfung zu raten, wäre unangebracht. Denn lediglich in bestimmten Risikogebieten, vorwiegend in Süddeutschland, übertragen Zecken die gefährlichen, FSME-auslösenden Viren. So rät die Ständige Impfkommission (STIKO) zur Grundimmunisierung bei Reisen in diese Gebiete - und empfiehlt vor allem erwachsenen Menschen, die sich viel in Wäldern oder in der freien Natur aufhalten, das schützende Vakzin zu nehmen. Wohlmöglich werden in Zukunft hierzulande weitaus mehr Menschen auf die Impfstoffe zugreifen müssen: Ixodes persulcatus, die aus Sibirien stammende Taigazecke, überträgt nicht nur den besonders aggressiven Erreger der russischen Frühsommer-Enzephalitis. Das Spinnentier hat, vermutlich durch Vogelwanderungen, mit Finnland und den baltischen Staaten auch die EU erreicht.